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Corona-Massnahmen

«Es muss weitergehen, verdammt!»

Die Pandemie hält die Schweiz in Atem: Polizeiaufmarsch vor dem Bundeshaus, neue Regeln, strengere Auflagen. Wie denken Jung und Alt über die Massnahmen der Behörden, und wie gehen sie damit um? Wir haben uns umgehört.

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Daniel Schneider, Clubbesitzer, Sammelgeschichte Corona, 27. Oktober 2020, Biel

Daniel Schneider, Club-Betreiber, Biel BE

Fabienne Bühler
Angela Hett, Hausärztin, Corona Sammelgeschichte, 26. Oktober 2020, Erlinsbach AG
Fabienne Bühler
«Ich spüre bei Patienten grosse Dankbarkeit»

Angela Hett, 54, Hausärztin, Aarau AG

«In unsere Gruppenpraxis Pedalo im aargauischen Erlinsbach kommen immer mehr Menschen, die unter der ungewissen Situation leiden. Ältere, die Angst vor Vereinsamung haben oder unsicher sind, ob sie ihre Kinder und Enkel sehen dürfen. Bei Menschen mittleren Alters herrschen teilweise Ängste, Träger des Virus zu sein und es an die Eltern weiterzugeben. Ich habe auch immer wieder junge Erwachsene, die nach der Schule keine Lehrstelle oder nach der Lehre keinen Arbeitsplatz finden. Ich versuche, mir Zeit zu nehmen, höre zu. Ich berate meine Patienten gerne, oft auch in nichtmedizinischen Fragen. Immer wieder werde ich gefragt, ob Masken etwas bringen – da ist zu Beginn der Pandemie sehr viel Unsicherheit gestreut worden. Viele Patienten warten nicht im Wartezimmer, sondern vor der Eingangstüre auf ihren Termin. Pro Tag machen wir bis zu acht Corona-Tests bei Patienten mit Symptomen – die Hälfte davon ist positiv. Die Dankbarkeit der Patienten dafür, dass wir für sie da sind, ist gross. Ich kann nur sagen: Hände waschen, lüften, Abstand halten, Maske tragen! Ich bin viel an der frischen Luft, mache Sport, esse gesund. Weihnachten wird für uns alle eine grosse Herausforderung. Ich hoffe, wir finden Wege, um auch auf Distanz füreinander da zu sein.»

Adi Bolzern, Pfarrer und Seelsorger für Schausteller, Sammelgeschichte Corona, Kreuzlingen, 24. November 2020
Fabienne Bühler
«Wir dürfen das Lachen nicht vergessen»

Adrian Bolzern, 41, Pfarrer und Seelsorger aus Aarau AG

«Ich bin mit vielen Menschen in Kontakt, welche durch die Pandemie stark eingeschränkt sind. Vor allem ältere Menschen sind unsicher und haben viele Fragen: ‹Was will uns Gott mit diesem Virus sagen? Wieso muss ich das noch erleben? Warum kommen Sie nicht mehr zu Besuch?› PC und Telefon sind meine ständigen Begleiter. Und dann sind da noch die Schausteller, Zirkusleute und Markthändler, die Existenzängste plagen. Ich hörte schon oft den Satz: ‹Sprich du mal mit deinem ‚Chef’, was das mit der Pandemie soll! Leider hat mir mein ‚Chef’ bis heute auf diese Frage keine Antwort gegeben!› Auch ich habe da keine Lösung parat. Ein besonders trauriges Ereignis erlebte ich zur Zeit des Lockdowns: eine Beerdigung mit nur fünf Personen und zwei Meter Abstand. Es brach mir fast das Herz, die Angehörigen zu sehen. Und zu spüren: Es würde ihnen so guttun, wenn sie sich umarmen dürften. Doch ich versuche, allen Menschen zuzuhören und mit ihnen diesen schwierigen Weg zu gehen. Meine Devise lautet: Christen sind die, die Hoffnung haben. Auch der Humor ist mir sehr wichtig. Ich sage: Gott hat Humor, er hat den Menschen erschaffen! Wir Menschen dürfen vor lauter Tragik und Bedrängnis das Lachen nicht vergessen – Amen und Halleluja!»

Daniel Schneider, Clubbesitzer, Sammelgeschichte Corona, 27. Oktober 2020, Biel
Fabienne Bühler
«Wir liefern geistige Nahrung und Emotionen»

Daniel Schneider, 61, Betreiber «Le Singe», Biel BE

«Es ist vierzig Jahre her, dass ich – damals noch als Roadie – in mein Metier eingestiegen bin. Mittlerweile leite ich den Club «Le Singe» in der Bieler Altstadt. Der Weg dahin war wahrlich nicht immer einfach. Doch letzte Woche, als ich nach dem erneuten Lockdown der Kulturlokale im Kanton Bern in der Nacht schlaflos im Bett lag, fragte ich mich zum ersten Mal, ob es damals die richtige Entscheidung war, in die Kultur zu gehen. Den ersten Lockdown schafften wir noch irgendwie. Das Schlimmste an der zweiten Welle ist, dass die Behörden es verschlafen haben, ein Konzept für meine Branche auszuarbeiten. Jetzt stehen viele Menschen in meinem Umfeld vor dem Abgrund: Freelancer, Musiker, Künstler – meine Freunde wissen nicht, wie sie finanziell durch einen zweiten Lockdown kommen sollen. Von uns hat niemand grosse Reserven auf dem Bankkonto. Und meinen Freelancern kann ich gerade mal eine finanzielle Lösung bis am 23. November anbieten. Nur: Wie soll es danach weitergehen? Keine Ahnung. Ich weiss nur, dass es weitergehen muss, verdammt! Wir liefern geistige Nahrung, Live-Musik, Emotionen, die man nicht auf Netflix bekommt. Das ist so was von relevant für unsere Gesellschaft! Mit dieser Gewissheit konnte ich dann wenigstens wieder einschlafen.»

Lara Adamou, Oberstufenlehrerin, Sammelgeschichte Corona,  Steinhausen ZG, 26.
Fabienne Bühler
«Ich habe keine Angst, aber Respekt»

Lara Adamou, 25, Lehrerin, Steinhausen ZG

«Die zweite Corona-Welle, die wir erleben, war an unserer Schule schon früh ein Thema. Mich überrascht sie nicht, da die Schulleitung sehr vorausschauend informiert. Persönlich verzichtete ich dieses Jahr auf Ferien im Ausland. Ich habe zwar keine Angst, aber Respekt vor diesem noch wenig erforschten Virus. Deshalb schütze ich mich; ich möchte so verhindern, das Virus durch Fahrlässigkeit in meine Familie, den Freundeskreis oder das Arbeitsumfeld zu schleusen. Meine grösste Hoffnung ist, dass sich die Situation normalisiert und das Leben wieder einspielt. Aber im Moment ist das wohl nicht realistisch, deshalb hoffe ich wenigstens, dass man lernt, damit umzugehen und dass jeder Einzelne schaut, was er dazu beitragen kann. Was die Schutzmassnahmen seitens des Bunds und der Kantone angeht, glaube ich, ist es nicht so einfach, die richtige Vorgehensweise zu finden. Man will ja den Menschen nicht ihre Freiheiten nehmen und auch keine Angstmacherei betreiben, doch braucht es gleichzeitig gewisse Einschränkungen, was unsere Gesellschaft zum Teil nicht mehr gewohnt ist. Grundsätzlich denke ich, dass der Bund im Moment das Zepter wieder stärker in die Hand nehmen sollte, um einheitliche Massnahmen zu definieren. Dies wird nächstens wohl auch so eintreffen.»

Franz Müller, Alpkäser, Sammelgeschichte Corona, Urnerboden, 25. Oktober 2020
Fabienne Bühler
«Wir sollten ohne Murren die Auflagen einhalten»

Franz Müller, 74, Käser, Urnerboden-Spiringen UR.

«Das Jahr ist für mich – trotz Corona – sehr gut herausgekommen. Viele Leute sind ja dieses Jahr wegen der Pandemie in der Schweiz geblieben und verbrachten ihre Sommerferien im Land. So kamen auch bei mir auf dem Urnerboden mehr Leute als sonst vorbei, um Käse zu kaufen. Ich selbst habe keine Angst vor dem Virus, aber Respekt. Deshalb halte ich Abstand, trage Maske – und bereits im Frühjahr, als die erste Corona-Welle da war, liess ich mir die nötigen Einkäufe von einer Bekannten mitbringen. Die legte sie dann jeweils bei mir draussen im Auto ab – und ich holte sie später ins Haus. Wenn jetzt dann bald der Schnee kommt, werde ich das wohl wieder genauso handhaben. An die Auflagen der zuständigen Behörden halte ich mich ohne Murren, insbesondere an das, was der Bundesrat sagt und empfiehlt. Daran sollten sich meiner Meinung nach auch alle anderen halten, um Corona in den Griff zu bekommen. Es ist schlimm, wenn sich jeden Tag Tausende Menschen mit diesem Virus infizieren. Wenn es mir meine Gesundheit erlaubt, bleibe ich die kommenden Wintermonate hier in meiner Hütte auf dem Urnerboden. Sollte ich krank werden, dann habe ich drüben auf der anderen Seite des Klausenpasses – im Schächental – sowohl meinen Doktor als auch meine Geschwister.»

Von Schweizer Illustrierte am 31. Oktober 2020 - 07:09 Uhr