Es wäre schade, eine Art Worst-Case-Szenario, sinniert Michael Lang, 26. Es ist Mitte April, ein Mittwoch, und am Sonntag darauf könnte der FC Basel Meister werden. Ohne selbst zu spielen, also zu Hause, vor dem Fernseher. Es klingt nach Luxusproblem, in welcher Runde und unter welchen Umständen man sich den Meistertitel bitteschön sichern solle.
Doch was sich die Fans in Basel mittlerweile gewöhnt sind – reihenweise Titel zu gewinnen –, trifft auf die Spieler meist nicht zu: Die wenigsten holen in ihrer Karriere so viele Trophäen, dass es monoton wird. So ist verständlich, dass Lang seinen zweiten Triumph nach 2016 doch auf dem Platz erleben möchte. Mit einem Schlusspfiff und einer Ehrenrunde und Spielern, die sich in die Arme fallen, und ein paar Bierchen. Und irgendwie wäre der 26-Jährige auch gern nicht vorzeitig Meister, möchte mal eine Finalissima spielen.
«Das sind jene Partien, für die man lebt und trainiert: Ein Spiel um alles oder nichts, in dem man über sich hinauswachsen kann und alles andere für den Moment bedeutungslos ist. Von denen hatten wir nicht so viele in den vergangenen zwei Jahren», sagt er, um dann doch zuzugeben: Könne man als Fussballer vor der Saison für 25 Punkte Vorsprung unterschreiben, würde man es tun.
Lang versteht, wenn es die Fans frustrierend finden, dass seit ein paar Jahren nur noch der FCB Meister wird.
Zwei Seelen in seiner Brust? Ein wenig schon, wenn auch nicht so teuflisch dramatisch wie bei Goethe. Doch das ist ein bisschen Michael Lang: Leidenschaft und Sicherheit. Langes Haar und Bart, gepflegt und gestylt.
Die Lust auf Abenteuer, Action und Reisen, aber nicht während der Fussballkarriere ausbrechen. Gute Antworten und Sprüche, aber nicht so, dass er richtig anecken würde. Verteidiger, aber fünftbester Skorer beim FCB.
Tore schiessen ohne Druck
«Ich bin jetzt der Spieler, der genau zum FCB passt», sagt der Nationalspieler nach zwei Saisons beim Ligakrösus. Er hat seinen Spielstil dem offensiveren, dominanteren Fussball am Rheinknie angepasst, traf in Liga und Cup schon acht Mal in dieser Saison (Stand 24. April). «Das ist die schönste Ausgangslage», sagt Lang, «wenn man den Druck des Toreschiessens nicht hat und dieses beste Gefühl im Fussball dennoch erleben darf.» Seine Tore helfen mit, den 20. Meistertitel nach Basel zu holen, den achten in Serie.
Die Basler Dominanz ist ein Thema, das die Fans und Klubs im ganzen Land beschäftigt, auch wenn sich die vermeintliche Langeweile nicht auf die Zuschauerzahlen niederschlägt. Doch auch die Spieler machen sich Gedanken. Lang versteht, wenn es die Fans frustrierend finden, dass seit ein paar Jahren nur noch der FCB Meister wird. Er hat selbst erlebt, was starke Resultate in einer Region auslösen können, die sonst nicht so erfolgsverwöhnt ist.
Entweder FCSG oder gar kein Verein
Er selbst ist sogar ein gutes Beispiel dafür. Lang kommt im Jahr 2000 zum FC St. Gallen, dann also, als er zum zweiten Mal nach 1904 Meister wird. Die ganze Ostschweiz ist ob des Titelerfolgs aus dem Häuschen – und der neunjährige Lang aus Egnach TG am Bodensee extrem beeindruckt. An einem Sichtungstag des Vereins versucht er, die Verantwortlichen zu überzeugen. «Ich wollte nie zu einem Dorfclub. Ich dachte: Wenn es für den grossen FCSG nicht reicht, dann spiele ich lieber mit Kollegen auf dem Pausenhof. Oder Tennis.»
Das muss er aber nicht in die Tat umsetzen. Er wird bei St. Gallen aufgenommen und verlässt den Verein erst elf Jahre später wieder. Elf Jahre und zwei Abstiege. Lang weiss, wie es sich am anderen Ende der Tabelle anfühlt: 2008 ist er als 17-jähriger Neoprofi dabei, als sein FCSG in die Challenge League muss, 2011 als Stammspieler mittendrin.
«Ich schaue mir nicht täglich die Tabelle an»
Nun spricht er davon, wie man bei zwanzig Punkten Vorsprung die Motivation nicht verliert. Es gebe Trainings, bei denen man merke, dass nicht die 100-prozentige Konzentration da sei, gibt der Thurgauer zu. Aber das würden die Trainer und älteren Spieler sehr schnell wahrnehmen und das Team zurück auf Kurs bringen. Ausserdem darf sich bei einem Kader von 25 Spielern bloss ein kleiner Teil Stammspieler nennen. Da ist jedem bewusst, dass es nicht nur um den nächsten FCB-Meistertitel geht, sondern auch um die eigene Karriere.
«Da schaut keiner auf dich, du musst deinen eigenen Weg gehen.»
Dann gibt er aber doch noch einen Tipp, um Ehrgeiz und Einsatzwillen zu erhalten: Lieber nicht zu viel über die Situation in der Tabelle nachdenken. Ja, er könnte die Ranglistenpositionen der Klubs aufzählen. Nicht aber die Punkte eines jeden. «Ich schaue mir nicht täglich die Tabelle an, klopfe mir auf die Schulter und sage läck! 20 Punkte Vorsprung. Habe ich einen guten Job gemacht. Das bringt mich nicht weiter.» Der Ehrgeiz ist trotz Riesen-Vorsprung gross genug. «Wenn es mir gut läuft, bin ich motivierter, noch mehr zu machen. Dann habe ich Energie, Kraft und Lust.»
Mit seiner seriösen und gleichzeitig lockeren Art ist der Aussenverteidiger eine wichtige Persönlichkeit beim FCB – wie er es schon jung war. Sein Profi-Start mit zarten 16 Jahren war ein Lehrstück in Sachen Selbstständigkeit. Der FCSG war damals eine sehr internationale Gruppe: vier Argentinier, zwei Brasilianer, zwei Kameruner. Lang merkt schnell: «Da schaut keiner auf dich, du musst deinen eigenen Weg gehen.»
Unterstützung statt Drill
Er selbst hilft den Jungen heute lieber bei der Integration, als dass er sie herumkommandiert, setzt sich für sie ein – wenn er denn merkt, dass einer wirklich will. Er findet es zwar nicht falsch, wenn ein Junger heute schon mit Selbstvertrauen gesegnet ist, doch für ihn ist entscheidend, dass einer bereit ist, mehr zu machen als die Erfahrenen.
Das erste Auto kommt auf der Wunschliste oft vor dem ersten Super-League-Spiel. Das tut nicht allen gut.
«Wenn ich mit Kindern oder Jugendlichen über ihren Lieblingsspieler spreche, sagen sie Ronaldo. Weil er gut aussehe, eine super Frau, ein super Auto und tolle Schuhe habe. Dass er in seiner Karriere wohl so viel trainiert hat wie kein anderer, sehen manche Jungen nicht. Das erste Auto kommt auf der Wunschliste oft vor dem ersten Super-League-Spiel. Das tut nicht allen gut.»
Laut wird Lang nicht. Er versucht eher mit gezielten Sprüchen, andere zum Nachdenken zu bringen. In seiner Rolle, die er sich beim FCB erarbeitet hat, fühlt sich der 26-Jährige wohl. So wohl, dass er die Latte für einen Ausland-Transfer sehr hoch legt. Er müsste den Namen des Klubs hören und dann ohne zu zögern zusagen können – ohne sich lange Gedanken zur Mannschaft, zur Stadt, Tradition oder den Zuschauern des Vereins zu machen. Eine gute Liga allein reiche nicht. «Dafür passt in Basel zu viel, ist hier zu viel gegeben.»
Vollstes Vertrauen in Raphael Wicky
Dass sich das unter der neuen Führung und dem neuen Trainer Raphael Wicky gross ändern könnte, glaubt er nicht. «Da habe ich vollstes Vertrauen. Ich bin sicher, dass es ähnlich, wenn nicht gar gleich erfolgreich weitergeht.» Womit wir wieder bei der Dominanz wären. Kann denn an der Seitenlinie jeder mit dem FCB Meister werden, wie im Rest der Schweiz formuliert wird? Michi Lang lacht. Ja, ja, er wisse, wie das gemeint sei, und es sei sicher nicht komplett falsch.
Aber: «Wir haben 25 Spieler, 18 im Aufgebot, 11 auf dem Platz. Es ist anspruchsvoll, da gute Trainings zu machen, alle weiterzubringen und bei Laune zu halten. Auch jene, für die es in einer Saison fast aussichtslos ist zu spielen und die entsprechend Mühe mit dem Selbstvertrauen haben.» Bei Lang ist das sicher nicht das Problem. Er ist in Basel angekommen.
Freut sich auch mit vielen Punkten Vorsprung über seinen zweiten Titel auf dem Visitenkärtchen. Und blickt auf den 25. Mai, auf den Cupfinal gegen Sion: Ein Spiel, für das man lebt und trainiert. Ein Spiel, in dem es um alles geht und alles andere für den Moment bedeutungslos ist.