Fabian Blum, 23, kann sich noch genau an den Moment erinnern, als sein Leben wortwörtlich auf den Kopf gestellt wurde. Das Kunstturntalent aus Pfaffnau LU öffnete den Doppelsalto – für den damals 19-Jährigen eine Routineübung – zu früh. Seit dem Sturz vor vier Jahren ist er Tetraplegiker und vom 5./6. Halswirbel an gelähmt. «Ich wusste sofort, dass sich jetzt alles ändern würde.»
Bei Alexandra Helbling, 24, die als Baby aus Sri Lanka adoptiert wurde, jedoch bis heute noch nie dort war, ist der verheerende Autounfall mit ihrer Mutter schon 18 Jahre her. Doch auch bei der Ostschweizerin, die seither Paraplegikerin ist, sind viele Dinge noch präsent: Wie sie als Sechsjährige zuerst Freude am Rollstuhl, ihrem neuen «Spielzeug», verspürte und erst am Schock ihrer Eltern sah, dass etwas Schlimmes passiert war. Wie sie zwar weiterhin Tennis gespielt hat, doch nicht mehr gleich viel Spass daran hatte. Auch an die Zeit vor dem Unfall kann sie sich erinnern. «Ich weiss noch genau, wie es sich anfühlt, barfuss durch Sand oder Gras zu laufen. Dieses Gefühl werde ich nie vergessen», sagt Helbling ohne eine Spur von Wehmut in der Stimme.
Eine gemeinsame Leidenschaft
Alexandra Helbling und Fabian Blum haben beide einen neuen Sport für sich entdeckt: Rollstuhl-Leichtathletik. Heute gehören sie zu den besten Athleten Europas. An der Para-EM Ende August räumt Helbling in sechs Rennen fünf Medaillen ab – einmal Gold, dreimal Silber und einmal Bronze – und Blum gewinnt Bronze über 1500 m. Beide haben ihren neuen Weg gefunden. Und geniessen ihn seit etwas mehr als einem Jahr gemeinsam.
Die Liebe schlug ein
Liebe auf den ersten Blick war es nicht, als sie sich im Paraplegikerzentrum Nottwil vor Jahren begegnet sind. Erst im Trainingslager in Dubai im Frühling 2017 funkte es – beim Kaffeetrinken. «Es war ganz ungezwungen, da wir beide nicht auf der Suche nach einer Beziehung waren, gäll?!», sagt Helbling, schaut zu ihrem Liebsten und lacht.
Die beiden verbindet, dass sie ein ähnliches Schicksal teilen: «Es ist im Alltag sicher einfacher, da wir genau wissen, was der andere machen kann und was nicht.» Doch ihre Einschränkung ist für sie Nebensache und selten Thema. «Ich bin nicht behindert, kann einfach nicht laufen», lautet Helblings Lebensmotto. Dafür spielt der Sport eine Hauptrolle in ihren Leben. Beide arbeiten halbtags – sie als Kauffrau, er als Elektroplaner – und richten ihren Alltag nach dem Training aus. «Wir würden gerne als Profisportler leben, aber das ist finanziell unmöglich», sagt Blum. Er ist besonders fleissig und legt oft Extra-Einheiten ein. «Er ist extrem ehrgeizig. Ich bin etwas lockerer», sagt Helbling. Die Disziplin lernte er im Kunstturnen. «Da hiess es nach fünf Stunden Training: nun noch hundert Liegestütze!»
Verschiedene Hobbys
Abschalten kann Blum bei seiner zweiten Leidenschaft, dem Fischen. Dank einem speziell rollstuhlgängigen Motorboot, welches er 2015 in der Sendung «Happy Day» geschenkt bekam, kann er das noch heute regelmässig tun – am liebsten mit seinem Bruder und seinem Vater. «Draussen auf dem See zu sein, ist für mich das Grösste, da fühle ich mich frei!»
Auch seine Alexandra nahm er schon mal mit aufs Boot. Doch sie teilt seine Begeisterung nicht. «Was bringts, wenn wir da beide herumsitzen?», fragt sie rhetorisch, mit einer Mischung aus Galgenhumor und Pragmatismus. Die diplomierte Naildesignerin trifft sich lieber mit Kolleginnen oder designt in der dafür eingerichteten Ecke in der Wohnung in Nottwil, in der sie mit ihrer Mutter lebt, Fingernägel.
Ihren Mittelfinger schmückt noch etwas anderes: Als Zeichen der Liebe tragen Helbling und auch Blum einen Freundschaftsring. Und bald wollen sie gemeinsam wohnen. «Nicht ich bei ihm oder er bei mir – etwas Eigenes!» Währenddessen arbeiten sie stets weiter an ihrem sportlichen Traum: gemeinsam an den Paralympics 2020 in Tokio starten zu können.