Morgenessen um Mitternacht – in voller Rennmontur kommt Sebastian «Baschi» Bürgin, 31, aus dem Lift. Heute steigt der Sänger an der Tortour Challenge im 3er-Team in den Sattel. «Rock ’n’ Roller? Nein, heute bin ich Profisportler!»
An der Hand führt er sein Rennvelo, das er vor vier Monaten extra fürs Training von einem Freund geschenkt bekommen hat. «Meins ist mit Abstand das älteste Modell, noch aus dem Krieg.» Teamkollege Ronnie Schildknecht, 38, gesellt sich beim Frühstücksbuffet in der Lobby des Hotels Arcona in Schaffhausen dazu. «Die Tortour wird bestimmt eine Grenzerfahrung für dich», so der vielfache Ironman-Sieger. «Aber ich finds toll, wenn Leute an ihre Grenzen gehen.» – «Das Gute ist, dass ich heute schon wieder im Ziel sein werde», so Baschi.
«Ich han Schiss»
0.15 Uhr, das Handy piepst, eine neue Nachricht im Chat des Teams Laureus TUI1. «Alle wach?», erkundigt sich Martin Wittwer, 57. Der CEO von TUI Suisse und Laureus-Stiftungsrat ist der dritte Fahrer und der Grund, weshalb Baschi überhaupt beim härtesten Radrennen der Schweiz mitfährt. «Ich han Schiss», gesteht Baschi.
Die Angst vor einem plötzlichen Krampf in den Beinen hat ihn wach gehalten. «Was mache ich dann? Aufgeben ist keine Option. Ich musste ja eine grosse Klappe haben und allen erzählen, dass ich hier mitmache.» Schildknecht beruhigt. «Du bist mental sehr stark. Wer mental stärker ist als körperlich, schafft das.»
Zehn gefüllte Bidons, Chips, Äpfel, Bananen, Sandwiches und Biberli, heisses Wasser für Bouillon, Tee und Kaffee packt Fränzi Bürki, 44, zusammen mit Gatte Silu, 47, ins Teamauto. «Vor allem Salz ist wichtig.» Das Ehepaar aus Dulliken SO war schon oft als Helfer dabei, doch heute erstmals im Duo. Im Van begleiten sie die Fahrer auf den rund 541,2 Kilometern von Schaffhausen über Kreuzlingen und Chur nach Sachseln und Eglisau und zurück nach Schaffhausen. Dank der GPS-App Tractalis lassen sich die drei aus dem Team stets genau orten.
Schildknecht hat noch seine Reci-Shakes – ein Regenerationsgetränk aus einem Mix aus Kohlenhydraten und Proteinen – dabei. «Und Martin besitzt unseren Kräuterkasten mit pflanzlichen Koffeintabletten», so Baschi.
Baschi strampelt 250 Kilometer ab
1.45 Uhr – zu dritt gehts los! Aus der IWC Arena in Schaffhausen nach Kreuzlingen TG. Die erste und letzte Etappe fahren sie im 3er-Team, zusätzlich absolviert Ronnie Schildknecht noch drei, Baschi und Martin Wittwer je zwei Einzeletappen. Ihre Waden strampeln an diesem Tag je 250 Kilometer ab.
Um 7.33 Uhr fährt Baschi in Chur GR ein. Die erste Einzeletappe ist geschafft. «Ich war durchschnittlich mit 26 km/h unterwegs», so Baschi. «Dieser Gegenwind, der regt mich auf. Aber ich muss mir den Wind zum Freund machen!»
Martin Wittwer ist schon auf und davon
«Baschi, wie laufts?», fragt ein Laureus-Helfer in Chur. «Ich bin jedenfalls schon hier!», kontert der Baselbieter. Martin Wittwer, der Baschi unterwegs noch mit einem rein pflanzlichen Energydrink verpflegt hat, ist bereits weitergefahren. «Ich bin auch müde vom wenigen Schlaf», gesteht derweil Triathlet Schildknecht. Baschi lacht: «Nicht müde vom Velofahren wie wir anderen!»
Ein paar Stunden später auf dem Sustenpass auf 2224 Metern siehts anders aus. «Das war richtig hart», gesteht Schildknecht bei seiner Ankunft. Martin Wittwer stellt noch schnell Baschis GPS ein. Dieser begibt sich nun auf rasante Talfahrt – 30 Kilometer den Sustenpass runter. Und schon bald wartet die grösste Herausforderung auf den Neo-Radrennfahrer: der Brünigpass. «Wir müssen Baschi motivieren, er ist ein bisschen am ‹Blüete›», so Martin Wittwer. «Wie lange gehts noch hinauf? Das sind 13 Prozent Steigung!», nervt sich der Sänger.
14.42 Uhr, seine härteste Etappe ist geschafft. «Mir gings schon besser», so Baschi und genehmigt sich gleich zwei Birchermüesli. Wittwer trotzt auf dem Velo dem Baldeggersee entlang den Gewitterwolken. Bald sind sie wieder zu dritt für die letzte gemeinsame Etappe von Eglisau ZH zurück nach Schaffhausen.
Im Ziel wartet seine Freundin
20.52 Uhr, kurz nach der Dämmerung fährt das Trio in der IWC Arena ein! Baschi gehört ab sofort auch zu den Tortour- «Finishern». Nach dem «Siegeskuss» von Freundin Alana Netzer, 31, hat der Musiker wieder Atem für grosse Töne. «Ehrlich gesagt, dachte ich, dass ich mich geiler fühle.» Er lacht. «Aber ernsthaft, dass wir von 27 Teams auf Platz neun gefahren sind, ist der Oberhammer!»