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Neel Jani bei Porsche

Im Galopp in die Zukunft

Mit dem viertürigen Elektro-Coupé Taycan beginnt für Porsche ein neues Zeitalter. Vor dem Serienstart nimmt der Schweizer Porsche-Werksfahrer und Le-Mans-Sieger Neel Jani den 625 PS starken Stromer unter die Lupe.

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Porsche Suisse | Taycan im Studio mit Dr. Stefan Weckbach und Neel Jani | August 2019 © Dirk Michael Deckbar | +491723108973 | Mail@deckbar.de |

Porsche-Baureihenleiter Stefan Weckbach (l.) zeigt Rennprofi Neel Jani die Ladebuchse des neuen Taycan. 

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Das hätte man beim Blick hinter den Vorhang nicht erwartet: langer Schwung der Dachlinie, hochgezogene Kotflügel vorn, hinten ein durchgehendes Lichtband, das für Wucht und Breite sorgt. Die Serienversion des neuen Taycan, dem ersten Stromer im Porsche-Programm, sieht tatsächlich aus wie die Studie Mission E, die uns 2015 auf den grossen Schritt Richtung Elektrifizierung beim schwäbischen Sportwagenbauer vorbereitete. Und erinnert im Profil an die Markenikone 911, einfach mit vier statt zwei Türen. 

Was Neel Jani, den Schweizer Werksfahrer im Porsche-Team, gleich zum Nachfragen animiert. Seit 2014 startet der gebürtige Rorschacher für Porsche bei Langstreckenrennen, holte 2016 den Sieg bei den 24 Stunden von Le Mans und die Langstrecken-Weltmeisterschaft. Ab November wird er in der Saison 2019/20 ein Porsche-Cockpit in der vollelektrischen Formel E besetzen. Doch heute nimmt er gemeinsam mit Stefan Weckbach, dem zuständigen Baureihenleiter bei Porsche, den Serien-Taycan unter die Lupe.

«Warum startet Porsche eigentlich nicht auch mit einem SUV in die Elektromobilität?», fragt er Weckbach. «Mit Macan und Cayenne haben wir bereits zwei sehr erfolgreiche SUV im Programm. Deshalb haben wir uns für eine sehr sportliche viertürige Coupé-Limousine unterhalb des Panamera entschieden», erklärt Weckbach. «Unser erstes vollelektrisches Fahrzeug sollte Porsche-typische Proportionen haben, flach und breit sein, ein echter Sportwagen.» – «Und wie haben Sie dann die Akkus im Unterboden untergebracht?», hakt Jani nach. Weckbach erklärt, dass Aussparungen in der Batterie, sogenannte Fussgaragen, eine tiefe und komfortable Sitzposition auf der Rückbank ermöglichen – trotz der nach hinten abfallenden Dachlinie und bei optimaler Aerodynamik. 

Porsche Suisse | Taycan im Studio mit Dr. Stefan Weckbach und Neel Jani | August 2019 © Dirk Michael Deckbar | +491723108973 | Mail@deckbar.de |

Taycan steht im Türkischen für ein unbändiges Fohlen und verweist auf die Leistung des Stromers. 

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Le-Mans-Sieger Neel Jani steigt ab November für Porsche ins Formel-E-Cockpit.

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Beim Taycan setzt Porsche noch immer auf Spiegel statt Kameras – der besseren Rücksicht wegen.

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Taycan – im Türkischen steht der Name für ein unbändiges Fohlen. Wohl die passende Anspielung auf die Leistungsdaten des Viertürers: Als Turbo S für ab 194 900 Franken leistet er 625 PS, kurzzeitig sogar bis zu 761 PS, wenn man per Launch Control die maximal mögliche Beschleunigung ausnutzt. Jani konnte diese Kraft bereits spüren, auf einer Demorunde im letzten Saisonrennen der Formel E in New York. «Viele bauen inzwischen E-Autos. Was macht den Taycan besonders?», setzt er nach.

«Er bringt zahlreiche Innovationen in die Serie», zählt Weckbach auf: Erstes Serienfahrzeug mit 800-Volt-Systemspannung, die Grundlage für schnelles Fahren und schnelles Laden. Dazu das Zweigang-Getriebe an der Hinterachse – ein Novum bei batterieelektrischen Fahrzeugen –, das im ersten Gang eine Beschleunigung von 0 auf 100 in 2,8 Sekunden und im zweiten Gang eine Höchstgeschwindigkeit von dauerhaft 260 km/h ermöglicht. Agilität und Standfestigkeit waren Weckbach wichtiger als Höchstgeschwindigkeit: Der Taycan könne deutlich mehr als zehn Mal hintereinander von 0 auf 200 km/h in unter zehn Sekunden beschleunigen – ohne Leistungsverlust. 

Jani öffnet die Heckklappe und schaut anerkennend: Die tief montierte Batterie ermöglicht 366 Liter Ladevolumen; hinzu kommen weitere 81 Liter im von Antriebskomponenten befreiten Frontfach. Er gleitet auf den Beifahrersitz, streicht über die Interieurmaterialien – Porsche bietet erstmals auch eine lederfreie Ausstattung aus Recyclingmaterial an – und lässt sich von Weckbach das Bedienkonzept mit insgesamt drei Monitoren erklären: Einer informiert im geschwungenen Instrumententräger, die beiden anderen bedienen Infotainment, Klimatisierung und Fahrzeugkonfiguration. Sollte sich der Beifahrer ausgeschlossen fühlen, lässt sich für ihn ein weiterer Monitor ordern. Neel Jani nickt, macht sich aber offenbar über ein weiteres Thema grosse Gedanken: «Ein Porsche ohne Sound – keine Angst, dass dies beim Publikum nicht gut ankommt? Wo bleiben da die Emotionen?»

Porsche Suisse | Taycan im Studio mit Dr. Stefan Weckbach und Neel Jani | August 2019 © Dirk Michael Deckbar | +491723108973 | Mail@deckbar.de |

Per Schnellladung lässt sich die Batterie in 23 Minuten von 5 auf 80 Prozent füllen.

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Stefan Weckbach leitete die Entwicklung des Taycan. Porsche wird bis 2025 6,5 Mrd. Franken in die Elektromobilität investieren.

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Wie ein 911 mit vier Türen: Form und Details des Taycan zitieren die Markenikone – vom Profil bis zum Leuchtband am Heck. 

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Weckbach lässt sich nicht aus der Ruhe bringen: «Wir haben bisher noch niemanden erlebt, der aus einem Taycan aussteigt und nicht bis zu den Ohren grinst. Eindeutig emotional. Die Fahrdynamik ist sensationell, selbst eingefleischte Sportwagenfahrer können zunächst nicht glauben, wie gut der Taycan liegt und geht.» Für den guten Ton sorge der Porsche Electric Sport Sound: «Wir nehmen den natürlichen Sound des Antriebsstrangs ab und modulieren ihn, so dass er perfekt zum Fahrerlebnis passt.» Aber: «Der Electric Sport Sound ist abschaltbar. Wer die Taste drückt, erlebt die volle Performance bei nahezu absoluter Stille. Sehr beeindruckend.»

Auch bei der Ladetechnik kann Porsche neue Wege beschreiten. Die Batterie hat eine Kapazität von 93,4 Kilowattstunden. Aufgrund der Systemspannung von 800 Volt sind die Akkus mit der maximalen Ladeleistung von 270 Kilowatt innerhalb von knapp 23 Minuten von 5 bis 80 Prozent gefüllt. Nach gut fünf Minuten an einem Gleichstrom-Schnelllader kommt man mit dem Taycan schon rund 100 Kilometer weit. Zu Hause an einer Wechselstrom-Wallbox dauert die Aufladung von 5 bis 80 Prozent etwa 6 Stunden. «Dank einer Reichweite von bis zu 450 km im WLTP-Zyklus verbindet der Taycan Alltagstauglichkeit und Performance wie jeder andere Porsche», resümiert Weckbach.

«Wir haben bisher noch niemanden erlebt, der aus einem Taycan aussteigt und nicht bis zu den Ohren grinst.»

Stefan Weckbach

«Die Jahreskapazität im neuen Werk wurde von 20 000 Stück bereits auf 40 000 verdoppelt. Rechnen Sie gar mit einer noch höheren Auflage?», erkundigt sich Jani nach den Marktchancen des Taycan. «Wir haben weltweit knapp über 30 000 ernsthafte Interessenten, die mit einer Anzahlung signalisiert haben, das sie einen Taycan fahren möchten. Ich kann weder eine konkrete Zahl zu den Bestellungen noch zu den Produktionskapazitäten nennen, aber Sie können sicher sein: Wir sind vorbereitet.» Vor dem Produktionsanlauf hatte Porsche gar ein komplett neues Werk in Zuffenhausen errichtet, in dem autonome Roboter in Kooperation mit menschlichen Kollegen die Fahrzeuge montieren werden – Teil eines Investitionsprogramms in die Elektromobilität von 6,5 Mrd. Franken bis 2025.

«Gibt es bei Porsche eigentlich Racing-Ambitionen für den Taycan?», fragt Neel Jani zum Abschluss. «Ich fiebere schon dem Start der nächsten Formel-E-Saison im November entgegen», sagt Weckbach, «Für den Taycan gibt es noch keine konkreten Pläne. Er wäre als viertürige Limousine auch ein eher ungewöhnliches Rennauto.» Stefan Weckbach denkt kurz nach: «Obwohl … schon die Serienversion meistert die Nordschleife des Nürburgrings in 7'42.»

Von Andreas Faust am 20. Oktober 2019 - 08:09 Uhr