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Volksschauspieler Erich Vock & Vincenzo Biagi

«Jede Runzel ist ein Kapital»

150 Jahre Theatererfahrung! Dieses Jahr feiert Erich Vock seinen 60. und Vincenzo Biagi seinen 90. Geburtstag. Die beiden bekannten Volksschauspieler stehen seit Jahren gemeinsam auf der Bühne – aktuell in zwei Produktionen.

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Vincenzo Biagi Schauspieler, Erich Vock Schauspieler und Regiesseur, Doppelinterview, Theater Hechtplatz Zuerich, SI 07/2022

Zwei Theatergrössen: «Ich bin 1,71 Meter – gsi», sagt Erich Vock (r.). «Ich 1,73 Meter – gsi», sagt Vincenzo Biagi.

Geri Born

«Gefalle ich dir, Vinci?», fragt Erich Vock, 60, und zupft am roten Schal. «Sauguet!», sagt Vincenzo Biagi, 89. Die Theaterschaffenden lachen. Seit 1997 arbeiten sie zusammen, spielten gemeinsam in 25 Produktionen, standen 1549-mal zusammen auf der Bühne – wie auch heute auf der des Theaters am Hechtplatz in Zürich. Für Erich macht Vinci eine Ausnahme und gibt der Schweizer Illustrierten sein erstes Interview seit Jahren.

Vincenzo Biagi Schauspieler, Erich Vock Schauspieler und Regiesseur, Doppelinterview, Theater Hechtplatz Zuerich, SI 07/2022

Schätzen und mögen sich: Erich Vock (l.) und Vincenzo Biagi im Theater am Hechtplatz in Zürich.

Geri Born

Vincenzo Biagi und Erich Vock, wann sind Sie einander zum ersten Mal begegnet?
Erich Vock: Vincis Hand habe ich erstmals am Geburtstag von Max Röthlisberger geschüttelt, 1990 im Musiksaal des Stadthauses. Du warst mit deiner Frau Ruth da. Das war eindrücklich, denn auf den siebten Geburtstag bekam ich die Langspielplatte «Räuber Hotzenplotz». Deine Stimme geht nie mehr aus den Ohren. Und ich weiss noch – in «Nid jetz, Schatz!» hast du so einen galanten, unmöglichen Mann gespielt und bist deiner Frau «nebed use». Als Bub fand ich dich deshalb blöd.
Vincenzo Biagi: Ja, verreckt. Das war mit Ruedi Walter und Margrit Rainer. Wenn ich alte Filme sehe, sage ich: «De isch nüme da, de au nüme …»
Vock: Aber das Urgestein Biagi ist noch da!
Biagi: Noch ein «bitzeli». Ich kann zufrieden sein.
Vock: Du, Vinci, ich glaube, du bist einmal bei der «Niederdorfoper» für Hansjörg Bahl eingesprungen, als ich den bleichen Jüngling spielte, 1989.
Biagi: Stimmt, aber nicht für Bahl, sondern für einen anderen der drei Gauner.

«Die kleine Niederdorfoper» zieht sich durch das Theaterleben von Ihnen beiden.
Biagi: Ich hab sie dreimal gespielt, 68, 78, 86, beim vierten Mal bin ich eingesprungen. Und dann war ich bei Erichs Produktion wieder dabei.
Vock: Es ist ein riesiges Stück mit 24 Rollen, da spielten viele mit. Der Erfolg war ein Meilenstein.
Biagi: Ich lernte 1968 auch meine Frau Ruth dank der «Niederdorfoper» kennen. Sie sprach mich in der Beiz an: «Sie spielen doch in der ‹Niederdorfoper. Gibts noch eine Rolle?›» – «Ja, eine Hure müssen wir noch besetzen.» Sie sang dann bei Paul Burkhard vor.

Vincenzo Biagi Schauspieler, Erich Vock Schauspieler und Regiesseur, Doppelinterview, Theater Hechtplatz Zuerich, SI 07/2022

Erich Vock Seit 1994 führt der Aargauer (geboren 16. 2. 1962) die Zürcher Märchenbühne. Dem TV-Publikum ist er bekannt aus «Fertig lustig» oder Friends-Mitglied bei «Benissimo». Mit Partner Hubert Spiess produziert er erfolgreich Theaterstücke. Das Paar lebt in Zürich.

Geri Born

«Bei Vinci und mir ­existiert noch immer die kindliche Freude am Spiel»

Erich Vock

Sie haben Ihre Frau relativ spät geheiratet.
Ja, mit 59, wir waren 20 Jahre unverheiratet. Aber es ging nicht, dass meine liebe Frau, mit der ich «de Plausch» hatte, mit nichts dagestanden wäre, wenn mir was passiert wäre. So sagte ich: «Jetzt wird geheiratet!»

Sie, Erich Vock, sind mit Hubert Spiess bald 30 Jahre liiert. Wollen Sie heiraten?
Vock: Sicher. Wir haben für die gleichgeschlechtliche Ehe gekämpft, und das Stimmvolk sagte grossartigerweise Ja. Da wäre es komisch, wenn wir jetzt nicht heiraten würden.

Sie sind beide kinderlos.
Biagi: Absichtlich! Ich habe gern Kinder und die zwei meiner Schwester mit aufgezogen, ihnen schwimmen, Velo und Auto fahren beigebracht. Aber eigene Kinder haben mich nie interessiert, und ich hab sie auch nie vermisst.
Vock: Ich wollte auch nie Kinder, hätte zu viel Respekt vor der Verantwortung. Und ich wäre kein guter Vater. Der Beruf war mir stets so wichtig. Es ist kein Ersatz für eigene Kinder, aber das, was wir den Kindern mit der Märchenbühne geben, ist etwas Wunderschönes.
Biagi: Ich spiele sehr gern für sie. «Räuber Hotzenplotz» hat mir unheimlich Spass gemacht.

Hält Theater fit?
Biagi: Aber sicher, vor allem im Kopf! Das Textelernen ist nicht schlechter geworden. Und Erich hat ein enormes Gedächtnis. (Beide lachen.)
Vock: Also körperlich fit bist du vom Schwimmen!
Biagi: Wenn man das jahrelang so regelmässig macht – Kraul, Brust, Rücken –, «hebeds scho ane». Aber jetzt gehe ich seltener, die vielen Leute ertrage ich nicht mehr. Das letzte Mal habe ich einen Parkplatz gesucht … Ich war total «verruckt».
Vock: Sport ist absolut nicht meins, nur gegen meine Rückenschmerzen mache ich Übungen. Seit zehn Jahren hatte ich keinen Hexenschuss mehr, davor jährlich zwei. Und ich bin überzeugt, dass Sprachen lernen oder sie wieder auffrischen ein gutes Training für «d Birre» ist.

Vincenzo Biagi Schauspieler, Erich Vock Schauspieler und Regiesseur, Doppelinterview, Theater Hechtplatz Zuerich, SI 07/2022

Vincenzo Biagi Der Zürcher (geboren 3. 4. 1932) steht seit 1960 auf der Bühne – 19 Jahre fürs Theater Kanton Zürich – und ist bekannt für seine sonore Stimme («Räuber Hotzenplotz», «Dominik Dachs»). Biagi ist freischaffend und lebt in Zollikerberg ZH.

Geri Born

«Ein Tänzer hat seine Jahre. Ein Schauspieler kann ewig arbeiten, solange es im Hirn funktioniert»

Vincenzo Biagi

Weshalb blieben Sie beide dem Theater treu?
Biagi: Die Begeisterung hält an. Es ist eine andere Welt. Mir macht es wahnsinnig Freude, in Rollen, Kostüme und Masken zu schlüpfen.
Vock: Wer unser aktuelles Stück «Floh im Ohr» schauen kommt und Vinci sieht, erkennt wahre Lust am Spiel. Ich finde: Bei dir und bei mir existiert noch immer die kindliche Freude am Spiel.

Wollen Sie deshalb nicht aufhören, Herr Biagi?
Eigentlich schon. Ein Tänzer hat seine Jahre. Ein Schauspieler kann ewig arbeiten, solange es da oben im Hirn funktioniert.
Vock: Gott sei Dank! Für das Publikum ist das ein riesiges Geschenk und macht das Stück reichhaltig. Ich hätte auch einen 40-Jährigen mit der Rolle besetzen können. Dieser hätte den Alten gespielt, aber du, Vinci, bist es!
Biagi: So kann man eben «driiwachse», gell, Erich!

Sie, Herr Vock, hören 2025 auf. Wieso?
Vock: Hubert und ich sind Regisseure, Produzenten, Schauspieler, leiten einen Betrieb. Als wir mit Produktionen wie «Die kleine Niederdorfoper» oder «La Cage aux folles» begannen, wussten wir, dass wir das nicht bis 70 machen können. Ich habe genug gearbeitet, genug gespielt. Aber es ist eine andere Situation. Vinci ist Schauspieler, kommt und macht. Früher gab es Anne-Marie Blanc, Maria Becker, Grete Heger, die lange kleine Rollen spielten. Heute gibts das viel zu selten.
Biagi: Ich habe auch viel weniger Stress als ihr. Und im Alter darfst du dir ein anderes Leben wünschen und geniessen, was du geschaffen hast.
Vock: Vor allem will ich die Zeit mit Hubert geniessen und nicht arbeiten, bis einer krank wird.
Biagi: Ihr habt vollkommen recht.

Ist es schwierig, als Schauspieler zu altern?
Vock: Wir sind privilegiert, Vinci. Für uns war es bisher sicher nicht schlimm. Jede Runzel ist eher noch ein Kapital.

Nehmen Sie das Altern privat auch so gelassen?
Vock: Ja, ich will mich nicht gehen lassen, aber weiss, dass ich nicht mehr eine Figur wie ein 40-Jähriger haben muss. Vinci hat noch ein Figürli comme il faut.
Biagi: Ich spielte mal einen jungen Liebhaber, aber nicht sehr lange. Die Liebhaber waren nicht so geeignet für mich. Die sind alle langweilig – wie die Prinzen.
Vock: Lieber de «Chuchipurscht», gell?!

Wie ist es, Identifikationsfigur von «Hotzenplotz» oder «Ricola-Mann» zu sein?
Vock: Als die Werbung lief, fanden es die Leute originell, mir im Tram ein Ricola anzubieten.
Biagi: Ich war mal in Griechenland beim Floss draussen am Schwimmen. Als ich zurückkam, sagte meine Frau: «Du, da kamen Kinder gerannt und riefen ‹Hotzeplotz isch ufm Floss!›.» (Lacht.)
Vock: Irrsinnig. Das ist ein grosses Kompliment, wenn Leute noch heute finden: Diese Stimme ist der Hotzenplotz. Wer erreicht das schon?

Vincenzo Biagi Schauspieler, Erich Vock Schauspieler und Regiesseur, Doppelinterview, Theater Hechtplatz Zuerich, SI 07/2022

Aktuell sind sie auf der Märchenbühne mit «Urmel aus dem Eis» zu sehen und mit «Floh im Ohr» im Bernhard Theater.

Geri Born

Wie empfinden Sie Ihre sonore Stimme?
Biagi: Ich war ja erst Klosterschüler in Einsiedeln und sang im Chor hoher Sopran! Dann bekam ich mit zwölfeinhalb den Stimmbruch, die Stimme fiel runter wie der Blitz. Der Arzt sagte mir, ich habe eine Stimme wie ein Cello.

Was konnten Sie voneinander lernen?
Biagi: Bei Erich lernt man Präzision. Da ist er schon ein bisschen pingelig, möchte ich sagen.
Vock: Vinci ist der grossartige Vinci. Was ich nicht lernen konnte, aber was ich oft sage: Vinci strahlt eine Gelassenheit aus. Das bewundere ich sehr.

Sind Sie ein zufriedener Mensch, Herr Biagi?
Biagi: Ich bin zufrieden, ja. Ich bin an einem Weissen Sonntag geboren und habe auch viel Glück. Seit meine Frau verstorben ist, ist es aber nicht mehr das Gleiche daheim. Wir konnten übers Theater reden und diskutieren. Die Katze hört zwar zu … (Lacht.)
Vock: Ich bin auch sehr zufrieden. Im Beruf bin ich oft unzufrieden, nicht leicht zufrieden- zustellen. Aber im Leben bin ich wirklich auf die sonnige Seite gefallen.

Von Aurelia Robles am 19. Februar 2022 - 12:00 Uhr