Liebe Barbie
Ich war nie der Meinung meiner Nachbarfamilien, die ähnlich argumentierten wie die saudische Religionspolizei: Barbie sei mit ihren aufreizenden Kleidern die Verkörperung der perversen Dekadenz des Abendlandes und damit des Teufels.
Du bist so schön amerikanisch, in allem ein bisschen «over»: zu schlank, zu blond, zu geschminkt, zu modisch aufgetakelt. Und im Gegensatz zu unseren lieben Puppen mit Kindergesicht bist du mit weiblichen Attributen ausgestattet, die offenbar dem Beuteschema des durchschnittlichen Amerikaners entsprechen.
Das ist ja der Skandal: eine Frau als Spielzeug! Geht doch nicht! Da muss man unwillkürlich an Leute wie Donald Trump denken. Und an seine Melania, die bei näherer Betrachtung tatsächlich etwas Barbiehaftes hat. Nun hast du ja schon oft versucht, es allen recht zu machen: hast Gewicht und viel Farbe zugelegt, dann wieder weniger Schminke aufgetragen. Sogar die behinderte Barbie gibt es.
Du bist so schön amerikanisch: zu blond und zu geschminkt
Und jetzt also die Muslima. Barbie als Nachbildung der Hijab (Kopftuch) tragenden Fechterin Ibtihaj Muhammad, der ersten amerikanischen Sportlerin, die an Olympischen Spielen (in Rio) demonstrativ die strengen Kleiderregeln des Islam eingehalten hat.
Ob du damit bei den Barbie-Hassern punkten kannst? Schlimmer wäre ja, wenn du so kurz vor Weihnachten als Mutter Gottes auf den Markt gekommen wärst. Nicht vorzustellen, was für wüste Reaktionen das provoziert hätte, nicht nur in der Wüste… Dem Frieden zuliebe dann doch lieber Hijab, gell? In diesem Sinn frohe Weihnachten! Äh, sorry, schöne Festtage, so muss man ja heute sagen.
Mit freundlichen Grüssen
Peter Rothenbühler
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