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Elisabeth Schneider-Schneiter befragt von Balthasar Glättli

«Die CVP ist die echte grüne Partei»

Umweltschutz, Atomausstieg und Energiewende. Wer hats erfunden? Darüber streitet die CVP-Politikerin Elisabeth Schneider-Schneiter mit dem Grünen Balthasar Glättli. Was sie trotzdem verbindet und wer nicht bei ihnen über Nacht bleiben darf.

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SI_Wahlstafette_Balthasar Glättli_Elisabeth Schneider-Schneiter

Willkommen! - Balthasar Glättli, 47, empfängt im Zürcher Restaurant Nordbrücke Elisabeth Schneider-Schneiter, 55.

Ellin Anderegg

Mit einem Rollkoffer kommt die Baselbieter CVP-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter, 55, nach Zürich. «Ferien?», fragt der Grüne Balthasar Glättli, 47, der auf sie wartet. «Nein, Cocktailkleid. Ich bin heute Abend Gast am Staatsbesuch des indischen Präsidenten.» – «Nicht schlecht. Mein Freitagabend wird ruhiger. Ich passe auf meine Tochter Ziva auf.» Früher verbrachte Glättli seine Abende oft in der Quartierbeiz Nordbrücke, wohin er Schneider-Schneiter zum Streitgespräch empfängt.

«Die CVP ist die echte grüne Partei»

Balthasar Glättli: Die CVP lobt sich als Mehrheitsmacherin im bürgerlichen Zentrum hoch – die gleiche Partei, die nun nicht nur Linke und Grüne, sondern auch ihre Listenverbindungspartner mit einer grossen Internet-Kampagne heruntermacht. Das ist ziemlich unglaubwürdig!
Elisabeth Schneider-Schneiter: Die CVP hat mit dieser Kampagne einen innovativen und frechen Weg eingeschlagen. Das ist man von der CVP nicht gewohnt.

In der letzten Session vor den Wahlen spüre ich eine besondere Stimmung im Bundeshaus. Sie auch?
Ja! Am Ende der Legislatur gibt es jeweils eine gewisse Nervosi-tät unter den Politikerinnen und Politikern. Viele sind unsicher, ob sie wiedergewählt werden. Jeder möchte sich noch mit seinen Themen profilieren.

Was sagen Sie dazu, dass sich Ihre Verbündete, die FDP, vor den Wahlen noch schnell einen grünen Mantel überwirft?
Für mich ist es wichtig, dass man glaubwürdige und realistische Umweltpolitik betreibt. Wie wir von der CVP das schon immer gemacht haben. Nur Dank der CVP wurde 1971 der Umweltartikel in der Verfassung verankert. Wir brüsten uns zwar nicht so damit, aber es ist unser Verdienst. Sich einfach vor den Wahlen grün zu geben, ist nicht so ehrlich.

Elisabeth Schneider-Schneiter, 55, ist Präsidentin der Aussenpolitischen Kommission. Die Basler CVP-Politikerin ist seit 2010 im Nationalrat.

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Papa-Zeit - Balthasar Glättli wurde vor fast zwei Jahren Vater. «Ich nahm mir vier Wochen frei.»

Ellin Anderegg

Was halten Sie von uns Grünen?
Ich bin überzeugt, dass es die Grünen braucht, weil sie wichtige Impulse geben. So wie es auch die SVP auf der anderen Seite macht. Aber noch mehr braucht es eine starke Mitte, weil wir die Partei sind, die Lösungen zwischen links und rechts findet.

Was gefällt Ihnen nicht an den Grünen?
Dass sie überhaupt nicht kompromissbereit sind! Und die Anliegen der Grünen sind immer ideologisch geprägt. Die Limmat grün zu färben, ist kontraproduktiv. Statt Farbe in einen Fluss zu giessen, sollten die Umweltschützer lieber zusammen an einem Tisch sitzen und realistische Lösungen für unsere Umwelt suchen.

Wir wollen sowohl wach rütteln wie auch Lösungen finden!
Ah ja? Die Energiestrategie ist von uns gekommen. Die CVP ist die echte grüne Partei.

«Rechtskonservativ sind wir sicher nicht»

Mich freut ja, dass sich nun auch die CVP für ihre ökologische Politik lobt. Zur Energiestrategie haben aber wir den Ausschlag gegeben. Sie war ein Gegenvorschlag zur Atomausstiegsiniative. Am Schluss braucht es in der Schweiz immer mehrere Parteien.
Genau das finde ich auch. Darum gefällt mir an den Grünen, dass sie auf Themen aufmerksam machen und wir dann eine gute, mehrheitsfähige Lösung dazu finden.

Einspruch! Ihr definiert, wo ihr die Mehrheit haben wollt – und die CVP hätte es in der Vergangenheit in der Hand gehabt, viel grünere Mehrheiten zu schaffen. Wenn sich die CVP aber rechtskonservativ gibt ...
... rechtskonservativ sind wir sicher nicht!

In der Ausländerpolitik habe ich euren Präsidenten Gerhard Pfister anders erlebt – etwa als er bei der Zuwanderungsinitiative für eine schärfere Umsetzung war.
Also ich weiss nicht, woher das kommt, dass unser Präsident die Partei nach rechts drängen soll. In den letzten Jahren haben wir entscheidende Vorlagen verabschiedet, die überhaupt nicht in diese Richtung gehen. Etwa die Richtwerte für gleiche Löhne für Mann und Frau.

«Ohne Handy fühle ich mich fast wie amputiert»

Pfister blinkt rechts, aber die CVP fährt geradeaus. Wollen Sie etwa das damit sagen?
Gar nicht! Er hat zum Beispiel die Kompromisslösung der CVP für zwei Wochen Vaterschaftsurlaub unterstützt. Das ist ja wohl gar nicht rechtskonservativ. Der Vaterschaftsurlaub ist auch ein Beispiel für ein aktuelles Thema, das auf unserem Mist gewachsen.

Dass es nur zwei Wochen sind und nicht vier, das ist auf dem Mist der CVP gewachsen!
Ja, aber so gibt es kein Referendum. Es ist eine Lösung, die beim Volk eine Mehrheit findet. 

Ich persönlich blieb vier Wochen zu Hause, als ich vor 19 Monaten Papi wurde. Ich konnte mir das glücklicherweise leisten. Ich finde aber, das muss ein Recht für alle sein!
Ich bin vor 19 Jahren zum ersten Mal Mutter geworden – und ich bin noch immer mit vollem Herzblut Mami. Ich trat hochschwanger eine neue Stelle an. Und ich muss sagen, ich habe meinen Mutterschaftsurlaub nicht ausgenutzt, dafür war mein Arbeitgeber später grosszügig. Die Kinderbetreuung teilte ich mit meinem Mann. Das funktionierte sehr gut.

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Mutterglück - Elisabeth Schneider-Schneiter hat einen Sohn und eine Tochter. «Familienexterne Betreuung ist wichtiger als Vaterschaftsurlaub.»

Ellin Anderegg

Wie viele Tage hatte Ihr Partner nach der Geburt frei?
Ich glaube, es waren fünf. Ich verstehe, dass der Vaterschaftsurlaub für gewisse Leute wichtig ist. 

Für Sie nicht?
Den grossen Aufwand haben Eltern nicht direkt nach der Geburt, sondern später, wenn die Kinder zur Schule gehen. Darum ist familienexterne Betreuung wichtiger als der Vaterschaftsurlaub.

Muss man das gegeneinander ausspielen? Ich finde nicht.
Überall auf der Welt gibt es Tagesschulen, nur wir Schweizer schaffen das nicht. Dabei würden diese vielen Familien mit berufstätigen Müttern helfen. Und wissen Sie, wer die grössten Gegner der Tagesschulen sind? Frauen! Frauen, die finden, sie wollen ihr Kind über Mittag unbedingt sehen.

Nun sind die Frauen an ihrer eigenen Benachteiligung schuld?
Es ist doch schade, dass deswegen immer weniger junge Leute eine eigene Familie wollen. Für mich sind meine Kinder eine unglaubliche Bereicherung. Sie holen mich stets wieder auf den Boden zurück und zeigen mir, für wen es sich lohnt zu leben.

Balthasar Glättli, 47, seit 2011 Nationalrat. Der Stadtzürcher ist Wahlkampfleiter der Grünen. Seine Frau Min Li Marti sitzt für die SP im Nationalrat.

Das spüre ich auch ganz fest mit meiner Tochter Ziva. Für mich ist die Klimafrage viel konkreter geworden: Es geht auch um ihre Zukunft. Das enorme Engagement der Klimajugend berührt mich darum sehr.
Mir gefällts auch, dass sich die Jugendlichen engagieren. Aber das sind junge Leute, die fast alle aus einem gewissen Wohlstand kommen. Die mussten nie etwas entbehren – also auf etwas verzichten. Mir ist es wichtig, meinen Kindern beizubringen, dass sie eben nicht immer alles haben können. Ich frage mich, ob diese Bewegung das auch kann? 

Ich finde, wir sollen nicht auf mehr verzichten, sondern lernen, bewusster zu geniessen. Etwa Zeit mit der Familie und den Liebsten. 
Da haben Sie recht! Aber der erste Schritt dazu ist das Entbehren. 

Ich gehöre zur letzten Generation, die ohne Handy aufgewachsen ist. Als ich zum ersten Mal ein Natel hatte, war das sehr praktisch. Aber heute bin die ganze Zeit online. Ohne Handy fühle ich mich fast wie amputiert. Von dieser Abhängigkeit loszukommen, wäre weniger eine Entbehrung als ein Gewinn. Weil mehr Zeit für das Wesentliche bleibt.
Wir sind ja alle ständig online. Über Nacht habe ich mir angewöhnt, das Handy auf Flugmodus zu stellen und ein paar Meter von meinem Bett entfernt einzustecken. Ich merke, dass ich nicht gut schlafe, wenn es direkt neben mir liegt. Das Problem ist, dass ich meinen Wecker auf dem Handy habe (lacht). Das haben ja inzwischen alle. Sie sicher auch? 

Ja, ich mache es genauso. Dann muss ich auch wirklich aufstehen, wenn der Wecker klingelt. 
Ha, da haben wir also eine Gemeinsamkeit!

Das andere Kreuzverhör

In der SI-Wahlstafette interviewt eine Partei die nächste. Und die darf in der folgenden Woche die Fragen an eine weitere Partei stellen. So geht das bis zu den Wahlen.

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Silvana DegondaMehr erfahren
Von Silvana Degonda am 21. September 2019 - 15:41 Uhr