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  4. Marco Odermatt und sein Vater Walter über den Weltcup und ihre Unterschiede

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Die Kristallkugel für den Sieg im Gesamtweltcup hat Marco Odermatt knapp verpasst. Bitter für den 23-jährigen Skirennfahrer aus Nidwalden. Doch der alpine Überflieger lässt den Kopf nicht hängen. Auch wenn er mit dem Finale gehadert hat, schaut er bereits wieder nach vorne. Sina Albisetti
Ski-Ass Marco Odermatt

«Er ist der Coolste der Familie»

Woher Skirennfahrer Marco Odermatt diese unvergleichliche ­Gelassenheit hat, weiss sein Vater Walter auch nicht. Beeindruckt ist er dennoch von seinem Sohn, der beinahe den Gesamtweltcup gewonnen hätte.

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1817 Tage. Oder umgerechnet rund fünf Jahre. So oft ist Marco Odermatt in den 23 Jahren und fünfeinhalb Monaten seines Lebens bereits auf den Ski
gestanden. Dass er das so exakt weiss, liegt an seinem Vater Walter, 53, und dessen Excel-Tabelle, die er seit dem ersten gemeinsamen Skitag führt. Für andere ein Exzess, «für mich ist es ein Tagebuch», sagt Vater Odermatt. Früher schrieb er auch hinzu, ob es ein Riesenslalomtraining war oder freies Fahren, ob auf Gletscher oder Winterschnee. Einen genauen Grund für die Liste gebe es nicht. Vielleicht, weil er als Ingenieur ein sehr analytischer Mensch sei. 

Ein Zahlenmensch ohne Tabellen

Auch Sohn Marco ist ein Zahlenmensch, aber Tabellen über seine Karriere führt er selber keine. Und sein Kopf aktualisiert auch nicht unbewusst laufend alle Punktestände, wie es bei Mathematikliebhaberin Dominique Gisin früher der Fall war, sobald jemand über die Ziellinie fuhr.

Nein, was Marco Odermatt von den aktuellsten Zahlen halten soll, weiss
er auch noch nicht so genau. 167 Punkte Rückstand hatte er zum Schluss im Gesamtweltcup auf Sieger Alexis Pinturault, ganz knapp ist er am Sensationserfolg vorbeigeschrammt. «Es hat momentan noch einen bitteren Nachgeschmack», sagt der Buochser. «Wenn Gratulationen kommen, spüre ich immer noch dieses ‹aber› raus. Und ich denke momentan auch noch so.»

Marco Odermatt, Ski Alpin, Vater Walter, Interview, März 2021, SI 12/2021

Auf Augenhöhe: Walter und Marco Odermatt in Trübsee oberhalb von Engelberg. 

Remo Naegeli

Vorerst noch. Denn eigentlich kann Odermatt sehr wohl einschätzen, wie gut seine Leistung in diesem Winter gewesen ist. Es war gar nicht geplant, dass er um den Gesamtweltcup mitfährt. Irgendwann schon, natürlich. Aber dass er bereits jetzt so konstant vorne dabei ist – drei Siege, neun Podestplätze insgesamt – und den Routinier Pinturault bis zur allerletzten Rennwoche nervös macht, damit hat niemand gerechnet. 

So weit vorne zu sein, war gar nicht geplant

Und schliesslich ist es, als er das sagt, auch erst zwei Tage her, seit sich Odermatt in Lenzerheide nach dem letzten Rennen mit dem Team noch ein paar Frust- und zugleich Feierbierchen gegönnt hat. Nun ist er schon wieder auf dem Berg, aber diesmal ohne Ski: Bei den Titlis Bergbahnen erhält er eine eigene Gondel. Mit Engelberg ist er schon lange verbunden, hier hat er jahrelang die Sportschule besucht und mit der Matur abgeschlossen. Ausserdem kommt er immer wieder zum Skifahren her, zumindest die wenigen Male pro Winter, die ihm sein Kalender überhaupt freies Skifahren erlaubt. 

Marco Odermatt, 2021

Erst 23 und schon eine eigene Gondel. Odermatts Partner Garaventa und Titlis Bergbahnen würdigen seine Leistungen. 

Rainer Eder

Die ersten Skiversuche hat er als Zweijähriger auf der Klewenalp gemacht, gleich um die Ecke von Buochs NW, wo er aufgewachsen ist. Sobald es Schnee hatte, stand die Familie auf der Piste, Marco war schnell angefressen; der Nährboden der Karriere. Bis er etwa zwölf war, war Vater Walter, damals Trainer im Skiclub Hergiswil, die Hauptansprechperson des heutigen Weltklassefahrers. Um dessen Ski kümmerte er sich im Keller des Hauses noch ein wenig länger.

Dädi beantwortet die Fanpost

Und auch heute ist der Dädi noch stark in die Karriere involviert – allerdings gehts dabei schon lange nicht mehr um sportliche Finessen, wie Marco mit einem Grinsen erklärt. «Am Anfang habe ich auf ihn gehört. Und im FIS-Alter haben wir ab und zu noch die Videos zusammen angeschaut, und er hat seinen Senf dazugegeben.» Heute tauschen sie sich vor allem über die Karrierebereiche neben dem Sport aus, das Administrative, Marketingtechnische. Und Walter beantwortet im Winter die Fanpost. 

Marco Odermatt, Vater, 2021

«Moll, man ist schon stolz auf seine Kinder», sagt Vater Walter Odermatt. Und bodenständig sei Marco.

Remo Nägeli

Stolz? «Das ist so ein komisches Wort», sagt Walter Odermatt. «Moll, man ist schon stolz auf seine Kinder. Aber nicht auf die sportlichen Leistungen, sondern mehr, wie er sich als Mensch entwickelt hat.» Und er hoffe, das bleibe so. Bodenständig sei er, auch das ein etwas überstrapazierter Begriff, «aber es ist schon das». 

Und dann bewundert er den Junior auch für dessen unfassbare Gelassenheit und Nervenstärke. Von ihm habe er die auf jeden Fall nicht – und von Mutter Priska schon gar nicht. Er selbst sei schon bei Skirennen auf ganz anderem Niveau nervös gewesen.

Das «Champion»-Gen hat er in sich

Nervosität scheint für Marco Odermatt tatsächlich ein Fremdwort zu sein. Nicht mal in der Pubertät hat er aufbegehrt, selbst im Rennen um den Gesamtweltcup wurde er nie nervös. Egal, wen man fragt: Das «Champion-Gen» hat dieser Skifahrer in sich, er liefert, wenn es um etwas geht, kann gut mit Druck umgehen, er hat eine schnelle Auffassungsgabe, hat diesen Drang nach vorne, will lernen. Ein Beispiel sind die Plätze in den Weltcupabfahrten des Winters: 30., 12., 10., 8., 5. Eine Annäherung an die Disziplin war eigentlich das Ziel der Saison gewesen, nun hätte er an der WM als Vierter beinahe eine Medaille geholt. 

Und: «Er mag es nicht, wenn ich zu weit vorausschaue», sagt der Vater. Wäre, hätte, könnte interessiert Marco nicht, bloss das nächste Rennen. Daran hält sich Odermatt senior nun auch.

Ab und zu machen Vater und Sohn noch gemeinsam Sport. Dann nimmt Walter das E-Bike seiner Frau und Marco jenes ohne Antrieb. Und wenn der Vater voll gepowert fährt, kann der Sohn daneben immer noch plaudern. Ob es die Zahlen der Pulswerte von diesen Ausfahrten wohl auch irgendwo in einer Excel-Tabelle gibt?

Von Eva Breitenstein am 26. März 2021 - 18:00 Uhr