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Die Tennis-Spielerin im grossen Interview

Timea Bacsinszky: «Ich habe den Zorn losgelassen»

Die Lausannerin Timea Bacsinszky hat den inneren Frieden gefunden. Ein Gespräch mit der «Schweizer Illustrierten» über Absturz und Kleinkriege, Familienversöhnung und etwas verschrobene Nachbarn.

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Timea Bacsinsky

Sie strahlt von Innen und Aussen: Timea Bacsinsky hat ihr Glück gefunden!

Kurt Reichenbach

Der Sommer 2016 ist für Timea Bacsinszky wie ein Traum. Sie ist die Nummer 9 der Tenniswelt, gewinnt mit Martina Hingis Olympia-Silber im Doppel. Doch 2017 und 2018 erlebt sie die Schattenseiten des Sports. Muskelriss im Handgelenk, Bänder lösen sich vom Knochen, Sehnen sind beschädigt. Es folgt eine Operation, dann weitere Verletzungen. Im Juli 2018 stürzt sie bis auf Rang 761 ab. 

Der Weg zurück ist steinig. Immerhin fühlt sie sich heute wieder fit, kehrt zurück in die Top 100. Im «La Tour de Gourze», einem ihrer Lieblingsrestaurants hoch über dem Genfersee, sprüht sie vor Lebensfreude. 

Timea Bacsinszky, haben Sie etwas gewonnen? 
Warum?

Weil Sie so lachen.
Es geht mir einfach extrem gut. Vor drei Wochen wurde mir einiges klar. Ich bin ein anderer Mensch. Es kam von einem Tag auf den anderen. Ich fand den inneren Frieden. 

Wie?
Ich will nicht alles ausbreiten. Aber ein Beispiel: Ich habe mich entschieden, vegetarisch zu essen. Früher habe ich immer Kompromisse gemacht, damit andere glücklich werden. Und dachte: Wenn die anderen glücklich sind, werde ich es auch. Dabei muss ich mit meinen Entscheidungen glücklich sein. An meinem 30. Geburtstag wurde mir das bewusst. 

Was haben Sie noch geändert?
Ich bin netter mit den Menschen in meinem Leben. Auch netter mit mir selber. Und ich habe den Zorn losgelassen, den ich gegenüber gewissen Leuten empfand.

Würden Sie auch so positiv sein, wenn Sie körperlich leiden?
Das weiss ich nicht. Es kam von innen. Leute sprachen mich darauf an und sagten: Was ist mit dir passiert? Du strahlst, obwohl du nicht siegst. Ich sagte: Ich habe Frieden gemacht. Auch mit meiner Karriere, die nicht immer so lief, wie sie hätte laufen können. Ich habe Frieden gemacht mit meiner Art. Die negative Seite meines Egos ist jetzt sehr weit weg. Ich fühle mich extrem wohl. 

Lebensfrohe Denkerin

Timea Bacsinsky

«Die Menschen zusammenbringen – das kann ich. Das habe ich auch mit meiner Familie gemacht.»

«Die Leute sagen: Du redest ja wie ein Yogi», erzählt Timea Bacsinszky.

Kurt Reichenbach

Sind Sie vielleicht auch auf dem Platz zu nett geworden?
Bei der Niederlage in Wimbledon gegen Stephens wollte ich immer gewinnen. Ich merkte es im Bauch: Die Motivation war da. Ich weiss, dass ich noch ein paar Jahre spielen und Erfolg haben will. Ich will nicht die Nummer 90 sein, sondern mindestens die 50. 

Es war zu lesen, Sie seien lange Zeit für viele ungeniessbar gewesen.
Ich hatte seit Wimbledon 2017 zwei schwierige Jahre, verlor mich ein wenig. Es gab Spannungen zwischen mir und verschiedenen Leuten. Mini-Kriege. Ich tat mir wegen der Verletzungen leid, haderte. Warum ich? Warum jetzt?

Warum gab es Spannungen?
Aus verschiedensten Gründen. Ich setzte mich immer an zweite Position. Ich musste lernen, wie ich mich selber lieben kann. Das hatte ich nie in meinem Leben. 

Sie klingen, als ob Sie gerade aus der Meditation kommen.
(Lacht.) Das sagen mir Leute. Du redest ja wie ein Yogi! Ich lebe einfach mehr im Moment. Nicht in der Vergangenheit oder der Zukunft. Es war phasenweise unangenehm mit mir.

Haben Sie sich dafür entschuldigt?
Ja. Beispielsweise bei Dimitri Zavialoff, meinem Trainer, von dem ich mich 2018 trennte. Er ist einer der besten Trainer der Welt, versuchte mir so viel zu helfen. Aber keiner konnte mir helfen. Ich war verschlossen, vertraute keinem. 

Timea Bacsinsky

Die Tennisspielerin hat sich von Zorn und Spannungen verabschiedet.

Kurt Reichenbach

Sie haben die Veränderungen angesprochen. Sie leben vegetarisch und umweltbewusst. Ist alles neu?
Die Umwelt war mir immer wichtig. Das fing beim Abfalltrennen in der Kindheit an. Aber in meinem Beruf ist es schwierig zu sagen: Ich führe ein ökologisches Leben. Ich muss um die ganze Welt fliegen und schaffe das nicht mit dem Schiff. Immerhin investiere ich jetzt in Umweltprojekte.

Beschäftigt Sie die Klimakrise?
Sehr. Als ich in London spielte, war die Schweiz ein Glutofen. Das gibt mir zu denken. Es macht mir Angst für die nächste Generation. Welche Welt haben die noch? Ich habe mir darum auch überlegt, ob ich Kinder haben will oder nicht. Habe mit Freunden darüber geredet. Und ich denke, dass die kommende Generation die Welt stark verändern wird. Darum will ich irgendwann Kinder. Sonst wären wir ja ohne Hoffnung. 

Wollen Sie eine Botschafterin für die Grüne Partei werden?
(Lacht.) Warum nicht? Ich bin vielleicht nur ein Tropfen im Meer. Aber wenn alle etwas Kleines bewegen, wird es etwas Riesiges. 

Verändern Sie die Welt stark, wenn Sie kein Fleisch mehr essen?
Mein Fleischverzicht war kein Statement, um die Welt zu verändern. Ich fand es einfach unnötig. Ich hatte früher Angst, was die anderen über mich denken würden.

Warum?
Aus verschiedenen Gründen. Tradition, Kultur. In Ungarn ist es heute noch undenkbar, kein Fleisch zu essen. Aber ich brauche es nicht. Ich vermisse es auch nicht. Vielleicht das Fondue Chinoise. Aus sozialen Gründen. Käsefondue kann man auch 30 Minuten lang essen, aber nicht 90. Vielleicht stecke ich einfach Tofu auf die Gabel.

Wie wichtig ist Tennis heute noch?
Wichtig. Aber es geht darum, eine Balance zu finden. Ich will auf dem Platz nicht mehr zu verbissen sein. So grrr! (Sie zeigt die Zähne.)

Sie haben in Roland Garros die grössten Erfolge gefeiert, standen 2015 und 2017 im Halbfinal. Fällt es Ihnen schwer, nun auch ganz kleine Turniere zu spielen?
Nein. Denn das ist nur das Ego. Ich bin halt nicht mehr in den Top Ten. Meine Wirklichkeit ist eine andere. Das Leben kann überall spannend sein. Ganz ehrlich, ich bin stolz, dass ich den Weg zurückgefunden habe nach den Operationen. Ich bin resilient, fühle mich unzerstörbar. Ich komme immer zurück. 

Sind Sie auch dankbarer für einen gesunden Körper?
Ja. Und ich habe realisiert, dass viele Verletzungen aus dieser Spannung kamen, die ich im Körper hatte. Die Wut. Die grössten Champions haben das schon lange kapiert. Federer und Nadal sind gelassene Menschen neben dem Platz. 

Die Schweiz hat Sommerferien. Sie kennen das nur vom Hörensagen, erlebten das selbst in der Kindheit nie. Sehnen Sie sich manchmal nach einem normalen Leben?
Ich werde das in ein paar Jahren haben. 2011 war ich während einer Verletzung mit Freunden auf einem Segelschiff in Griechenland. Ich weiss also, wie schön das sein kann. Hoffentlich bleiben mir noch 50 Jahre, das nachzuholen. 

«Die Menschen zusammenbringen – das kann ich. Das habe ich auch mit meiner Familie gemacht»

Wenn Sie hier auf den Genfersee schauen, müssen Sie ja kaum mehr nach Griechenland. Oder?
Das stimmt. Es ist ein Traum. Ich bin ja in Belmont-sur-Lausanne aufgewachsen, wohne auch jetzt auf dem Land nördlich von Lausanne. Ich fühle mich in der Stadt aber auch zu Hause. Viele Restaurantbesitzer kennen mich. Und sie wissen, dass ich hier gerne einmal selber ein Restaurant führen möchte. Das wäre was für mich.

Warum?
Die Menschen zusammenbringen, das kann ich. Das habe ich auch mit der eigenen Familie gemacht, die im Streit lag. Die Leute haben nicht mehr miteinander geredet. Deswegen musste ich wohl Tennis spielen. Ich spielte Schicksal. Nach meinem ersten Halbfinal in Paris sagte ich: Okay, jetzt kommt die ganze Familie zu mir. Und schliesslich redete meine Halbschwester wieder mit meiner Mutter. Das war mein grösster Erfolg. Grösser als jedes Turnier. Wir haben auch an Weihnachten alle zusammen gefeiert. 

Auch Ihr Vater?
Er fehlte. Wer weiss, was da noch geschieht.

Sie haben vor Jahren mit ihm gebrochen, wollten Ihn nicht mehr sehen. Auch weil er Ihre Kindheit mit seinem Drill auf negative Weise mitbestimmte. Ist die Versöhnung noch ein Projekt in Ihrem Leben?
Ich kann das nicht jetzt entscheiden. Aber so wie ich jetzt im Leben bin, wäre es normal, Frieden zu machen. 

Sie haben vorher über Ihre Heimat geredet. Was macht Sie zur Romande?Ich weiss nicht. Aber natürlich gibt es viele Klischees. In der Deutschschweiz werde ich oft geneckt. Es heisst dann: Ah, schau, das Wiisswii-Komitee ist da! (Lacht.) Dabei trinke ich ja kaum etwas. Aber es stimmt. Wir haben die schönste Region, was den Anbau von Weisswein anbelangt. Die Weinterrassen von Lavaux. 

Wofür müssen Sie noch den Kopf hinhalten?
Vicki Golubic, die gegen mich in Eastbourne gespielt hat, meinte: «Chasch cho mit ere quart d’heure Vaudois», also mit einer Viertelstunde Verspätung. Die sagt man uns nach. Heute kam ich ja auch mit einer Viertelstunde Verspätung. Im Fed Cup habe ich nur eine bis zwei Minuten. Sie lachen mich trotzdem immer aus. 

Timea Bacsinsky

Aussichten und Einsichten «Für die Genfer sind wir Bauern. Und wir glauben, sie denken nur ans Geschäft», sagt Timea Bacsinszky. 

Kurt Reichenbach

Was ist wahr über die Waadtländer?
Die Waadtländer sind relaxter. In Zürich ist alles Business, Business, Business. Zack, zack, zack! Hey, tranquille! Wir haben den See, schauen da rüber. Fahren mal ein bisschen mit dem Schiffli nach Frankreich. Die Genfer sind ja eher wie die Zürcher. Denken auch so oft ans Geschäft. Bam, bam, bam! (Sie gestikuliert wild mit den Händen.) Für die Genfer sind wir ja auch die Bauern. Sie für uns die Franzosen. 

Die Genfer haben recht. Wohnen Sie nicht auf einem Bauernhof?
Ja. 15 Minuten von Lausannes Zentrum. In einem renovierten Bauernhaus. In meiner Strasse gibt es nur noch ein zweites Bauernhaus. Sonst niemanden. 

Haben Sie Tiere?
Nein. Leider noch nicht. Ein paar Katzen würden gegen die Mäuse helfen. Aber mein Freund Andreas hat Katzen nicht so gern. 

Ist es Ihr Traum, in einem Bauernhaus zu leben?
Manchmal muss ich mich kneifen, wenn ich nach Hause komme. Dann denke ich: Wir wohnen wie im Traum. Und die Nachbarn sind extrem cool. Mit Katzen und Bulldoggen. Sie haben einmal extra für mich Bier gekauft, weil ich kaum Wein und Champagner trinke. Dann war es ein Bier mit 15 Volumenprozent. Wir haben so gelacht. Der eine meinte dann, er benutze es jeweils als Shampoo, das sei super.

Sind Sie wunschlos glücklich?
Kinder zu haben, ist sicher noch ein Wunsch. Aber im Moment bin ich zufrieden. Ich bin echt der Maître Yogi. (Lacht.) Endlich!

Von Christian Bürge am 27. Juli 2019 - 12:25 Uhr