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Weltklasse 2019

Sie fliegt wie der Wind

Sie ist jung, hat ein Faible für Mode und setzt sich für Sportlerinnen ein. Vor allem aber ist Dina Asher-Smith schnell. An der WM in Doha will die Britin auf den Thron.

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Dina Asher-Smith of Great Britain
Getty Images

Wenn die Topshots aus dem Showbiz Gisèle Bündchen, Naomi Campbell oder Rihanna die Titelseite des renommierten Magazins «Elle» zieren, ist das Business as usual. Dass aber auf dem Cover der englischen Ausgabe des Juli-Hefts eine Sportlerin strahlt, finden die Briten very amusing. Die attraktive junge, dunkelhäutige Frau lacht etwas schüchtern von der Titelseite. In ein knallgelbes, sündhaft teures Designer-Kleid verpackt, die dunklen Locken luftig um ihr Gesicht drapiert.

«Dina Asher-Smith, Worlds fastest woman» träumen die «Elle»-Blattmacher mit ihrer Schlagzeile. Den Stoff für ihre Träume liefert die 23-jährige, 1,64 m grosse Frau an den Leichtathletik-Europameisterschaften im vergangenen August in Berlin. Asher-Smith holt sowohl über 100 m als auch über 200 m und mit der britischen 4x100-m-Staffel EM-Gold. Seither und dank ihren persönlichen Bestmarken von 10,85 Sekunden über 100 m und 21,89 im doppelt so langen Sprint gilt Dina Asher-Smith als Europas neue Sprintkönigin. 

In diesem Herbst steht die WM im katarischen Doha (27. September bis 6. Oktober) an, und im nächsten Jahr ruft Olympia in
Tokio. Gelegenheiten für Dina Asher-Smith, der Welt und den «Elle»-Blattmachern zu beweisen, dass ihre Träume nicht bloss Schäume sind.

Dina Asher-Smith of Great Britain

200-m-Halbfinal an der EM in Berlin 2018. Asher-Smith holt dreimal Gold. 

Getty Images for European Athlet

«Der Sprint vereint Aggressivität uns Ästhetik"

Dina Asher-Smith

Es sind ja nicht nur ein paar Journalisten, welche die junge britische Sprinterin bereits zuoberst am Leichtathletik-Himmel sehen. Selbst Sebastian Coe, 800- und 1500-m-Olympiasieger, mehrfacher Weltrekordler und heute Präsident des Leichtathletik-Weltverbands IAAF, gerät ob Asher-Smith ins Schwärmen. Als er nach dem Rücktritt des Jamaika-Überfliegers Usain Bolt von BBC-Reportern gefragt wurde, wer künftig das Aushängeschild der Welt-Leichtathletik werden sollte, antwortete Coe: «Es könnte ja auch einmal eine Frau sein. Wieso eigentlich nicht Dina Asher-Smith?» Noch stehen ihr zwei Jamaikanerinnen vor der Sonne – Shelly-Ann Fraser-Pryce und Elaine Thompson. Doch was für Dina, die Jüngste des Trios, noch nicht ist, kann in Doha oder in Tokio durchaus noch werden.

Die am 4. Dezember 1995 in der englischen Grafschaft Kent geborene Tochter von Julie und Winston Asher-Smith – beide von Jamaika nach England emigriert – kennt keine Grenzen. 

Schon in ihren ersten Jahren fällt Dina mit ihrem Bewegungsdrang auf. Sie geht ins Ballett, taucht und schwimmt für ihr Leben gern, spielt sogar Fussball. Schliesslich sind auch ihre Eltern sportbegeistert. Mama Julie spielt bis kurz vor der Geburt ihres einzigen Kindes Landhockey. Papa Winston, ein Ingenieur, ist begeisterter Outdoor-Freak und liebt Adventure-Events. Als sie im Alter von acht Jahren von einem Schul-Gschpänli gefragt wird, ob sie nicht auch bei einem von der Schule organisierten 400-m-Lauf mitmachen wolle, schüttelt Dina bloss den Kopf. «Laufen ist nichts für mich.» Erst als ihr die Kollegin ein Eis verspricht, wenn sie das schaffe, sagt Dina widerwillig zu. «Ich bin fast gestorben, konnte aber nicht aufgeben. Schliesslich wollte ich das Eis haben.»

Danach hat Dina Feuer gefangen. Heute sagt sie: «Leichtathletik ist die Sportart, bei der Frauen die gleichen Möglichkeiten haben wie Männer. Im Unterschied zum Fussball, wo Frauen noch immer belächelt werden, haben wir in der Leichtathletik die Möglichkeit, bei den gleichen Wettkämpfen wie die Männer und in den gleichen Stadien unser Können zu zeigen. Ausserdem gibt es in der Leichtathletik keine Unterschiede zwischen der Hautfarbe. Da fällt man als Schwarze nicht auf.» Und warum der Sprint? «Das Zusammentreffen von Aggressivität und Ästhetik ist es, was mich fasziniert. Innerhalb eines Wimpernschlags ist im Sprint alles vorbei. Man muss also von Anfang bis Schluss zu hundert Prozent da sein. Im Sprint gibt es keine Zeit, taktische Überlegungen und Fehler zu machen. Von Anfang bis Schluss gibt es bloss eines – Vollgas!»

Dina Asher Smith

Dina Asher Smith bekennt Farbe

Instagram/dinaashersmith

Vollgas! Das Stichwort zieht sich durch Dinas Leben. Nicht bloss im Sport, wo sie bereits als Teenager mit 39,16 Sekunden über 300 m eine Weltbestleistung für 13-Jährige erzielt. Als Dina vor fünf Jahren ihre normale Schulzeit hinter sich hat, entschliesst sie sich, ans renommierte King’s College zu gehen. «Ich habe gespürt, dass ich etwas Akademisches machen will», sagt sie. «Freunde haben mich zwar davor gewarnt. Das King’s College sei eine Eliteschule, stelle an die Studierenden sehr hohe Ansprüche. Daneben Spitzensport zu betreiben, sei schier unmöglich.» Doch gerade dies habe sie gereizt. «Ich will am bestmöglichen Ort studieren, mit den bestmöglichen Lehrern.» Schliesslich entscheidet sie sich für Geschichte und schliesst dieses Studium mit Bestnoten ab. Typisch für die junge multikulturelle Frau: «Der positive Einfluss von Jazz auf die Immigration» ist der Titel ihrer Abschlussarbeit.

Dina ist es nicht egal, was um sie herum passiert. Die junge Frau sieht sich zwar nicht als Feministin. «Aber ich will dazu beitragen, dass in unserer von Männern dominierten Gesellschaft die Rolle der Frau eine grössere Wertschätzung erhält.» Und auch da nennt sie ein Beispiel aus dem Sport. «Sport wird generell von Männern geprägt. Am College haben viele Mädchen entweder Netball oder Fussball gespielt. Auf Schul-Level sind das fantastische Girls, wir haben in England auch gute Nachwuchs-Nationalteams. Aber neben den kleinen Turnieren haben diese Frauen fast keine Bühne, wo sie sich international bestätigen können. Als Leichtathletin bin ich dagegen privilegiert. Ich kann an Olympischen Spielen teilnehmen. Kann meinen Sport zum Job machen. Diese Chancen sollte es auch in anderen Sportarten für Frauen vermehrt geben.» 

Dina Asher-Smith arrives at The Fashion Awards 2018

Dina Asher-Smith posiert vor der Royal Albert Hall während den Fashion Awards 2018 in London.

Mike Marsland/Getty Images

Frauen wie Dina Asher-Smith haben sich mit dem Anliegen bei der englischen Bevölkerung mittlerweile Gehör verschafft. Die Zeitung «The Daily Telegraph» hat erst jüngst eine regelmässige Kolumne geschaffen, in der speziell der Frauen-Sport von Frauen thematisiert wird. Zwei der Kolumnistinnen: Dina Asher-Smith und Judy Murray, die berühmte Mutter der Tennis-Star-Brüder Andy und Jamie Murray.

Zurück zum «Elle»-Cover Girl Dina Asher-Smith. «Dieses Fotoshooting war das Aussergewöhnlichste, das ich je erlebt habe», schwärmt sie. Freche und extravagante Kleider sind schon lange ihr Ding. «Es macht mir einfach Spass, meinen austrainierten Körper in attraktiven Kleidern zu zeigen», sagt sie. Dinas Mutter musste für das Mode-Faible ihrer Tochter auch früh tief in die Tasche greifen. Oder zur Tasche. Als Dina 2013 als noch nicht 18-Jährige von den U20-Europameisterschaften aus Rieti (It) mit zwei Goldmedaillen nach Hause kommt, will die Mama ihrer Tochter etwas schenken. Und Dina wünscht sich nicht etwa ein neues Smartphone oder neue Laufschuhe – «eine schicke Handtasche hätte ich gern.»

Von Carl Schönenberger am 23. August 2019 - 13:00 Uhr, aktualisiert 23. August 2019 - 13:41 Uhr