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Carmela Troncoso, die Frau hinter der Corona-App

«Es geht um den Schutz der gesamten Gesellschaft»

Das Smartphone kann Infektionsketten des Coronavirus nachverfolgen. Forscherin Carmela Troncoso sorgt dafür, dass der Staat dabei keine heiklen Daten sammelt.

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Carmela Troncoso APP Entwicklerin

«Ich schlafe kaum noch»: Professorin Carmela Troncoso, 37, sitzt jeden Tag 15 Stunden am Computer.

Blaise Kormann

Sie öffnet die Tür zu ihrer Wohnung in Lausanne und entschuldigt sich sogleich: Sie habe unser Treffen vergessen. Unter dem aktuellen Druck hat Carmela Troncoso, 37, das Zeitgefühl komplett verloren. In der Ecke steht verwaist eine Yogamatte. Ihre amerikanische Partnerin, ebenfalls Forscherin an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne EPFL, hat sich im Zimmer eingeschlossen, um ihren virtuellen Französischkurs zu absolvieren. Unsere Gastgeberin räumt schnell das unangetastete Mittagessen ab, stellt ihren Computer auf und ist nun bereit für unsere Fragen.

Tracing-App soll warnen

Carmela Troncoso verantwortet den Informatik-Teil der Corona-Tracing-App des Bundes. Die gebürtige Spanierin stiess Ende 2017 als Assistenzprofessorin zur EPFL. Sie ist auf den Schutz der Privatsphäre im IT-Bereich spezialisiert. Medien und Behörden bombardieren Troncoso regelrecht mit Anfragen. «Die technologischen und sozialen Herausforderungen bereiten mir schlaflose Nächte.»

Tracing-App: Der Begriff weckt Interesse und Misstrauen zugleich. Einfach gesagt, soll die Smartphone-Anwendung warnen, wenn man sich in kritischer Nähe zu einer mit dem Coronavirus infizierten Person befand (siehe Box). Wie siehts da aus mit Datenschutz? Das Parlament nimmt diesbezügliche Bedenken sehr ernst. Es hat in der Sondersession im Mai entschieden, dass die Lancierung der App eine gesetzliche Grundlage braucht – und nimmt so eine Verzögerung in Kauf. Ursprünglich sollte die App Mitte Mai zum Einsatz kommen, nun läuft lediglich eine Testphase. Der offizielle Start erfolgt voraussichtlich vor Ende Juni.

Carmela Troncoso APP Entwicklerin

Im Wohnzimmer verstaubt: das Computerspiel «Pandemic». Für ihr Hobby hat Troncoso momentan keine Zeit.

Blaise Kormann
Datenschutz als Hauptproblem

Niemand kennt die Risiken der App so gut wie Carmela Troncoso: «Wir werden Hunderttausende, wenn nicht Millionen von Menschen auffordern, unsere App herunterzuladen. Was, wenn wir zu viele Daten sammeln?» Darum ermahnt sie: «Die Daten müssen minimal und vor allem dezentral gespeichert werden.» Also nicht auf einem zentralen Rechner, sondern direkt auf unseren eigenen Telefonen. Wie wichtig das den Schweizer Forschern ist, zeigte sich vor Kurzem in einem Eklat: Die EPFL und die ETH Zürich beendeten die Zusammenarbeit am europäischen Projekt Pan-European Privacy-Preserving Proximity Tracing (PEPP-PT), da dieses eine zentrale Speicherung der Daten vorsieht. Die Schweiz geht ihren eigenen Weg.

Mit Troncoso hirnen 30 helle Köpfe aus acht Ländern an der Schweizer Corona-App. In der Deutschschweiz ist Marcel Salathé, 44, das Gesicht des Projekts geworden. Er leitet ausserdem die Gruppe «Digital Epidemiology» in der Covid-19-Taskforce des Bundes.

Nicht jeder wird die App verwenden

Die App könnte auch ohne Datenschützerin Troncoso lanciert werden, «aber das wäre eine schreckliche Option», schmunzelt sie. «Schauen Sie sich die Apps an, die in Asien verwendet werden: Mit Speicherung von Namen und Standorten der Nutzer, das ist so falsch!»

Die Schweizer App gewinnt immer mehr Überzeugungskraft. Deutschland hat sogar seinen Ansatz einer zentralen Datenspeicherung aufgegeben, um dem Schweizer Modell zu folgen. Die Erwartungen sind hoch, Carmela Troncoso weiss das. «Zu hoch. Denn die verwendete Bluetooth-Technologie ist nicht perfekt.» Die App werde wohl oder übel einige Leute durch die Lappen gehen lassen. Und selbst wenn man in der Nähe eines Infizierten war und eine Warnung erhält, heisst das nicht unbedingt, dass man selbst auch infiziert ist. «Die Anwendung allein ist kein Allerheilmittel, sondern eine Ergänzung zur manuellen Rückverfolgung der Infektionsketten.»

Troncoso ist klar, dass nicht jeder die App verwenden wird. «Es gibt Menschen, die kein Smartphone besitzen, die von der Technik überfordert sind oder die App schlicht nicht benutzen wollen.» Man sei auf diejenigen angewiesen, die es wollen und können. «Es geht nicht um den Nutzer als Einzelperson, sondern um den Schutz der gesamten Gesellschaft. Sobald eine Mehrheit die App benutzt, wird sie sehr nützlich sein.»

Übersetzt und bearbeitet von Onur Ogul

So funktioniert die App

Sie muss installiert sein und Bluetooth aktiviert. Das Smartphone überwacht so, zu welchen anderen Geräten, auf denen die App ebenfalls installiert ist, man weniger als zwei Meter Abstand hat. Die Informationen werden anonym auf dem eigenen Gerät während 21 Tagen gespeichert. Wer positiv auf das Coronavirus getestet wird, erhält einen Code zur Eingabe in die App. Nun bekommen all jene App-Nutzer eine Warnung, die kürzlich während eines Tages länger als 15 Minuten näher als zwei Meter zur infizierten Person waren – ohne Name, ohne Standort, ohne Zeitangaben.

Von Albertine Bourget (L'Illustré) am 30. Mai 2020 - 15:12 Uhr