Mit Städten ist es ein bisschen wie mit Beziehungen: Manche lassen einen unberührt und sind schon nach einer Nacht Geschichte. Mit anderen hält man sich etwas länger auf und ist sich am Schluss gar nicht mehr so sicher, ob sich das auch wirklich gelohnt hat. Von einigen können wir einfach nicht loslassen, obwohl wir wissen, dass sie nicht das Richtige für uns sind. Typische Hassliebe geht oft einher mit überschwänglicher Anfangseuphorie, gefolgt von einer harten Landung auf dem Boden der Realität. Kennen Sie vielleicht von Paris, New York oder London. Und dann gibt es diejenigen Städte, bei denen wir gleich am Anfang dieses wohlige Kribbeln spüren, diese Chemie, die uns auf etwas richtig Grosses hoffen lässt.
Wenn man dem Gros der Reiseführer glaubt, dann ist Porto eher etwas für einen Ferienflirt, den man nach 48 vergnüglichen Stunden auch getrost wieder abhaken kann. Wie die Autoren zu diesem Schluss kommen, ist schnell erklärt: Die Stadt hat eine überschaubare Grösse, die Must-sees in Form von klassischen Sehenswürdigkeiten lassen sich an einer Hand abzählen (Kathedrale, Clérigos-Turm, Brücke Dom Luís I, Bahnhof São Bento), das richtig wilde Nachtleben und die richtig angesagten Hipster-Hotspots findet man woanders: in der Hauptstadt Lissabon. Sie ist quasi die grosse, heisse Schwester von Porto. Wer die unscheinbare Nummer 2 Portugals anhand einer klassischen Checkliste beurteilt, verkennt jedoch ihre inneren Werte: Gemütlichkeit, Warmherzigkeit, keine Attitüden.
«Willkommen in Porto! Ich bin mir sicher, ihr werdet euch genauso verlieben wie ich», begrüsst uns Mayumi Vidler am Löwenbrunnen vor der Universität. Die Brasilianerin mit japanischem Blut wanderte vor fünf Jahren mit ihrem damaligen Freund nach Porto aus. Die Beziehung zum Mann hat nicht gehalten, diejenige zu Porto schon. Seit Anfang Jahr führt die gelernte Marketingfachfrau Touristen durch ihre Wahlheimat – um Geld zu verdienen, klar. Aber vor allem, weil es Spass macht. «Jeden Tag gibt es in dieser Stadt Neues zu entdecken, es wird nie langweilig», erklärt die 33-Jährige ihre anhaltende Begeisterung. Und man nimmt sie ihr ab. Dass Porto sich im Wandel befindet, wird auch klar, wenn man den Blick vom Miradouro da Vitória über die Stadt schweifen lässt. Links des Douro lugen Baukräne zwischen den verschachtelten Häusern der Altstadt hervor, verfallene Fassaden werden mit neuen Kacheln – den sogenannten Azulejos – geflickt, rostige Balkongeländer mit glänzend neuen ausgetauscht. Am gegenüberliegenden Flussufer, in Gaia, macht ein riesiges Wandbild auf die Eröffnung des WOW, aufmerksam. 100 Millionen Euro wurden in das Megaprojekt World of Wine investiert. Direkt neben den traditionellen Portweinkellern ist ein Komplex aus verschiedenen Museen, Restaurants und Einkaufsmöglichkeiten entstanden. «Und das Haus, vor dem wir stehen, wird schon bald saniert und zu einem Hotel umgebaut», sagt Mayumi. «Dann wird der Aussichtspunkt wohl nicht mehr gratis zugänglich sein.» Porto putzt sich heraus. Nach der Finanzkrise 2008 boomte der Tourismus, wurde zum wichtigsten Wirtschaftszweig. Verdrängung wurde zum Problem. «Aber gerade weil Porto so klein ist, vermischt sich hier alles. Touristen und Einheimische besuchen dieselben Orte.»
«Wer Porto mit einer Checkliste beurteilt, verkennt die inneren Werte»
So liegt Portos Künstlerviertel nur einen Katzensprung von der wohl längsten Warteschlange der Stadt entfernt: Nachdem wir den Pflichtbesuch in der dank Instagram weltberühmt gewordenen Buchhandlung Livraria Lello absolviert haben, steuern wir deshalb in Richtung Rua Miguel Bombarda. Traut man sich andernorts ohne einen Master in Kunstgeschichte kaum mit dem Fuss über die Schwelle einer Galerie zu treten, wird man hier schon beim Blick durchs Schaufenster mit einem herzlichen «¡Olá!» begrüsst. Die Werke, die ausgestellt werden, sind erschwinglich. Bei der Ó! Galería läuft man zum Beispiel schon für zwanzig Euro als glücklicher Besitzer eines Prints von lokalen Grafikern aus dem Laden – wenn man sich bei der riesigen Auswahl denn entscheiden kann. In den Strassen rundherum locken Vintage-Shops, Concept-Stores und mit dem CC Bombarda sogar eine komplette Mall mit alternativen Läden zum Stöbern. Wir gondeln hin und her zwischen Bars, die auch Plattenspieler und Analogfilme verkaufen («Embaixada do Porto»), Plattenläden, in deren Sortiment auch Kunstbücher sind (Máteria Prima), und Boutiquen, die neben Designerklamotten made in Portugal auch Strickkurse anbieten (Earlymade).
«Wir sind eine Generation, die alles macht», sagt Rita Dixo, deren Geschäft mit lokal angefertigten Einrichtungsgegenständen und Slow Fashion an drei Tagen die Woche zum Restaurant wird. Die 36-Jährige schloss 2009 ihren Master in Philosophie ab – ohne Chance auf eine Festanstelllung. «Also machte ich meine Liebe für Dekoration und Kultur zum Beruf», erzählt sie. Die Krise macht pragmatisch. Da verwundert es auch keinen, wenn ein wegen Corona arbeitslos gewordener Literaturlehrer für ein Zubrot auf der Rua de Cedofeita Gedichte von portugiesischen Poeten rezitiert, während sich die Terrassen der umliegenden Bars und Restaurants mit Gästen füllen. Typisch Porto halt. Und dieses typische Porto spielt sich nicht in den zwar durchaus sehenswerten Portweinkellern von Gaia und den aufgehübschten Gassen des Ribeira-Viertels ab. Man findet es an den weniger bekannten Ecken. Zum Beispiel auf einer Velofahrt ins Fischerdörfchen São Pedro da Afurada, wo Frauen in karierten Schürzen die Fänge ihrer Männer an Ständen feilbieten, die so reich mit Sakralbildern dekoriert sind, dass sie als Kapellen durchgehen könnten. Oder man nimmt das Tram Nummer 1 nach Foz, wo der Douro den Atlantik küsst, und flaniert mit einer salzigen Meeresbrise in der Nase an den pastellfarbenen Häusern vorbei, bevor man in einem der erstklassigen Lokale des Edelviertels den Tag ausklingen lässt.
Kurz gesagt: 48 Stunden reichen nie und nimmer aus für Porto. Nur schon weil man den magischen Sonnenuntergang mindestens einmal von der linken und einmal von der rechten Uferseite des Douro gesehen haben muss. Oder weil man dem Magen zwischen dem Verzehr der deftigen Lokalspezialitäten Francesinha (eine Art Croque Monsieur mit Sauce) und Pernil (ein Schweinebraten-Sandwich) mindestens zwei Tage Pause gönnen muss. Und dann wären da noch der wunderschöne Skulpturenpark des Museums Serralves, die vielen Strände, das aufstrebende Quartier Bonfim!
«Porto bietet das ganze Paket», bringt es der Taxifahrer ausgerechnet auf dem Weg zurück zum Flughafen auf den Punkt. Das mildert den Abschiedsschmerz nicht. Aber wenn es mit Städten ein bisschen wie mit der Liebe ist, dann sind Porto und ich jetzt halt in einer Fernbeziehung. Das könnte was Grosses werden.
- Anreise Diverse Airlines fliegen von Zürich oder Basel nach Porto. www.visitportoandnorth.travel
- Hotel Die «Vila Foz» ist brandneu, super chic und direkt am Meer gelegen. www.vilafozhotel.pt
- Restaurant Im «Casa Vasco» gibts feinen Fisch mit Strandambiente. www.cafeina.pt/pt/CasaVasco
- Bar «Aduela» serviert guten Wein mitten im coolen Cedofeita. www.yelp.com/biz/aduela-porto
- Sightseeing Hier bucht man eine Stadtführung mit Mayumi. www.withlocals.com