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  4. Velofahrerin Elise Chabbey will an der ersten Tour de Suisse Women angreifen

Im Corona-Lockdown arbeitete sie auf der Covid-Station

Elise Chabbey gewinnt erste Etappe der Tour de Suisse Women

An der ersten Tour de Suisse der Frauen am 5. und 6. Juni rund um Frauenfeld will Elise Chabbey angreifen. Die Genferin ist ein Multitalent – sie nahm schon als Kanutin an den Olympischen Spielen teil und ist studierte Ärztin.

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veröffentlicht SI 20/2021

Elise Chabbey liebt Rennen bei garstigen Bedingungen: Regen, Wind, schwere Anstiege. «Ich bin hart im Nehmen.»

ZVG

Eine steile Strasse führt zum Häuschen, in dem Elise Chabbey zurzeit mit ihrem Freund Antoine lebt. Nie käme man drauf, dass das Dorf Collonges-sous-Salève in Frankreich so nah von Genf gelegen ist – grün und ruhig, die Steilwand des Mont Salève gleich dahinter. Und vor ihrer Haustür ein riesiger Natur-Spielplatz: Genau so mag es die 28-Jährige. Chabbey ist stets in Bewegung und ambitioniert, «auf der Couch liegen ist nichts für mich». All das ist Basis ihrer aussergewöhnlichen Sportkarriere, die sie am Samstag an den Start der ersten Tour de Suisse Women in Frauenfeld TG geführt hat, wo sie nun in der ersten Etappe den Tagessieg holte.

Ein Jahr in Australien, um sich aufs Kajakfahren zu konzentrieren

Angefangen hat sie im Wasser. Die Familie paddelte in den Ferien oft mit dem Kajak durch die Ardèche. Später folgt Elise einem ihrer Brüder in den Kanuklub. Und schafft es als 19-Jährige an die Olympischen Spiele in London 2012. Davon beflügelt, zieht sie für ein Jahr nach Australien, um den Sport dort professioneller zu betreiben. «Doch die Resultate waren nicht wirklich gut. Also wollten meine Eltern, dass ich studiere.» 

Elise Chabbey, née le 24 avril 1993 à Genève, est une céiste, coureuse de demi-fond et coureuse cycliste suisse et medecin. Genève mai 2021 ©Nicolas Righetti/Lundi13.ch

Ihr neues Arbeitsgerät: «Ich habe noch so viel zu lernen», sagt Chabbey zu ihrem zweiten Jahr als Veloprofi.

Nicolas Righetti/ Lundi13

Inspiriert von ihrer Grossmutter, einer Zahnärztin, wählt die Genferin die Medizin. Da der Kajaksport nun zeitlich nicht mehr drinliegt, beginnt sie zu laufen. Und wird prompt ins Trail-Running-Team von Scott aufgenommen. Nach einem Ermüdungsbruch in der Hüfte steigt sie in der Reha schliesslich aufs Velo – und wird vom Manager eines Radsportteams entdeckt. 

Im ersten Corona-Lockdwon arbeitet sie auf der Covid-Station

Seit dieser Saison fährt Chabbey nun für die Equipe Canyon/Sram, eines der professionellsten Teams im Frauenradsport. Eigentlich wollte sie das Jahr 2020 ganz dem Velo widmen und dann im Herbst als Assistenzärztin beginnen. Doch als wegen Corona alle Rennen abgesagt wurden, stellte sie das Rad zur Seite und arbeitete drei Monate lang im Universitätsspital Genf, auf Covid-Stationen und der Inneren Medizin, «eine intensive Zeit». Als Training joggt sie zu den Zwölfstundenschichten ins Spital. Im Herbst geht die Saison dann doch noch los, und sie fährt so gute Resultate ein, dass sie die medizinische Karriere – Fernziel: Anästhesie – vorerst auf Eis legt. Wieder einmal hat sich ihr Leben gedreht. «Ich liebe es, im Moment zu leben. Ohne zu viel darüber nachzudenken, was kommen könnte», hält die quirlige Romande fest. «Du weisst nie, was passiert, also muss man Gelegenheiten nutzen.»

Switzerland's Elise Chabbey competes in the heats of the K-1 women's kayak slalom at Lee Valley Whitewater Center, at the 2012 Summer Olympics, Monday, July 30, 2012, in London. (AP Photo/Kirsty Wigglesworth)

Mit 19 Jahren nahm die Genferin als Kanutin an den Olympischen Spielen in London 2012 teil.

Keystone/ AP

«Ich liebe es, im Moment zu leben. Du weisst nie, was passiert»

Elise Chabbey

Das gilt für sie im Beruf, im Sport – und in der Liebe. Mit Sportphysiotherapeut Antoine Robin, 28, ist sie erst seit Kurzem zusammen. Der Hobbyläufer schwärmt von ihrer Unternehmungslust und ihren Kochkünsten. «Schauen wir mal, ich hab ein gutes Gefühl», sagt Chabbey, die sonst bei ihrer Schwester und nur vorübergehend hier bei Antoine wohnt.

«Ich habe einen sehr aggressiven Fahrstil»

Während der Radsportsaison ist sie ohnehin meistens unterwegs. Kürzlich trug sie an der Vuelta a Burgos in Spanien eine Zeit lang das Leadertrikot. Die 1,65 Meter grosse Sportlerin liebt schwierige Rennen bei garstigen Bedingungen: steile Anstiege, technisch schwierige Abfahrten, Regen. «Ich habe einen sehr aggressiven Fahrstil», sie probiert und kämpft, «ich kann beissen und bin hart im Nehmen». Kein Wunder, mag sie die schweren Frühlingsklassiker in Belgien besonders. Bei Lüttich–Bastogne–Lüttich etwa war sie 13., und das in ihrem erst zweiten Jahr. 

Elise Chabbey, née le 24 avril 1993 à Genève, est une céiste, coureuse de demi-fond et coureuse cycliste suisse et medecin. Genève mai 2021 ©Nicolas Righetti/Lundi13.ch

Zurzeit lebt Elise Chabbey in Collonges-sous-Salève, knapp zehn Kilometer ausserhalb von Genf in Frankreich. 

Nicolas Righetti/ Lundi13

Dass die Frauenrennen wie in Lüttich mehr oder weniger zeitgleich wie jene der Männer stattfinden, ist ein gutes Mittel, um sie zu fördern – die Infrastruktur, die Zuschauer und das mediale Interesse sind bereits vorhanden. Diesen Weg gehen nun auch die Organisatoren der Tour de Suisse. Die erstmalige Frauen-Version am Startwochenende der Männer umfasst dieses Jahr zwei Tage und hat Topteams am Start; in den kommenden Jahren soll sie laufend ausgebaut werden. «Es ist wirklich cool, ein internationales Rennen in der Schweiz zu haben. Das wird den Fokus ein wenig auf unseren Sport lenken, Visionen bringen», freut sich Elise. 

Nicht in Tokio – da startet eine andere Quereinsteigerin

Was für Chabbey im Thurgau möglich ist? Sie zuckt die Schultern. Mal schauen. «Ich muss noch so viel lernen, vor allem taktisch.» Alles probieren wird sie aber ohnehin. Als ambitioniertestes aller Geschwister hasste sie es schon immer zu verlieren. Um bei Spielen zu gewinnen, hat sie auch mal beschissen. «Aber das mache ich heute nicht mehr!», ruft sie und lacht. 

Den Kürzeren zieht sie jedoch  bei der Olympia-Qualifikation. Die Schweiz hat in Tokio nur einen Startplatz, und den wird wohl Marlen Reusser, die WM-Zweite und Europameisterin im Zeitfahren, kriegen. Auch Reusser ist Ärztin und Velo-Quereinsteigerin. Diese neue Generation im Frauenradsport ist erfolgshungrig und spektakulär – gut, gibts das nun auch in der Schweiz zu sehen.

Von Eva Breitenstein am 6. Juni 2021 - 08:15 Uhr