1. Home
  2. People
  3. Swiss Stars
  4. Gewinnerin des Salzburger Stier 2021: Gewinnerin des Salzburger Stier 2021

Gewinnerin des Salzburger Stier 2021

Lara Stoll ist eine Schein-Optimistin

Kuriositäten und alltägliche Dinge interessieren Künstlerin und Slam-Poetin Lara Stoll mehr als Trends, die alle mitmachen. Für ihr Schaffen erhält die Thurgauerin den «Salzburger Stier 2021». Und sowieso endet das Jahr für sie gerade noch gut.

Artikel teilen

Lara Stoll, Slam-Poetin, Filmemacherin, Schauspielerin und Autorin, Gewinnerin Salzburger Stier, 2. Dezember 2020, Zürich

Stille Unterredung im Freibad Letzigraben in Zürich zwischen Künstlerin Lara Stoll und einem «Erdtaucher» von Max Grüter.

Fabienne Bühler

Liebe auf den ersten Blick: Die Katze schmiegt sich sofort an Lara Stoll, 33. «Ich war immer eine Hundeperson, aber langsam mutiere ich zur Katzenfrau.» Nach fünf Minuten will die Künstlerin fürs erste Foto aufstehen – da beisst die Katze zu! Den rapiden Gefühlswechsel des Tiers nimmt Stoll gelassen. «So ist mein Leben.» Im Freibad Letzigraben in Zürich erhält sie Erste Hilfe, nach dem Interview soll sie sich noch gegen Tollwut impfen lassen. «Ich wollte ja in die Schweizer Illustrierte, um in allen Arzt-und Zahnarztpraxen zu landen. Aber ich hab mirs doch etwas anders vorgestellt.»

Lara Stoll, Slam-Poetin, Filmemacherin, Schauspielerin und Autorin, Gewinnerin Salzburger Stier, 2. Dezember 2020, Zürich

Eine Begegnung, die mit Biss und beim Arzt endete. Lara Stoll will ohnehin irgendwann einen Hund.

Fabienne Bühler

Lara Stoll, keine Floskel: Wie geht es Ihnen?
Das kann ich nicht genau sagen. Das Jahr war eine Achterbahnfahrt. Kaum passiert was, passiert das nächste, das mich amigs durchschüttelt. Hoffentlich kehrt bald Ruhe ein. Ich muss mich sortieren, entspannen und stabilisieren. Immerhin bin ich gut in Krisensituationen. Ob die Katze beisst oder die Wohnung brennt: Ich bleibe ruhig und verliere den Humor nicht. Wohl eine Strategie.

Hatten Sie Zeit zu sinnieren?
Kaum war der Lockdown da, fing ich an, mein Bühnenprogramm zu schreiben, so konnte ich vieles sofort verarbeiten, den Lockdown, Einsamkeit oder die Hunde von Daniel Koch. Ich hab mich aber schon gefragt: Wann kann ich auf die Bühne? Bekomme ich Geld vom Bund? Zum Glück haben sich die existenziellen Ängste gelegt.

Wurden Sie entschädigt?
Ich bekam ein bisschen Erwerbsersatz und Auftrittsentschädigung, etwa 2300 Franken im Monat.

Haben Sie 2020 öfter zur Flasche gegriffen?
Zuerst extrem wenig. Dann dachte ich, dass ich schon etwas mehr sollte (lacht). Und dann fand ich wieder das Mittelmass.

Wäre 2020 als Wein ein guter Jahrgang?
Gute Frage. Es wäre wohl so ein Naturwein, bei dem man denkt: «Ui nei, was ist das? Geht ja gar nicht!» Dann lässt du ihn atmen, und einige Zeit später stellt er sich als sehr interessant heraus. Dieses Jahr besiegelte viele Schicksale, zwang einen, den Finger rauszunehmen und Entscheidungen zu treffen, die man sonst nicht getroffen hätte, beruflich und privat. Ich etwa bin Corona-bedingt mit meinem Freund zusammengezogen.

Lara Stoll, Slam-Poetin, Filmemacherin, Schauspielerin und Autorin, Gewinnerin Salzburger Stier, 2. Dezember 2020, Zürich

«Das Jahr zwang einen zu Entscheiden, die man sonst nicht getroffen hätte», sagt Lara Stoll. «Ich etwa zog Corona-be-dingt mit meinem Freund zusammen.»

Fabienne Bühler

Sie besuchten das Lehrerseminar. Ihr Plan B?
Sicher nicht! Aber ich sage mir, falls ich nicht mehr von meiner Kunst leben kann, versuche ich mich als Wirtin hinter der Bar, in einer Chnelle. Aber eben, die Gastronomie hat schon genug Probleme.

Aktuell sind Sie sehr gefragt. Erhalten den Kleinkunstpreis «Salzburger Stier» …
und viele Medien haben angeklopft. Ich nenne es die Medienvielfalts-Diät, weil ich abgenommen habe. Ich möchte dieses Jahr keine Termine mehr und vertröste auf 2021. Ich will jetzt in Ruhe schaffen! Mal ausschlafen, mich ins Büro hocken und an all meinen Projekten arbeiten und auch mal wieder Feierabend haben.

Was mussten Sie für den Stier tun?
Hartnäckig sein und einfach machen.

Wo passt der Stier in Ihrer Wohnung hin?
Ich glaube, ich stelle ihn für eine Woche auf das Cheminée. Entweder vergesse ich ihn dort, oder ich bringe ihn wie alles andere zu meinen Eltern, die wegen meines jüngsten Umzugs gerade das Sammelbecken für alles Mögliche sind.

Zum Beispiel?
Krimskrams, alte Filmrequisiten, meine halbe Schaufensterpuppe mit Helm – alles geht zu meinen Eltern nach Rheinklingen im Thurgau.

Lara Stoll, Slam-Poetin, Filmemacherin, Schauspielerin und Autorin, Gewinnerin Salzburger Stier, 2. Dezember 2020, Zürich

Feierabend! Nach einem «Achterbahnjahr» sehnt sich Lara Stoll in der Weihnachtszeit vor allem nach Ruhe.

Fabienne Bühler

Mit Ihrem neuen Programm konnten Sie doch noch Premiere feiern, «Gipfel der Freude». 
Als ich den Titel bekannt geben musste, kannte ich den Inhalt noch gar nicht genau, und Corona war erst am Anfang. Es ist überhöht und sarkastisch gemeint, ich bin eine Schein-Optimistin.

Was machte Ihnen denn Freude?
Es entstanden schöne Projekte. Viktor Giacobbo brachte mich auf die Idee, ein Buch in Angriff zu nehmen. Ein Projekt, von dem ich nicht gedacht hätte, dass es mich so happy macht. Chli umechnuschte, etwas, bei dem du keine anderen Leute brauchst. Aber wer das Buch lesen will, sollte mich ein bisschen verstehen.

Was missverstehen die Leute an Ihnen?
Bei Interviews äussere ich mich hin und wieder flapsig und auch extrem. Aber in unserer Gesellschaft will man sich manchmal auch falsch verstehen, man gibt sich keine Mühe mehr, sich auf Unbekanntes einzulassen. Viele reagieren gehässig und intolerant. Bei meinen Lesungen nehme ich die Leute in meinen Mikrokosmos, in meine Probleme rein. Wenn mein Text sieben Minuten lang darum geht, wie meine Pizza nicht ankommt und ich zusammenbreche, denken wohl viele «Hä?». Es ist eine sarkastische, spezielle Sprache, darauf müssen sie sich einlassen.

In Ihrer Kunst geht es oft um die kleinen, alltäglichen Dinge. Gibt es etwas, das Sie anödet?
Manchmal ich mich selbst, und zwar sehr fest. So sattelfest ich mich in «grossen» Krisen bewähre, so können mich Kleinigkeiten total durchschütteln, und dann stehe ich mir selber im Weg.

Welche Themen gingen dieses Jahr unter?
Diejenigen, die mir nun nicht einfallen. Ich weiss bereits nicht mehr, worüber wir im September abgestimmt haben. Alles ist überdeckt von den globalen Überthemen, die zeigen, wie vernetzt wir sind.

Lara Stoll, Slam-Poetin, Filmemacherin, Schauspielerin und Autorin, Gewinnerin Salzburger Stier, 2. Dezember 2020, Zürich

Die Tausendsassa und Weinliebhaberin designt T-Shirts. Die «Stollishirts» gibts für CHF 21.– unter larastoll.ch.

Fabienne Bühler

Die Klimakrise.
Das ist ja das brutale grosse Ding, das noch hinter all dem lauert!

US-Präsidentschaftswahlen.
Ich hatte Kollegen, die während der Auszählung tagelang wach geblieben sind. Es ist verrückt, dass die USA nach wie vor diese Softpower auf uns hat. Wie wir rüberschauen, obwohl das Land am Zerfallen und gespalten ist.

Die Bewegung Black Lives Matter.
Heftig. Ich staune schon sehr, wie solche rassistischen Vorkommnisse noch heute geschehen. Aber auch da: Würden wir auf die Strasse gehen und aufschreien, wenns in Syrien statt in den USA passiert wäre? Es ist nicht verhältnismässig – damit meine ich nicht die Bewegung, sondern wie wir auf die USA reagieren. Seien wir ehrlich: Wie viel Bullshit passiert auf der ganzen Welt?!

Die Schweiz war 2020 nach 30 Jahren wieder die erfolgreichste Ski-Nation.
Gipfel der Freude! Ich fahre nur alle paar Jahre Ski, für mich ist es zu teuer.

Sauerteig ist im Trend.
Auf der Bühne behaupte ich, dass ich einen im Hosensack habe, der mir als Stressklumpen dient, ich knete dann darauf herum, wenn ich die News lese. Sauerteig ist doch toll, es ist so ein Ding zwischen Haustier und Pflanze – und man kann davon essen! Aber Trends, die alle mitmachen, reizen mich irgendwie nicht so sehr.

Sie haben sich keinen Hund zugetan?
Nein, ein Auto im Oktober, einen alten Toyota! Das ist auch wie ein Kind oder ein Tier, weil ich oft früh aufstehen muss, um umzuparkieren.

Wie wird der Abgang von 2020?
Hoffentlich unaufgeregt, es war genug, für alle. Jetzt einfach kein Getto mehr 

Von Aurelia Robles am 21. Dezember 2020 - 06:09 Uhr