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Mister-Schweiz-Kandidaten

Im Camp der Mister

Sie sind jung, muskulös und hart im Nehmen. Sie werden gedrillt. Zu Tischmanieren und aufrechter Haltung. Lernen, dass Körper­geruch und rissige Lippen tabu sind. 16 Mister-Schweiz-Kandidaten; ein Frontbericht.

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Manchmal reichen einem Mann nur ein paar Millimeter zum Glück – oder das eigene Paar Turnschuhe. Steven Huber, 25, blickt auf seine Füsse, dann auf seine Konkurrenten Diego Menzi und David Krieg und klagt: «Jemand hat meine Schuhe angezogen! Die hier sind mir zu klein!» Doch die beiden zucken nur mit den Schultern und schieben sich eine Gabel mit Omelette in den Mund.

Halb neun morgens. Nach 90 Minuten Yoga an der türkischen Riviera in leichter Trainingshose und mit nacktem Oberkörper bei kühlen acht Grad plus scheint die Schuhfrage banal. Alle Mister-Kandidaten haben sowieso die gleichen Hosen, Pullis, Jacken.

Wenn sich 16 Männer nach dem Frühsport umziehen, kann schon mal was verwechselt werden. Steven mault, hat zum Motzen aber keine Zeit. Die nächsten Shootings stehen an: Volleyball-Spiel am Strand, Modefotos im Nachbardorf, Filmdreh beim Segeln, Mountainbiken, Tanztraining und – Benimm-Drill.

Flughafen Zürich, Sunexpress-Schalter. Die Kandidaten besteigen die Maschine XQ 961. Ihr Ziel: das «Mister Schweiz Camp» im luxuriösen Kempinski Hotel Barbaros Bay im türkischen Bodrum. Im Gepäck: ihre Uniform – also die gesponserten Hemden, Strümpfe, Schuhe. Sogar das Lederarmband gehört zum Dresscode. Acht Tage Training stehen an. Einer von den Jungs wird am 2. Mai in Lugano zum Mister Schweiz gekürt werden.

Bis dahin ist der Weg weit, gepflastert mit Autogrammstunden in Einkaufszentren, Vorstellungsrunden in Kleinstadt-Diskotheken, Interviews bei Landradios – und dem Drill von Grazia Covre.

Die Zürcher Choreografin bringt jetzt im Tanzsaal des Hotels den Kandidaten erst mal das Sprechen bei: «Das ist mir alles zu nett! Zu passiv! Zu sehr Schweiz! Mehr Aggression!» «Votet für mich – ich bin die Nummer 1», presst Steven, amtierender Mister Zürich und Arbeiter in einem Baubetrieb, vor Grazia heraus.

«Vota per me – please! Ich bin eure Nummer 11», säuselt Elia Pallone. Im Hauptberuf Kioskbesitzer im Tessin, daneben Breakdancer und Pausenclown. Er garniert seinen Abgang mit einem Handstand. Auf einem Arm.

David Krieg, 24, kann zwar mit blauen Augen strahlen, über das «Votet» kommt er nicht hinaus – vor Lachen. Es sind nur 12 Buchstaben, dieses «Votet für mich», das die Kandidaten den Fernsehzuschauern am 2. Mai. zurufen sollen, um Stimmen für sich zu gewinnen. Nur drei Worte! Doch die wollen trainiert sein. Damit sie mit Kraft, Stil und Überzeugung in den Schweizer TV-Stuben ankommen.

Etwas später, im Hotelrestaurant, sitzt Christoph Bacher kerzengrade am Tisch. Silbergrauer Anzug, schwarzes Hemd, den Pony aus der Stirn gegelt. Heute ist «Asiatischer Abend». Vor Bacher liegen Stäbchen, auf einem Holzbrett Sushi, scharfer Salat. Der 21-Jährige studiert Betriebsökonomie, ist still und sehr, sehr ehrgeizig: «Ich will Mr. Schweiz werden!»

Wenns nicht klappt? «Selbst als Mister-Kandidat bin ich schon bekannter als jetzt als Mister Bern.» Der Wettbewerb nutzt. Dem Ego und dem Geldbeutel. Schliesslich ist nach der Wahlnacht jeder Ex-Mister-Kandidat ein Prominenter.

«Christoph!», herrscht ihn Grazia an, nicht nur für gute Sprache, sondern auch für perfekte Haltung da: «Gerade sitzen!» Der hübsche Christoph will aber nicht nur ein Kleiderständer für Sponsoren sein – mit getrimmter Frisur und lackierten Fingernägeln. Nein, er hat gesellschaftliche Ambitionen: «Ich bin ein Patriot!» Und sein Konkurrent Dominik Haevel, 24, ergänzt: «Ich möchte die multikulturelle Schweiz repräsentieren. Ich habe Freunde aus Frankreich, Korea, dem Senegal.»

Etwas tiefer hängt das Ganze Urs Brülisauer, Geschäftsführer der Mister Schweiz Organisation: «Ein Mister Schweiz repräsentiert nicht unser Land.» Er soll «primär schön, sympathisch, kommunikativ und ein gutes Model sein». Und natürlich sportlich. Mit Sixpack, Bizeps, Knack-Waden. Dann winken Werbeverträge im Wert von 60 000 Franken, ein Auto, ein Töff. Kleidung, Handy, Coiffeur, Ferien sind gesponsert.

Fotoshooting am folgenden Tag im Hafen von Bodrum. Raue Quaimauer, ein auf Grund gelaufenes Segelschiff. Delmarque Vilela Gomes de Barros, Fitnesstrainer mit einem Monatsgehalt von 3000 Franken, hat seinen Jahresurlaub genommen, um beim Kampf um die Mister-Ehre dabei zu sein.

«Ein schwarzer Mister wäre ein grosser Schritt für die Schweiz», sagt er. Oberkörper nackt, an den Beinen eine Cargohose macht er zehn Liegestütze: «Das pumpt die Brustmuskulatur auf.» Er greift in sein schwarzes Herren-Handtäschchen, nimmt Babyöl, reibt sich die Brust ein, trägt Lippenbalsam auf, das «sieht auf Fotos besser aus». Dann schmeisst er sich in Positur. Brust vor! Lendenmuskeln raus! Lächeln!

Was hier in der Südtürkei abläuft, ist eine Schweizer Invasion in der Vorsaison. Sogar die Zeitung «Hürriyet» meldet die Ereignisse aus dem Camp auf Seite 1. Auf jeden Kandidaten kommen mindestens zwei Kameraleute, Journalisten, Stylisten, Visagisten.

Zwischen Stadt, Strand und Hotel entstehen die TV-Spots, die am Wahlabend von jedem Kandidaten gezeigt werden. Dafür trainieren die 16 täglich Muskulatur, Benehmen, Leidensfähigkeit. Lassen sich vom homosexuellen Coiffeur, der auch Fotograf ist, die Haare richten oder nur mit einem Slip bekleidet fotografieren.

Und bei einem Grümpelturnier gegen ein türkisches Jugendteam hat sich die «schöne» Mannschaft gar verletzt. Die Bilanz: offene Knie, blutige Ellenbogen, ein sehr dicker Knöchel.

«Ein Mister Schweiz darf kein Langweiler sein», sagt Diego Menzi, Mister Ostschweiz, Sportstudent und Schweizer Meister in der 1000-Meter-Staffel. Seine revolutionärste Tat: Für seine Freundin hat er einst von sich Akt-Aufnahmen machen lassen.

Nein. Die aktuellen Fragen zu Bundesrat und Bankgeheimnis werden hier nicht diskutiert. Sport, fettfreies Essen, schöne Muskeln sind das Thema der Woche. Schön läuft Menzi zum Hotelstrand. Wasser-temperatur 14 Grad. Er wird für TV-Aufnahmen schwimmen, was er gelassen nimmt: «Meine grösste Intelligenz ist meine sportliche Intelligenz», sagt er. Und droht: «Wenns drauf ankommt, bin ich lockerer als die anderen.»

Wer schön sein will, muss leiden. Wer gewinnen will, macht alles. Schliesslich fragt hinterher niemand: Und? Wars kalt in der Türkei?

am 20. März 2009 - 13:03 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 19:28 Uhr