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Scharans - Palermo retour

Heimat in der Fremde: Das Thema der neuen CD des Bündner Liedermachers Linard Bardill und seines Freundes Pippo Pollina ist hochaktuell.

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Bardill mit Pippo Pollina in seinem Studio am Üben für die gemeinsame Tournee.

Wir habens gerade ein wenig stressig», sagt Linard Bardill, 52, und legt die Füsse auf den alten Holztisch. «Aber das hält jung!». Vor drei Tagen Palermo, dann Rom und Hausen am Albis ZH – jeden Abend ein Auftritt, alles unter erschwerten Bedingungen: Bardills Bühnenpartner Pippo Pollina, 45, hat hohes Fieber, das Portemonnaie mit den Gagen geht verloren, dann eine Panne mit dem kleinen Tourbus. «Umso mehr geniesse ich den Zwischenstopp hier in meinem Paradies.»

Bardills Paradies liegt in Scharans, einem Nest mit 800 Einwohnern hoch über dem Talboden des Domleschg. Seit 1987 lebt der erfolgreiche Bündner Liedermacher und Autor hier oben in einem burgähnlichen Haus. Mit seiner Lebensgefährtin und zwei gemeinsamen Kindern; Sohn Liun, 5, kam mit Downsyndrom zur Welt.

Einen Steinwurf entfernt hat sich der gebürtige Churer 2007 einen Lebenstraum verwirklicht: sein Atelier. Ein rotbraun gefärbter Betonbau mit über 500 Rosetten an den Wänden. An den nicht überdachten Innenhof schmiegt sich, durch eine Glasfront getrennt, das Studio. «Das Atelier ist Refugium, kreatives Zentrum und Stätte für Begegnungen.»

Das Werk des Architekten Valerio Olgiati ist der exotischste Bau im Ort. Unter Einheimischen sorgte das Haus für Diskussionen. Bardill: «Für viele war es eine Provokation. Doch mittler-weile haben sich die Gemüter beruhigt.»
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Stundenlang sitzt Bardill im Studio. Lässt die Blicke hinauf zum Piz Beverin schweifen. Komponiert am Mac Kinderlieder, schreibt an einem Buch über männliche Sexualität. Vor Kurzem entwarf er für die Region Flims-Laax- Falera ein neues Kinderskischul-Konzept. Das Atelier sei für ihn eine starke Quelle der Inspiration. «Ideen fliegen mir auch zu, wenn ich mit meinen Eseln Oro und Rosa unterwegs bin.»

Mit Eseln war er schon Mitte Acht- zigerjahre auf Wanderschaft. Wütende Lieder sang der studierte Theologe und kämpferische Linksaktivist damals, «gegen die fremde Bau-Mafia und den Bündner Erziehungsdirektor» – und war deshalb im Kanton offiziell geächtet. So zog er mit Eseln von Ort zu Ort, sang auf Dorfplätzen, unterstützt von seiner damaligen Frau an der Geige.

Heute reist Bardill vor allem mit seinen begeisternden Kindermusik-Programmen durchs Land. Die politische Ader ist ihm geblieben. Auch bei seiner neusten Produktion, der CD mit Pippo Pollina. Den Sizilianer lernte er 1985 kennen, als Pollina in der Luzerner Altstadt als Strassenmusiker spielte. Linard fragte ihn spontan, ob er mit ihm auftreten wolle. Pollina: «Das war der Beginn einer tiefen Freundschaft.»

Seit 18 Jahren lebt er in Zürich, ist mit einer Zürcherin verheiratet.
«Caffè Caflisch» heisst ihre neue CD. Zwölf lustvolle, aber auch nachdenkliche Lieder über die Heimat in der Ferne. Im Jahr 1900 hatte Christian Caflisch aus Trin seiner Heimat den Rücken gekehrt – wie so viele andere Zuckerbäcker aus armen Bündner Bergtälern. In Palermo auf Sizilien baute er eine florierende Konditorei, das Caffè Caflisch.

75 Jahre später gings in die Gegenrichtung. Pippo Pollina verliess seine Heimat, um die weite Welt kennenzulernen. Bardill: «Völker wandern ein, Völker wandern aus.»

Heute sei die Schweiz ein Einwanderungsland. «Doch wir nehmen nur die Elite auf!» Ein Lied auf der CD heisst «Lampedusa». Auf dieser Insel vor Sizilien landen täglich Boote mit afrikanischen Flüchtlingen. «Vor diesem Drama dürfen wir die Augen nicht verschliessen!»

Auf ihrer aktuellen Europa-Tournee machen die beiden Barden mit «Caffè Caflisch» in 40 Städten halt. In der Schweiz gastieren sie jeweils in der mobilen Kulturplattform Das Zelt.

Bardill würde sich freuen, dabei mal eine seiner Schulkolleginnen zu treffen. Mit Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf ging er ein Jahr ins Gymi in Chur. «Als Justizministerin hat sie mit dem Thema Emigration ja viel zu tun. Sie ist eine integre Persönlichkeit, doch leider allzu oft auf der Blocher-Linie.»

Im Cheminée knistert das Arvenholz. «Vieni, Pippo! Spielen wir eins!» Bardill nimmt eine seiner Gitarren in die Hände, eine akustische Lakewood. Intoniert «Uf und furt». «Pippo und Caflisch sind beste Beispiele, dass Integration eine grosse Bereicherung ist.».


am 21. Februar 2009 - 19:58 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 18:36 Uhr