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Lior und Morris Etter: Wasser für Wasser

«Leitungswasser hat eine bessere Ökobilanz»

Nach dem Tod ihres Bruders brachen Lior und Morris Etter mit dem, was sie kannten, und gründeten die Hilfsorganisation Wasser für Wasser. Eine waschechte Erfolgsgeschichte!

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Morris (Bart) und Lior Etter, Gruender der Non-Profit Organisation WfW Wasser fuer Wasser

Die beiden Gründer von Wasser für Wasser im Tropenhaus Wolhusen bei Luzern. Lior und Morris Etter sind die Urenkel des langjährigen CVP-Bundesrats Philipp Etter – «aber das tut nichts zur Sache». 

Herbert Zimmermann / 13 Photo

Morris Etter, 34, lockeres Hemd und knöchelfreie Hose, strahlt diese Langsamkeit aus, wie sie nur Menschen eigen ist, die eine Weile weg waren. Bedächtig spaziert er auf den Pfaden im Tropenhaus Wolhusen LU, zeigt dort auf eine Blüte, entdeckt da eine Schildkröte.

Vor drei Tagen ist er aus Mosambik in Ostafrika zurückgekehrt. «Das Klima im Tropenhaus fühlt sich für mich heimischer an als die kalte Luft in Luzern», sagt er. Sein Bruder Lior, 31, nickt – er kennt den schroffen Temperaturwechsel.

Leitungswasser hat im Vergleich zu Flaschenwasser eine bis zu tausendmal bessere Ökobilanz.

Mitte Februar sind die Geschwister gemeinsam nach Sambia gereist. Dort haben sie mit ihrer Non-Profit-Organisation Wasser für Wasser mehrere Projekte am Laufen: Sie fördern Trinkwasserzugänge in städtischen Slums, bilden Menschen in Wasserberufen aus und sorgen für saubere Toiletten und Waschmöglichkeiten.

Wasser für Wasser, sprich «We-Ef-We», gibt es seit knapp zehn Jahren. Neben ihrem Engagement in Ostafrika fördert die Organisation den nachhaltigen Umgang mit Wasser in der Schweiz – zusammen mit Gastrobetrieben, Büros und Schulen. Im Alltag bedeutet das etwa, dass eine Beiz Flaschenwasser aus dem Sortiment streicht, stattdessen voll auf Leitungswasser setzt und gleichzeitig für WfW spendet. Damit unterstützt sie die Projektarbeit in Ostafrika und schont gleichzeitig die Umwelt. Denn: Leitungswasser hat im Vergleich zu Flaschenwasser eine bis zu tausendmal bessere Ökobilanz.

WfW-finanzierter Wasserkiosk im Stadtteil Kanyama, Lusaka, Sambia

Durch das Trinkwasserprojekt in Burton, Sambia, erhalten rund 8000 Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser.

ZVG

Aber zurück nach Sambia. Schon bald nach ihrer Ankunft im Februar merkten die Brüder: «Die Bedürfnisse der lokalen Gemeinschaften, vor allem bezüglich Hygienesicherheit, haben sich durch die Pandemie verändert. Wir mussten vor Ort wieder Nähe aufbauen, um den Puls zu fühlen.» Und so kam es, dass Lior nach zwei Wochen alleine in die Schweiz zurückkehrte. Als Vater eines kleinen Sohnes ist er zu Hause stark eingespannt. Morris hingegen entschied, vorerst zu bleiben.

Nun, zwei Monate später, sagt er bei einem Glas Leitungswasser im Tropenhaus Wolhusen: «Seit es unsere Organisation gibt, waren wir immer offen, unsere Pläne zu überdenken, um dort zu sein, wo es uns gerade brauchte.»

Auch die Gründung ihrer NGO war in ihrem Lebensplan nicht vorgesehen – wie so vieles nicht.

«Wir hatten den Mut, diese Sache durch­zuziehen, ohne Angst, was passiert, wenn wir scheitern.»

Lior und Morris Etter sind zusammen mit ihrem mittleren Bruder Basil in Kriens bei Luzern aufgewachsen. Morris, der Älteste, studiert Internationale Beziehungen in Genf, Basil Design und Kunst an der Hochschule Luzern, Lior spielt Profi-Fussball beim FC Luzern. Mit 18 erkrankt Basil an Krebs. Während andere in ihrem Alter Party machen, konfrontiert Basils Krankheit die Brüder mit existenziellen Fragen des Lebens: Warum sind wir hier? Welche Verantwortung haben wir, wenn wir leben dürfen? 

Lior ist zwanzig, als er seine Sportlerkarriere aufgibt – das Fussballbusiness erscheint ihm zu oberflächlich. Derweil wird Basil immer kränker. Morris pendelt zwischen seinem Studium in Genf und dem Elternhaus in Kriens. Wacht mit Lior am Bett des Bruders.

Als Basil stirbt, endet alles. Das Gefühl, Ereignisse und das Schicksal in der Hand zu haben. Die Gewissheit, Dinge erreichen zu können, wenn man nur will. Morris und Lior drohen im engen Korsett des Alltags zu ersticken. Darum packen sie zwei Monate nach Basils Tod ihre Rucksäcke und treten eine Reise an: Europa, Indonesien, Thailand, Indien. «Wir wollten Platz schaffen für das, was wir gerade erlebt haben», sagt Lior, «zulassen, was das Leben uns bringt.» Er erzählt diese Geschichte nicht zum ersten Mal. Aber sie berührt ihn noch immer. 

Gemeinschaftlicher, WfW-finanzierter Sanitärblock fuer Anwohner*innen des Quartiers Aeroporto B in Maputo, Mosambik

In Maputo, Mosambik, fördert WfW den Zugang zu sicheren und leicht zu reinigenden Toiletten und den Wasserzugang in Primarschulen.

ZVG

Auf ihrer Reise keimt in den Brüdern der Wunsch, dem Tod von Basil etwas entgegenzusetzen. Die Idee von Wasser für Wasser kommt ihnen am Strand von Goa. «Wäre es nicht grossartig, wenn wir Menschen in der Schweiz dazu bewegen könnten, mit jedem Liter Wasser, den sie trinken, anderen zu Trinkwasser zu verhelfen?» Oder anders gesagt: Wasser als Grundlage für das Leben – als Antwort auf den Tod. 

Zurück in Kriens, gründen Morris und Lior 2012 den Verein WfW. So richtig ernst nimmt man ihr Engagement nicht. «Was macht ihr danach?», werden die Brüder oft gefragt.

Aber es gibt keinen Plan B. «Wir hatten den Mut, diese Sache durchzuziehen, ohne Angst, was passiert, wenn wir scheitern», sagt Morris – «diese Radikalität verdanken wir Basil.» Lior nimmt das Wort Angst auf – wie die Brüder so oft die Worte des anderen aufnehmen, wie Zahnräder, die immer schön ineinandergreifen. «Nach dem Tod von Basil fühlte ich mich befreit von Ängsten», sagt Lior, «plötzlich steckte das Leben voller Möglichkeiten.» 

Morris (Bart) und Lior Etter, Gründer der Non-Profit Organisation WfW Wasser für Wasser

Die Brüder sind sich gegenseitig die ehrlichsten Kritiker und Förderer.

Herbert Zimmermann / 13 Photo

In den letzten neun Jahren hat die Organisation im dichten Dschungel der NGOs ihren Weg gepfadet. Lior, der Optimist, sagte stets: «Das schaffen wir.» Morris, der Realist, entgegnete: «Ich denke nicht, dass das funktioniert, aber wir müssen es trotzdem versuchen.» 

Von Michelle Schwarzenbach am 4. Juni 2021 - 11:50 Uhr