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  4. Biathletin Amy Baserga ist Junioren-Weltmeisterin – trotz Trauer um ihren Freund

Biathletin Amy Baserga

Sie lässt sich vom Schicksal nicht bremsen

Vor einem halben Jahr verliert sie ihren Freund bei einem Töffunfall. Nun gewinnt die Einsiedlerin Amy Baserga an der Junioren-WM im Biathlon zweimal Gold. Wie die 20-Jährige ihre Trauer verarbeitet und was ihr neue Kraft gibt.

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Amy Baserga, Biathlon Junioren Weltmeisterin, 2021

Steht Amy Baserga an der Startlinie, ist sie wie ausgewechselt: Fokus pur auf das Rennen.

Valeriano Di Domenico

Mit einem quietschenden Einhorn zwischen den Zähnen versucht Nova, Aufmerksamkeit zu erregen. Denn für einmal steht nicht die dreijährige Hündin im Mittelpunkt, sondern Frauchen Amy Baserga, 20. Gratulations-Transparente schmücken die Nachbarhäuser, auf dem Esstisch des Einfamilienhauses in Einsiedeln SZ steht noch ein Stück einer Motivtorte, komplett mit einer Biathletin mit blonden Locken drauf. Baserga geniesst ein bisschen Zeit mit der Familie vor den letzten Saisonrennen, sie witzelt mit den Eltern, spielt mit Nova im Garten. Als zweifache Weltmeisterin der Juniorinnen hat sie jeden Grund, laut und fröhlich und ausgelassen zu sein. 

Albträume und Schlaflosigkeit

Und trotzdem sagt sie: «Wie kann man Gold holen, wie soll das gehen nach allem, was passiert ist? Dass man so belohnt wird, ist schon unglaublich.» Vor der WM hätte sie die Saison beinahe abgebrochen: Psychisch ist sie «nicht auf der Höhe», schläft manchmal wochenweise schlecht, nur drei Stunden pro Nacht, wird von Albträumen geplagt. Im vergangenen August ist ihr Freund Lucas Schmid, ein talentierter Mountainbiker, mit bloss 20 Jahren bei einem Töffunfall ums Leben gekommen. Mehrere Jahre waren die beiden ein Paar gewesen, zwei Wochen später wären sie in Lenzerheide zusammengezogen. Wenn Amy über die folgende schwere Zeit spricht, tut sie das beeindruckend offen und gefasst.

Amy Baserga, Biathlon Junioren Weltmeisterin, 2021

Amy Baserga mit Familienhund Nova im Garten ihres Elternhauses in Einsiedeln SZ. Sie selbst lebt zeitweise in Lenzerheide, wo sie in der Biathlon Arena trainiert.

Valeriano Di Domenico

Zu Beginn schläft sie nur. Selbst sich anzuziehen, um mal rauszukommen, ist ein riesiges Hindernis. «Von einem Tag auf den andern waren meine Ziele nicht mehr das Training, sondern aufzustehen und weiterzumachen. Ich habe meinen Freund verloren, meinen besten Freund, meinen Trainingsbuddy, ich glaube mein Alles», schreibt sie auf Instagram rückblickend.

Gedanken an Biathlon sind weit weg. Bis ein gemeinsamer Freund, eben-
falls aufstrebender Mountainbiker, an einem Rennen in Zermatt teilnimmt: Er starte hier für Lucas. Und gewinnt. «Das ist mir so eingefahren. Da habe ich gedacht: Das könnte ich auch schaffen.» Baserga tastet sich langsam wieder an den Sport heran, fragt sich: «Was brauche ich, was kann ich machen, damit ich weiterkomme?» Ihr Psychiater rät ihr, abwechselnd zwei Tage zu trainieren und sich dann wieder zwei Tage Zeit für sich und ihre Trauer zu nehmen, solange sie das brauche.

Amy Baserga, Biathlon Junioren Weltmeisterin, 2021

Mutter Karin, Vater Armin und Amy mit dem Motivkuchen, den eine Kollegin für sie gebacken hat – es ist auch eines ihrer Hobbys.

Valeriano Di Domenico

«Wenn es mir nicht gut geht, versuche ich, dies zu ­überspielen, weil ich die anderen nicht belasten will»

Amy Baserga

Als Amy Baserga im Herbst auch noch eine kleine Handverletzung hat und wochenlang nur einarmig trainieren kann, spürt sie, wie ihr Kampfgeist zurückkehrt. Und dass sie die Saison unbedingt bestreiten möchte – denn der Sport gibt ihr auch viel Energie zurück. 

Die Schwyzerin ist ein richtiges Wettkampftier. Viel bewegt hat sie sich schon immer, mit acht Monaten lief sie, dafür beginnt sie spät zu sprechen, da konnte sie schon Velo fahren. Sie macht auch Leichtathletik und Skispringen, und als der drei Jahre ältere Bruder Tim mit Biathlon anfängt, zieht sie auch dort mit – und auch alle Kinder der Nachbarschaft. Da ziemlich zu Beginn ein Trainer ausfällt, springen gleich auch noch die Eltern ein, als Quereinsteiger. Amys Vater Armin, 52, ist dabeigeblieben und heute noch Trainer, Mutter Karin, 57, ist Masseurin und um Amys Muskeln besorgt.

Basergas Aufstieg war schnell, stets war die 1,77 Meter grosse Modell-
athletin den Alterskolleginnen ein paar Jahre voraus. Das Training war früher nicht ihr Fall, ebenso wenig wie die Schule – doch wenn sie an einer Startlinie steht, ist sie wie ausgewechselt: fokussiert und ehrgeizig, gleichzeitig aber locker. Ihren «Fighterblick» hat ihr Servicemann an der WM für ein Lachen gehalten, obwohl sie komplett am Anschlag war. Wie ihre Eltern hat sie einen starken Charakter, sie redet gerne und ist durch ihre positive Art komplett mitreissend.

 «Immer noch die selbe wie vorher»

Das möchte sie auch in diesem Winter sein. Sie will es sich nicht anmerken lassen, wenns ihr nicht gut geht. «Ich versuche, das zu überspielen, weil ich die anderen nicht belasten will. Ich bin immer noch der Sonnenschein im Team, diejenige, die die Witze reisst und nicht zurückhält. Die anderen sagen, ich sei immer noch dieselbe wie vorher.» In ihrem Trainer hat sie aber einen Vertrauten, dem sie sagen kann, wenn sie nicht geschlafen hat und sich nicht bereit fühlt fürs Training.

Amy Baserga, Biathlon Junioren Weltmeisterin, 2021

Amy Baserga beim Schuppen, hinter dem sie in ihren Biathlon-Anfängen das Schiessen lernte.

Valeriano Di Domenico

An diesem Wochenende steht Basergas Debüt im Biathlon-Weltcup an. Dank ihren beiden Weltmeistertiteln auf Juniorenstufe ist sie für die letzten Wettkämpfe des Winters der Elite im schwedischen Östersund startberechtigt. Es ist für die Schwyzerin der krönende Abschluss einer erfolgreichen und auch speziellen Saison. 

Danach wird sie sich erst einmal Zeit für sich nehmen. Vielleicht mit Freunden biken gehen, ein bisschen mit Nova spielen. Auch das ist wichtig nach einer solch herausfordernden Zeit. Und es ist auch dies ein Zeichen von Stärke dieser beeindruckenden jungen Athletin. 

Von Eva Breitenstein am 19. März 2021 - 18:00 Uhr