Olga Titus (47) hat gerade viel ob. Eben hat sie ihr Dossier für einen Kunstwett- bewerb persönlich nach St. Gallen gebracht, in Zürich ihre Soloshow eröffnet, und ihre Galerie in New York organisiert, dass ihr Exponat an eine Messe in Miami kommt. Dieses Jahr hat Olga Titus schon viel erreicht: Ihre Einzelausstellung im Kunstmuseum Thurgau ist noch bis 15. Dezember zu sehen, im Kunsthaus Glarus erhielt sie im Rahmen der Ausstellung «Kunstschaffen Glarus» den Publikumspreis, und der Kanton Zürich zeichnete sie mit dem mit 24 000 Franken dotierten Werkbeitrag aus. «Stimmt, 2024 ist ein erfolgreiches Jahr», sagt sie – fast ein wenig erstaunt über das Erreichte.
Kunterbuntes Atelier
In ihrem Atelier in Winterthur zeigt das farbenfrohe Durcheinander, dass hier vieles am Entstehen ist und die 47-jährige Künstlerin nicht auf ihrem Erfolg ausruhen wird. Mit ihrer Kunst lädt Olga Titus das Publikum ein zum Eintauchen in eine farbenstarke und verwirrende Bilder- welt. Sie arbeitet mit Stoff, Papier, Plexiglas oder Aluminium, bringt mit verschiedenen Drucktechniken Digitales wieder ins Analoge, sodass ihre Werke vortäuschen, gemalt zu sein.
In ihren Arbeiten finden sich immer wieder Symbole und Fragmente aus dem hiesigen und dem asiatischen Kulturkreis, eine Reverenz an ihre Herkunft: Ihre Mutter stammt aus dem Bündnerland, ihr Vater hat seine Wurzeln in Indien und Malaysia. Für Olga Titus ist es kein Widerspruch, diese unterschiedlichen Symbole zu vermischen: «Ich interessiere mich für die Schnittstellen zwischen Kulturen und dem, was im Raum dazwischen passiert.» Diesen Spielraum macht sie auch bei ihren «Paillettengemälden» sichtbar. Die grossflächigen Bilder sind ihr Markenzeichen. Für diese bedruckt sie Pailletten beidseitig, auf jeder Seite mit einem anderen Motiv. Je nach deren Lage und Lichteinfall entsteht ein anderes Bild.
Inspiration im Kinderkleiderladen
Diese Technik kennen wir von Kinderpullis – und tatsächlich hat ein Besuch mit der schwangeren Schwester in einer Kinderkleiderabteilung Olga Titus dazu inspiriert, mit Pailletten zu arbeiten. Die gelernte Stickereientwerferin liebt es, tief in die Materie einzutauchen, sie will das Handwerk verstehen und nicht einfach ihre Arbeit auslagern. Auch wenn das bedeutet, dass sie ihre ersten Versuche mit den «Paillettengemälden» selbst von Hand aufbügelt.
«Olga Titus erkundet mit viel Neugier neue Materialitäten und Materien wie eine Pionierin. Sie hat enorme Fachkenntnis in den unterschiedlichsten analogen und digitalen Bereichen», sagt Stefanie Hoch. Die Kuratorin des Kunstmuseums Thurgau hat mit Olga Titus im Rahmen der Einzelausstellung zusammengearbeitet. Im Kunstmuseum Thurgau verwandelt Olga Titus den Keller mithilfe von Stoffen, Tapeten und Videos in eine Grotte, in der sich ein Paradiesgarten als optische Illusion erweist. «Es war faszinierend, wie sie diesen Gewölbekeller verwandelt hat», erinnert sich Kuratorin Hoch. «Sie ging sehr strukturiert vor und wusste genau, was sie wollte. Gleichzeitig liess sie immer einen Spielraum, um spontan auf neue Möglichkeiten zu reagieren.»
Grosse Ehre: ein Auftrag von Dior
2020 wurde das Luxushaus Dior auf die im Thurgau aufgewachsene Künstlerin aufmerksam, als sie an einer Messe in Paris ausstellte. Als eine der wenigen Kunstschaffenden, die jedes Jahr ausgewählt werden, bekam Olga Titus die Gelegenheit, eine «Lady Dior» – eine ikonische, Prinzessin Diana gewidmete Dior-Tasche – zu gestalten. Drei Handtaschen durfte sie entwerfen, nur jeweils 100 gibt es davon auf der ganzen Welt. Sie zeigen Olga Titus’ typischen Paillettenlook. Und mit den folkloristischen Maskengesichtern sind sie eine Reverenz an ihre asiatischen Wurzeln. Drei ihrer ganz persönlichen Dior-Handtaschen gehören ihr nun, doch sie sind fast zu fragil, um im Alltag benützt zu werden.
Materieller Luxus bedeutet ihr allerdings nicht viel. «Für mich ist es Luxus, dass ich meine Träume verwirklichen kann.» Natürlich spüre sie auch einen finanziellen Druck, «aber ich kann meine Zeit trotzdem dem widmen, was mich interessiert». Vor vier Jahren gab sie ihren Brotjob als Special Assistance für Fluggäste mit Betreuungsbedarf am Flughafen Zürich auf, seither lebt sie ganz von ihrer Kunst. Ihre Werke kosten zwischen 1000 und 25 000 Franken, das teuerste 40 000 Franken. Sie hat auf ihre Erfolge hingearbeitet, ist sich aber bewusst: «Ein bisschen Glück gehört dazu – und es kann vergänglich sein.»
Reisen für die Inspiration
Auch ein Luxus: das Reisen. Jeden Winter zieht es sie für eine längere Reise nach Asien. Dort taucht sie ein in das farbige Alltagschaos, reist mit dem Zug, besucht Verwandte, verliert sich auf den vielen kleinen und grossen Strassenmärkten. Und findet Inspiration. Immer mal wieder bringt sie auch die wunderlichsten Gegenstände nach Winterthur, auf dem Seeweg ein abgenütztes Wellblech von einer Strassenecke in Indien, im eigenen Gepäck im TGV ein kleines Piano von einem Flohmarkt in Paris.
Der heimliche Star: Dackel Ölfi
Wenn Olga Titus in ihrem Atelier an einem neuen Kunstwerk arbeitet, taucht sie ein in den Prozess, intuitiv und manchmal selber überrascht vom Endresultat. Um wieder aufzutauchen, braucht sie wenig, zumindest keine räumliche Distanz. Denn seit fast 20 Jahren ist Winterthur ihre Wahlheimat, sie lebt mit ihrem Partner im trendigen Lokstadt-Quartier, die Eingangstür zu ihrem Wohnhaus liegt gleich neben dem Atelier.
Sie schätzt diesen kleinen Kosmos sehr, davon zeugt das Porzellanhündchen in ihrer Sammlung von Keramikfiguren, ein Geschenk der Nachbarin, oder die Kinder, die Dackeldame Ölfi schon von Weitem zurufen. Ob beim Spaziergang im Quartier, im Atelier oder beim Aufbau in Galerien und Museen – ihre junge Dackelhündin ist stets an ihrer Seite und stiehlt ihr fast ein wenig die Show.
Gut möglich, dass Ölfi eines Tages sogar noch berühmter wird: Olga Titus hat ihrer Hündin nämlich ein «Ferienprojekt» gewidmet – eine gezeichnete Geschichte über die Abenteuer der Dackeldame. «Wer weiss», sagt Olga Titus, «vielleicht wird einmal ein Kinderbuch daraus?»
Die Galerie König Büro in Zürich zeigt bis zum 14. Dezember neue Paillettenarbeiten und Lentikulardrucke in der Ausstellung «Viele Sonnen».
Weitere Informationen unter: koenigbuero.ch