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Formel 1

Was kommt nach Hamilton?

Lewis Hamilton, 34, rast im Mercedes zum sechsten WM-Titel – und zeigt kaum Schwächen. Doch hinter dem Briten ist die Hölle los: Charles Leclerc und Max Verstappen rütteln schon heftig am Thron.

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FOTO: LUKAS GORYS, 20.09.2019, SINGAPORE (SINGAPORE): MAX VERSTAPPEN RED BULL NEBEN CHARLES LECLERC FERRARI (RECHTS) Formel 1 - Singapur

Sorgen für Feuer in der F1: Die jungen Wilden Max Verstappen(v.) und Charles Leclerc setzen die arrivierten F1-Stars arg unter Druck.

Lukas Gorys

Der dreifache Weltmeister Jackie Stewart, 80, sagt: «So lange Hamilton am Lenkrad dreht, wird er mit seinem Talent und seiner Rennintelligenz dominieren. Egal, was 2021 das neue Reglement bringen wird. Mercedes wird ihm immer ein tolles Auto hinstellen! Er ist die Garantie, dass die Silberpfeile nicht abstürzen.»

Wie lange Hamilton im GP-Zirkus noch dabei ist, weiss er selbst nicht: «Vieles hängt am neuen Reglement von 2021. Das Alter spielt weniger eine Rolle. In Monza fragten gar einige Ferrari-Fans, wann ich endlich mal für die Roten fahren werde. Aber nach 13 Jahren mit Mercedes-Power ist für mich Loyalität fast wichtiger als der Bubentraum aller Rennfahrer!»

Lewis Hamilton, Lando Norris, George Russell

Noch kann er lachen: Heuer dürfte Lewis Hamilton (l.) wieder Weltmeister werden. Doch Lando Norris und George Russell (r.) sind bereit.

Lukas Gorys

Doch der Kampf um die Nachfolge des bald sechsfachen Weltmeisters ist längst entbrannt: Max Verstappen, 22, und Charles Leclerc, 22, geben sich seit einigen Rennen Saures. In Spielberg kams zum ersten grossen Knall: Vier Runden vor Schluss drängte sich der Holländer in der zweiten Kurve mit dem Red-Bull-Honda innen am Ferrari vorbei. Leichte Berührung. Der Monegasse musste neben die Piste ausweichen. Foul oder nicht Foul? Erst nach drei Stunden die Antwort der FIA: Normale Rennsituation. Verstappen jubelte über den ersten Saisonerfolg. Leclerc tobte: «Es war der Sonntag, an dem ich lernen musste, wo in der F1 die Grenzen des Erlaubten sind. In Zukunft werde ich genauso brutal fighten.» Das musste Hamilton in Monza erfahren, als ihn Leclerc neben die Strecke beförderte – und dafür nur eine Verwarnung kassierte. Lewis blieb cool. Leclerc, der auch in Silverstone rundenlang im Millimeter-Fight mit Verstappen die grosse Show abzog, ist bereits in der zweiten Saison (nach dem Lehrjahr bei Sauber) in die Kategorie der Giftzwerge wie einst Piquet, Senna, Alonso oder Schumacher aufgestiegen. Denn in der Monza-Quali hat Leclerc klar gegen die Team-Order verstossen, als er Teamkollege Vettel den versprochenen Windschatten verweigerte. Es knallte in Maranello. Wie ein Rennen später in Singapur beim ersten roten Doppelsieg seit Ungarn 2017. Leclerc fühlte sich vom Team hintergangen, weil er in Führung lag, das Team aber zuerst Vettel zum Gummistopp an die Boxen holte. Ferrari-Teamchef Mattia Binotto ist seither in Teufels Küche. Er muss den noch zu ehrgeizigen Leclerc wie einen Rohdiamanten behandeln und gleichzeitig Vettel bei Laune halten. Der Deutsche weiss auch nach seinem Singapur-Sieg (der erste seit 392 Tagen), dass er mit Leclerc wohl einen künftigen Weltmeister neben sich hat. 

Alex Albon, Formel 1 Pilot

Der Thailänder Alex Albon stieg mitten in der Saison vom Farmteam Toro Rosso ins Red-Bull-Team auf.

Lukas Gorys
Alex Albon fährt für Red Bull

Red Bulll: Mit Albon (Bild) und Verstappen hat das Dosen-Team gleich zwei junge Wilde mit grossen Ambitionen am Start.

Lukas Gorys

«Für mich zählt nur der WM-Titel. Alles andere kannst du vergessen»

Max Verstappen

Auch für Verstappen zählt nur der WM-Titel: «Alles andere kannst du vergessen. Wenn dich deine Kinder fragen, was du erreicht hast, dann können sie mit zweiten und dritten Plätzen kaum was anfangen.» Kann Red-Bull-Honda die Träume Verstappens erfüllen? Hinter den Kulissen läuft bei Mercedes längst die Operation «Superteam». 2021 könnte es so weit sein: Hamilton und Verstappen gemeinsam im Silberpfeil. Lewis: «Darauf freue ich mich. Dann hören auch die Behauptungen auf, dass ich nur gewinnen kann, weil ich im Mercedes sitze.» 

Damit müssen vier weitere Kandidaten auf die Hamilton-Nachfolge noch warten. Am heftigsten an die geschlossene Türe klopft der Brite Lando Norris, 19. Er liefert bei McLaren-Renault tolle Resultate. Bereits wurde sein Vertrag auf unbestimmte Zeit verlängert. Im Gegensatz zu Norris stammt der andere junge Brite, George Russell, 21, nicht aus einer Millionärs-Familie. «Für mich ist Russell der kommende Weltmeister. Gut, dass er zur Mercedes-Familie gehört. Ein junger Mann ohne Flausen im Kopf. Aber mit viel Talent gesegnet», sagte einst der im Frühling verstorbene Mercedes-Aufsichtsrat Niki Lauda. Russell, diese Saison im Williams-Mercedes chancenlos unterwegs, ist von sich selbst überzeugt: «Ich würde schon jetzt neben Hamilton nicht untergehen.»

Das gleiche Selbstvertrauen bringt Esteban Ocon, 23, bei seinem Comeback mit. Nach 50 Rennen und 136 Punkten bei Manor und Force India wurde er 2019 als Mercedes-Ersatz- und Testfahrer bezahlt. Der junge Franzose, der sich früher einige Crash-Duelle mit Teamkollege Sergio Pérez lieferte, wurde vor wenigen Wochen bei Mercedes nur noch sporadisch im Simulator eingesetzt. Und Werksbesuche wurden ihm verboten. Der Grund ist klar: Ocon fährt 2020 für Renault, ist also ein Geheimnisträger. «Ich werde Ricciardo das Leben nicht leicht machen», kündigt er an. Er kommt aus bescheidenen Verhältnissen. Und als er sich den Kart-Sport nicht mehr leisten konnte, fragte er gar bei McDonald’s um einen Job nach … 2018 hatte sich Ocon in Brasilien schon mal mit Verstappen angelegt. Als der Franzose dem Holländer das Rennen mit einem unüberlegten Manöver zerstörte, wurde Max nach dem Rennen handgreiflich! Die Strafe war milde: zwei Tage lang den FIA-Kommissaren zuschauen.

Bereits eine gesicherte Zukunft scheint der Thailänder Alex Albon, 23, zu haben. Der GP-Neuling, dessen Mutter 2012 wegen Betrugs einige Monate im Knast sass, wurde nach zwölf Rennen bei Red Bull vom B-Team (Toro Rosso-Honda) ins A-Team befördert, weil Pierre Gasly neben Verstappen völlig überfordert war. Und in Spa, Monza und Singapur holte Albon gleich 26 WM-Punkte. Das dürfte für eine Vertragsverlängerung 2020 bei Red Bull-Honda reichen. Denn das Förderprogramm der zwei Dosen-Teams konnte es seit über zehn Jahren vermeiden, auf «fremde» Fahrer zurückzugreifen.

«Ich würde schon jetzt neben Hamilton nicht untergehen»

George Russell
FOTO: LUKAS GORYS, 12.04.2019, SHANGHAI (CHINA):

Charles Leclerc (l. und u.) heizt Ferrari-Teamkollege und vierfachem Weltmeister Vettel tüchtig ein.

Lukas Gorys

Der letzte junge Wilde ist Mick Schumacher, 20. Eines kann man schon jetzt voraussagen: Er wird sicher nicht in die Fussstapfen seines legendären Vaters Michael (7 Titel, 91 GP-Siege) treten. Mick tut sich in der F2 (trotz des Ungarn-Siegs aus der geschenkten Poleposition) sehr schwer. «Ich muss noch viel lernen, aber ich werde nicht scheitern. Ich komme in die F1. Denn einen Plan B habe ich nicht.» Der rote Teppich ist längst ausgerollt. Seit über einem Jahr gehört Mick zur Ferrari Academy, durfte in Bahrain schon die aktuellen Ferrari und Alfa-Sauber testen. Kurz: Der grosse Name hilft – aber wie lange? Wie stark die F2-Serie 2018 unterwegs war, zeigt die Tatsache, dass mit Russell, Norris und Albon die drei Gesamtersten problemlos den Sprung in die F1 schafften.

Und 2019? Der holländische Leader Nick de Vries, 24, wartete gar nicht auf ein Angebot und unterschrieb als Mercedes-Werksfahrer in der Formel E. Sein Verfolger Nicholas Latifi, 24, dürfte als Einziger nach oben klettern. Der kanadische Milliardärssohn wartet mit einem Koffer vor den Williams-Werkstoren in Grove. 30 Millionen Dollar sollten diese problemlos öffnen. 

Von Roger Benoit am 20. Oktober 2019 - 08:09 Uhr