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Air-France-Flug AF447

«Man vergisst Halifax nie»

Dass transparent informiert werden muss, zeigte Beatrice Tschanz, als 1998 eine MD-11 der Swissair mit 229 Menschen bei Halifax abstürzte. Im Interview äussert sie sich zum Airbus-Drama.

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Beatrice Tschanz leitete von 1997 bis Sommer 2001 den Bereich «Corporate Communications» der damaligen SAirGroup. 1998 profilierte sie sich als Swissair-Sprecherin beim Unglück von Halifax. Im Herbst 2001, kurz vor dem Grounding der Swissair, verliess Tschanz die SAirGroup.
SI

SI: Frau Tschanz, warum packen uns Flugzeugunglücke so emotional?
Beatrice Tschanz: Ein Flugzeug, das vom Himmel fällt, ist ein ungeheuer starkes Bild, ein extremes Symbol. Und es sterben auf einen Schlag viele Menschen. Das alles macht so ein Unglück derart emotional.

Ihre ersten Gedanken bei der Nachricht, eine Air-France-Maschine sei angestürzt?
Ich zuckte zusammen. Und die Halifax-Erinnerungen waren wieder da. Wie war das damals bei uns, bei der Swissair? Auch das SR-111-Unglück geschah in der Nacht, auch über dem Ozean, auch mit etwa so vielen Passagieren an Bord.

Demnach plagt Halifax Sie heute noch?
Plagen nicht, ich habe das verarbeitet. Man vergisst Halifax nie, aber es schüttelt mich heute nicht mehr durch.

Was ist für die Angehörigen der AF-447-Opfer am schlimmsten?
Dass nichts mehr da ist. Man kann nicht Abschied nehmen, nicht mal von einem toten Körper. Prallt ein Flugzeug ins Meer, bleibt nichts zurück, alles wird zerteilt. Doch zugleich hat ein Wassergrab auch etwas Tröstendes.

Erklären Sie das genauer.
Wasser symbolisiert für mich Leben und hat etwas Beruhigendes. Habe ich Sorgen, spaziere ich an einem See.

Wie beurteilen Sie die Krisenarbeit Ihrer Air-France-Kollegen?
Sie machen das bisher sehr gut. Sofort traten die obersten Chefs vor die Öffentlichkeit, danach sogar Präsident Sarkozy. Es wird offen und klar kommuniziert – die Franzosen haben das Krisenmanagement im Griff.

Krisen-PR 1998 bei Halifax und jetzt bei der Air France: Was hat sich geändert?
Die Kommunikation der Swissair beim Halifax-Unglück hat weltweit Standards gesetzt. Unsere Erkenntnisse wurden ja später auch ausgewertet, erfasst und weitergegeben und werden heute an vielen Orten angewandt. So gesehen profitieren viele Firmen, nicht nur Airlines, von unseren Erfahrungen in der Krisen-Kommunikation.

Was kommt auf die Air-France-Chefs in den nächsten Tagen noch alles zu?
Ganz schwierig ist es nach der ersten, heissen Phase. Man darf nicht nachlassen, man kann sich nicht ausruhen. Es wird von einem eine monatelange, engmaschige Begleitung gefordert. Das geht an die Substanz. Zuerst kommen die emotionalen Sachen: Trauerfeiern, Opferbetreuungen. Später folgen ganz andere Sachen wie Schadenersatzforderungen oder Unfalluntersuchungen.

Was passiert, wenn die Absturzursache der AF 447 nie klar sein wird?
Das wäre ganz schlimm. Ich wünsche den Angehörigen und auch der Air France, dass die Unfallursache ermittelt wird. Denn das Nicht-Wissen lässt einen sonst nie mehr los.

Seit Halifax sind Sie als «Madame Swissair» bekannt. Werden Sie in diesen Tagen wieder vermehrt angesprochen?
Oh ja. Fremde Menschen kommen auf der Strasse auf mich zu und reden mit mir über die Air France – und über Halifax. Mich wundert, dass sich in unserer schnelllebigen Zeit so viele Leute noch immer so intensiv an Halifax erinnern. Irgendwie empfinde ich das als eine Form der Wertschätzung, und das berührt mich doch sehr.

Von SI am 6. Juni 2009 - 20:58 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 18:39 Uhr