Es riecht nach Pommes. Irgendwo im Nebel hängt eine Duftwolke, die eindeutig aus einer Fritteuse stammt. Nicolas Senn, 28, schnuppert. Woher die Wolke kommt, lässt sich mit den Augen nicht feststellen. Zu dicht hüllt der Nebel den Berg ein, auf dem er steht.
«Trägt der Säntis einen Hut, ist das Wetter morgen gut», reimt der Hackbrett-Virtuose und lacht trotz seinen müden Beinen. «Vielleicht noch 200 Meter bis zum Gipfel», schätzt er und geht zwei Schritte vorwärts. Da lupft eine Windbö für einen Augenblick die Nebeldecke, und Senn sieht, dass er direkt unter dem Gipfel-Restaurant steht. «Ha, deswegen hats so nach Essen geduftet! Da wäre ich jetzt glatt vorbeispaziert!»
«Mich reizt die sportliche Herausforderung»
Gestartet ist der Wahl-Appenzeller am Morgen bei wolkenfreiem Himmel unter leuchtendem Sternenzelt mit dem Ziel, den Alpstein von seinem tiefsten Punkt in Wasserauen AI (868 m ü. M.) bis zu seiner Spitze, dem Säntis-Gipfel (2502 m ü. M.), zu durchsteigen. Eine Tour, die auf gängigen Wanderseiten im Internet öfter als Zweitäger angepriesen wird.
Senn will die Route in einem halben Tag schaffen. Um vier Uhr in der Früh parkiert er sein Auto in Wasserauen («jede Minute, die man den Touristenmassen voraus ist, lohnt sich!»), setzt die Stirnlampe auf und sprintet förmlich los Richtung Seealpsee. «Mich reizt am Wandern nebst der Landschaft auch die sportliche Herausforderung», sagt er, der als einziger Musiker in einer Fussballerfamilie aufgewachsen ist. Auf dem Säntisweg (das ist die kürzere Variante von der Schwägalp auf den Ostschweizer Hausberg) hat er gar mit Freunden einen Wettbewerb am Laufen: Für die 4,2 Kilometer lange Strecke mit einem Aufstieg von 1180 Höhenmetern wird offiziell eine Wanderzeit von 3,5 Stunden berechnet. «Aktuell halte ich den Rekord mit einer Zeit unter 90 Minuten», sagt Senn.
Senn wandert lieber inkognito
Eine besondere Leistung, wenn man weiss, dass der SRF-Mann in seiner Wahlheimat, dem Appenzellerland, gefühlt alle paar hundert Meter jemandem begegnet, den er kennt. Oder der zumindest ihn kennt. «Manchmal», gibt er zu, «wenn jemand sagt, ich komme ihm bekannt vor, tue ich einfach so, als wüsste ich nicht, woher.» Nicht, weil ihn das Feedback der Fans stören würde. «Aber wenn ich mit Freunden unterwegs bin, befürchte ich immer, ihnen könnte es unangenehm sein, wenn ich überall Extra-Aufmerksamkeit kriege.»
Mindestens einmal pro Woche «rennt» Senn zu Berge, wenn es sein voller Terminkalender zulässt: Gerade hat der «Potzmusig»-Moderator seine 100. Sendung gefeiert. Ebenfalls neu in der Tasche hat er seinen HSG-Abschluss in Betriebswirtschaft. Als Hackbrettler kooperiert er mit Musikern aller Stilrichtungen, von Rap bis Klassik. Und seit diesem Frühjahr tourt er mit seinem dritten Album, «Sennemusig», durch die Schweiz.
Bergblick: Die Eindrücke seiner Touren im Alpstein hält Nicolas Senn auf einer Nikon D500 fest.
david birriWenn die Instagrammer wüssten...
Senns Musik entsteht zu grossen Teilen in den Bergen. Ein Stück beschreibt auf musikalische Art eine Töffli-Tour, die Senn mit Freunden über den Gotthard unternommen hat. Da hört man den Krimi, als die Polizei die lustige Bande in der Schöllenenschlucht anhielt. Und es rumpelt der Rhythmus, wenn Sennseine Erinnerung an die Abfahrt über die alte Pflastersteinstrasse erklingen lässt.
Nach rund einer Stunde (etwas langsamer als gewohnt aus Rücksicht auf Journalistin und Fotograf) kommt Senn am Seealpsee vorbei, wo sich ein Hüngerchen regt. «Man müsste im Alpstein eigentlich nichts zu essen dabeihaben, es gibt hier eine so hohe Dichte an guten Gasthäusern», sagt er. «Aber das hier habe ich doch immer dabei!» Er wühlt kurz in seinem Rucksack und zieht ein Joghurtbecherli hervor. Mokka, noch halb gefroren. Eis geht bei ihm immer, auch morgens um fünf, wenn die Sonne den Altmann, der schräg hinter dem See aufragt, in erdbeersirupfarbenes Licht tunkt. Die Aussicht ist eines der beliebtesten Social-Media-Motive der Schweiz. «Wenn die Instagrammer wüssten, dass es hier so früh morgens noch schöner aussieht als bei vollem Tageslicht!»
Glace-Gourmet: Gefrorenes Mokka-Joghurt gehört bei Senn zum Standard-Proviant.
david birriIm Gasthaus gibts Bschorle
Die Tour führt weiter durch den Felsenschlund Teufelskanzel, wo Senn zum ersten Mal an diesem Tag zwei Wanderer kreuzt. Sie kommen von der Meglisalp her, die hinter einer Wegbiegung auftaucht. Hier spielt Senn seit Jahren mit seinem Hackbrett am Kapellfest Maria zum Schnee. Auch heuer, am 5. August, wird er dort live zu sehen sein.
Kaum auf der Alp angekommen, rufts auch schon: «Hey, du fotografierst ja! Habe ich gerade in einem Heftli gelesen!» Es ist Johann Hautle, ein Appenzeller Original, der auf der Meglisalp sömmert – weitum bekannt für seine Bauernmalerei. Von seiner Kunst zeigen will er an diesem Tag nichts. Die Bilder hängen im Schatten seiner Hütte zum Trocknen. Manchmal ein halbes Jahr lang. «Je langsamer die Ölfarben trocknen, desto schöner leuchten sie danach», sagt Hautle.
Im Gasthaus gönnt sich Nicolas Senn eine Bschorle, ein alkoholfreies Bier, das mit Apfel und Birnensaft gemischt wird. Bschorle trinkt im Alpstein, wer im Rest der Schweiz Rivella bestellen würde.
Wo ging es lang? Senn liebt es, auf Karten alte Wanderwege zu entdecken.
david birri«Der Alpstein entspricht dem Appenzeller Charakter»
Nach der Meglisalp verändert sich die lieblich hügelige Landschaft. Da, wo in der letzten Eiszeit nicht einmal der Gletscher die Felsen abschleifen konnte, ragen schroffe Steinwände in den Himmel. «Mich dünkt, der Alpstein entspreche ein wenig dem Charakter der Appenzeller: Sie wirken kantig und manchmal engstirnig, sind aber hoch innovativ und im Herzen lieblich wie die Hügel im Tal.»
Schon begeht Senn die letzte Etappe, den Lisengrat, der hinüber auf den Säntis führt. Hier wird klar, wieso die Route rotweissrot als Bergweg markiert ist. Er ähnelt einem Klettersteig und erfordert gewisse Schwindelfreiheit. Aber der innert Minuten aufziehende Nebel raubt einem die Sicht in den Abgrund. Es ist Mittag. Und plötzlich riecht es nach Pommes. Ziel erreicht!
Morgen zeigen uns Biathletin Selina Gasparin und ihr Mann Ilya Chernousov, wo sie sich kulinarisch verwöhnen lassen.
Die weiteren Geschichten und Tipps finden Sie hier.
10 Tipps: Sommer in den Bergen
Noiraigue NE: Die Schätze des Val de Travers. Der Aufstieg ist kurz und steil. Ab dem Bahnhof Noiraigue NE führt ein rund stündiger Weg hoch zur praktisch baumfreien Ebene des Mont Soliat. Hier bricht auf einer Länge von 1200 Metern eine Felswand das Gelände. Sie ist 500 Meter tief und halbrund angelegt wie eine Arena: der Creux du Van. Der Kessel ist eine Naturschönheit. Er beheimatet Steinböcke und Gämsen. Autorin Blanche Merz beschrieb ihn in ihrem Buch «Orte der Kraft in der Schweiz». Kraft schöpfen lässt sich auch in der Alphütte Le Soliat, die rund 200 Meter von der Felskante entfernt liegt. Hier gibts das auf dem Feuer angerührte Fondue noch für 26 Stutz. Es ist neben Salaten und Plättli auch im Sommer ein Genuss! Wer im Massenlager von Le Soliat übernachtet, hat die Möglichkeit, Abendessen und Frühstück zu buchen und nach einem atemberaubenden Sonnenaufgang (das ist er am Creux du Van mit Blick bis zum glitzernden Neuenburgersee garantiert!) weitere Schätze des Val de Travers zu entdecken. Etwa die Areuseschlucht oder das Schloss von Môtiers. www.lesoliat.ch
Zermatt VS: Das Horu sehen in fünf Seen. Kurz und gut! Der Seenweg ob Zermatt führt in zweieinhalb Stunden an fünf Bergseen vorbei. In dreien spiegelt sich das Matterhorn, daneben lässt sich einiges entdecken. Am Leisee gibt es einen Spielplatz, am Grünsee wird gebadet, am Grindjisee hats eine seltene Flora … www.zermatt.ch
Trin GR: Wie auf dem Mond gelandet. Und gleich kommt ein Ausserirdischer um die Ecke! Die Gletschermühlen auf der Alp Mora ob Flims erinnern an eine Mondlandschaft. Die über Jahrhunderte ausgewaschenen Wannen laden zum Baden ein – mit Blick auf das Safiental. www.flims.com
Interlaken BE: Für Gratwanderer. Das Augstmatthorn gilt als einer der schönsten Flecken im Berner Oberland mit spektakulärer Sicht auf den Brienzersee. Das Schutzgebiet für Steinwild gehört zum 10 km langen Brienzergrat-Höhenweg zwischen Lombachalp und Standseilbahn Harder Kulm. www.interlaken.ch
Engelberg OW: Kletterpartie. Das Brunnigebiet ist ein Eldorado für Bergsteiger. Hier befinden sich vier der insgesamt sechs Klettersteige von Engelberg. Mit Schwierigkeitsgraden von K2 bis K4 sind sie auch für Einsteiger geeignet (Führer empfohlen!). Die Ausrüstung gibts bei der Kräuterhütte neben der Bergstation. www.brunni.ch
Bosco Gurin TI: Ein Unikum. Das pittoreske Dörfchen Bosco Gurin ist auf 1506 Metern über Meer die höchstgelegene Siedlung im Tessin und auch das einzige deutschsprachige Dorf des Sonnenkantons. Gesprochen wird der Walserdialekt Gurinerdeutsch – von noch 55 Einwohnern! www.bosco-gurin.ch
Fäld VS: Ein Haus aus Stein. Die Binntalhütte liegt auf 2275 Metern über Meer, nahe der italienischen Grenze. Die acht Kilometer lange Wanderung ab Fäld im Binntal (wegen des Mineralienreichtums auch «Tal der verborgenen Schätze» genannt) verläuft auf dem alten Saumweg über den Albrunpass. www.landschaftspark-binntal.ch
Immer noch ein Geheimtipp: Weniger bekannt und weniger überlaufen, aber nicht weniger schön als der Oeschinensee ist das Sunnbüel, das zweite Ausflugsziel ob Kandersteg BE. Eine Luftseilbahn führt ins Wanderparadies. www.sunnbuel.ch
Auf den Spuren der Säumer: Zu Zeiten der Römer war der Septimerpass einer der wichtigsten Alpen-Übergänge. Noch heute kann man die Route ab dem Bergdorf Bivio GR etappenweise zurücklegen. https://savognin.graubuenden.ch
Die Krokodil-Safari: Der Felsenturm über der Bergseehütte (ob Andermatt UR) sieht aus wie das Maul eines Krokodils. In der Hütte gibts Kletterausrüstung für den Bergsee-Steig, der mit spektakulärer Sicht und 18-Meter-Seilbrücke trumpft. www.andermatt.ch