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Andreas Kuettel, Skisprung-Weltmeister

Bei Dorota perfekt gelandet

In seinem Sport wird er schnell mal vom Winde verweht. Im Privatleben ist die Fluglage von Skisprung-Weltmeister Andreas Küttel hingegen stabil. Seine Freundin Dorota steht bereit, um ihn aufzufangen.

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Weltmeister mit eigener Schanze: Andreas Küttel mit Freundin Dorota auf der Andreas-Küttel-Schanze in Einsiedeln SZ.

Nirgends in Einsiedeln SZ ist die Aussicht schöner als von der Skisprung-Schanze. Keiner weiss das besser als Skisprung-Weltmeister Andreas Küttel, 30. Schliesslich trägt die 117-Meter-Schanze beim Dorfeingang sogar seinen Namen. «Wenn ich trainiere, blicke ich zum Kloster, zum wunderschönen Sihlsee, und im Hintergrund sehe ich die Schwyzer Alpen. Was will man mehr?» Seine Freundin Dorota Pawlowska, 31, braucht einen Moment, bis sie ein Auge für die Landschaft hat. Die Polin steht zum ersten Mal auf einer Skisprung-Schanze - und kommt aus dem Staunen kaum heraus: «Wow, kaum zu glauben, dass du dich hier runtergetraust.»

Gefunkt hat es zwischen Andreas und Dorota im Sommer 2006, während des Sommertrainings der Schweizer Skispringer in Zakopane, Polen. «In einem Café sind wir uns das erste Mal begegnet», sagt Andreas. Seit fast drei Jahren sind die beiden nun ein Paar - obwohl es nicht immer einfach ist, Zeit füreinander zu finden. «Ich bin für meinen Sport zweihundert Tage im Jahr auf Achse, und Dorota arbeitet als Ärztin in Sönderborg, Dänemark.» Ein Schweizer Skispringer und eine polnische Ärztin, die in Dänemark arbeitet - nicht gerade eine alltägliche Konstellation, wie die beiden lachend eingestehen.

Umso mehr geniessen sie den gemeinsamen Sommer in der Schweiz. Dorota hat von ihrem Arbeitgeber ein halbes Jahr unbezahlten Urlaub erhalten und ist für diese Zeit in die Wohnung eingezogen, die Andreas mit einem Kollegen teilt. «Ich versuche, Dorota etwas von der Schweiz zu zeigen. Für kurze Strecken nehmen wir meine Vespa, für unsere persönliche Tour de Suisse werden wir den Wohnwagen meiner Eltern benützen.»

Im Moment stehen für Dorota mehrmals pro Woche auch Deutschstunden auf dem Programm. «Und anschliessend prüft Andreas’ WG-Partner jeweils, ob ich schon ‹Chuchichäschtli› sagen kann!» Deutschunterricht und Schweizkunde - sind da etwa kleine Schweizermacher am Werk? Andreas lacht. «Klar ist, dass wir nach meiner Karriere zusammenleben möchten. Nur, wo das sein wird, wissen wir noch nicht.»

Obwohl oder möglicherweise weil Andreas oft im Ausland auf Weitenjagd ist, fühlt er sich seinem Heimatort Einsiedeln stark verbunden. «Ich bin Kosmopolit. Aber je älter ich werde, desto stärker spüre ich, dass hier meine Wurzeln sind.» Andreas’ «geheime» Kraftquelle ist der Sihlsee. «Der Sprung ins kühle Nass ist mein festes Morgenritual. Nirgends kann ich besser Kraft und Ruhe tanken.»

Mit oder ohne Morgenritual: An Motivation und Lebensfreude mangelt es Andreas ohnehin nicht. Die Interessen des Turn- und Sportlehrers mit ETH-Abschluss sind breit gefächert: Seine Leidenschaft fürs Fotografieren macht ihn zum Paparazzo des Skisprung-Teams, Kochen ist eins seiner Hobbys (Dorota: «Und das sogar sehr gut»), und wenn er Lust auf Musik hat («Ich kann ohne Sound nicht sein»), fährt er mit der Vespa kurzerhand in die Rote Fabrik nach Zürich. Um auch geistig frisch zu bleiben, hat er in den vergangenen Wochen seine Englisch-Kenntnisse wieder aufgefrischt und das First-Diplom erworben.

Der Weltmeistertitel auf der Grossschanze von Liberec im vergangenen Februar hat das Leben von Andreas Küttel nicht auf den Kopf gestellt: «Ich bin extrem stolz auf diesen Titel. Trotzdem bin ich immer noch der Gleiche. Aber lustigerweise habe ich oft das Gefühl, dass man meinem Wort jetzt mehr Gewicht gibt. Dabei sage ich immer noch das Gleiche wie vorher!» Für Dorota hingegen bringt der Weltmeistertitel einige Änderungen mit sich: «In Dänemark interessiert sich kein Mensch fürs Skispringen, ich kann nicht mal Andreas’ Sprünge am TV sehen. Aber in Polen ist der Sport so populär wie Fussball. Und jetzt bin ich plötzlich die Freundin des Weltmeisters! Das ist schon sehr speziell.»

2011 soll mit der Profi-Karriere Schluss sein. «15 Jahre bin ich nun schon dabei, irgendwann ist es genug.» Vorher stehen noch die Olympischen Spiele in Vancouver und im Jahr drauf die WM in Oslo auf dem Programm. «Auf diese Grossanlässe freue ich mich extrem. Und obwohl ich jetzt einen grossen Titel errungen habe, werde ich nicht nachlassen. Im Gegenteil, ich möchte nochmals richtig durchstarten.»

Mal top, mal Flop. Wie dünn der Grat zwischen Euphorie und Absturz beim Skisprung ist, weiss Küttel aus eigener Erfahrung. «Skispringer balancieren immer zwischen diesen Extremen. In unserem Sport kann man sich nichts vormachen. Man muss jederzeit schonungslos ehrlich zu sich sein.» Eigenschaften, die sich auch auf das Privatleben übertragen, so Andreas. Für Dorota kein Problem, im Gegenteil: «Das macht Andreas für mich zu einem aussergewöhnlichen Menschen. Er ist sehr fokussiert, bleibt aber gleichzeitig offen für Neues. Und dank diesem Ausflug auf den Schanzentisch der Küttel-Schanze begreife ich das Ganze noch ein wenig besser.»

am 3. Juli 2009 - 14:21 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 18:40 Uhr