Die 52 Kapitel in seinem Bestseller «Die Kunst des guten Lebens» haben so ungewöhnliche Titel wie «Die Fokussierungsillusion», «Nehmen Sie sich einen Freak zum Freund» oder «Fuck-You-Money». Und genau so originell sind auch die Ratschläge und Lebensweisheiten des Schriftstellers und Querdenkers aus Bern.
Herr Dobelli, «Die Kunst des guten Lebens» ist auf Platz 1 der Sachbücher! Warum kommen Ihre Ratgeber so gut an?
Wie soll ich leben? Ich glaube, jeder stellt sich diese entscheidende Frage. Und vielleicht verkauft sich das Buch auch gut, weil die Kapitel kurz und gäbig lesbar sind.
Der moderne Mensch ist getrieben von diesem Schneesturm von Impulsen.
Woher nehmen Sie Ihre Lebensweisheiten?
Ich lese viel, ich denke viel, und dann schreibe ich. Hierfür habe ich zwei wesentliche Quellen: Einerseits die Philosophie, wobei uns die heutigen Philosophie-Professoren nicht mehr beantworten können, wie man leben soll. Noch vor 200 Jahren war das ganz anders, damals haben sich die Philosophen hauptsächlich mit dieser Frage befasst. Für mein Buch habe ich die Antworten bei den grossen Philosophen der Antike gefunden. Vor allem die Philosophie der Stoiker passt überraschend gut zu unserer komplexen Welt des 21. Jahrhunderts.
Und Ihre andere Quelle?
Das ist die moderne Psychologie, das heisst vor allem die Erforschung der kognitiven und sozialen Psychologie sowie die Glücksforschung. In den vergangenen zwanzig Jahren gab es viele Erkenntnisse, wie wir ticken, was funktioniert und was nicht.
In Ihren Beispielen berufen Sie sich gerne auf den 87-jährigen US-Investor Warren Buffett. Warum ist der Milliardär Ihre Referenzgrösse für ein «gutes Leben»?
Noch mehr beziehe ich mich übrigens auf Charlie Munger, ebenfalls ein US-Investor, Milliardär und Mäzen. Die beiden sind moderne Stoiker. Wenn sie eine Entscheidung treffen, lassen sie sich nicht aus der Ruhe bringen von irgendwelchen Hypes. Sie investieren stoisch – und bleiben ruhig, wenn sie Geld gewinnen. Und auch wenn sie Geld verlieren. Nur so kann man gute Entscheidungen treffen, im Job und im Privatleben.
Facebook ist eine Neidmaschine. Studien zeigen, dass Leute nach einer Facebook-Session unglücklicher sind als davor.
Ganz anders also als der moderne, urbane Mensch, der jedem Hype nachrennt – in der Angst, etwas zu verpassen.
Genau! Der moderne Mensch ist getrieben von diesem Schneesturm von Impulsen. Wir sehen unseren Weg gar nicht mehr. Und mit den neuen Technologien ist es nur schlimmer geworden. Diese beanspruchen stets unsere Aufmerksamkeit.
Wie kann man sich davor schützen?
Indem man möglichst wenig Medien konsumiert – ich habe weder Fernseher noch Radio. Und indem man sich von Social Media fernhält. Die sozialen Medien sind für mich wie ein Krebsgeschwür.
Kein Facebook, kein Instagram, kein Twitter?
Ich habe alles mal gemacht. Seit fünf Jahren bin ich nirgends mehr dabei. Es macht mich nur nervös, weil ich mich verpflichtet fühle, stets etwas zu posten. Und als Konsument hat man das Gefühl, den anderen gehe es besser als einem selber: Sie haben es lustiger, sie haben schönere Ferien, sie haben die glücklichere Familie. Facebook ist eine Neidmaschine. Studien zeigen, dass Leute nach einer Facebook-Session unglücklicher sind als davor.
Entscheidend für den individuellen Erfolg ist es, in welchem Land, an welchem Ort, in welche Familie und mit welchen Genen man geboren wird.
Sie sind Gründer von World.Minds, das am 7. Dezember in Zürich stattfindet. Hinter diesem Symposium stecken auch Köpfe, welche die Welt verändern und die digitale Trans-formation vorantreiben wollen.
Ich sage nicht, dass alles schlecht ist, was aus dem Silicon Valley kommt. Doch bei uns steht die Wissenschaft im Zentrum, von der Astrophysik bis zur Medizin. World.Minds ist eine Community aus etwa 40 Prozent Forschern, 40 Prozent Wirtschaftsleuten und der Rest aus Kultur, Medien und Politik. Entstanden ist es vor zwölf Jahren, weil ich es schade fand, dass Manager kaum Ahnung hatten, was in den Naturwissenschaften läuft. Heute sind wir eine Community von 1000 Leuten, jedes Jahr nehmen etwa 500 am Symposium teil.
Was erwartet uns dieses Jahr?
Highlights sind sicher der chinesische Künstler Ai Weiwei und der Libanese Fadel Adib, der jüngste Professor am MIT, der mit Wi-Fi-Signalen durch Wände schauen kann.
Im Stiftungsrat von World.Minds sitzt auch Jean-Claude Bastos. Der Unternehmer aus Fribourg leitet den Staatsfonds von Angola und kassiert dort laut den Paradise Papers Honorare in Millionenhöhe.
Seine Geschäfte kenne ich nicht. Ich kann nur sagen, dass Jean-Claude an den Stiftungsratssitzungen stets die brillanten Fragen und die besten Ideen eingebracht hat. Er hat übrigens seine Mitgliedschaft im Stiftungsrat sistiert – aus eigener Initiative. Für mich ist World.Minds eine spannende Abwechslung. Denn Schreiben ist ein einsamer Job.
Wie schreiben Sie eigentlich? Nach fixem Arbeitsplan oder nach dem Lustprinzip, bei dem es auch mal einen Schreibstau verträgt?
Nein, ich schreibe ganz diszipliniert, das ist meine Arbeit. Mein Kollege Martin Suter hat das mal etwa so ausgedrückt: «Ein Schreiner hat auch keinen Hobelstau.» Exotisch ist bei mir lediglich, dass ich beim Schreiben liege. Ich habe in meinem Büro und daheim je eine Liege, wo ich schreibe.
Sind Sie ein politischer Mensch?
Überhaupt nicht. Doch im Buch habe ich mich sozialpolitisch links positioniert. Ich bin fest davon überzeugt: Entscheidend für den individuellen Erfolg ist es, in welchem Land, an welchem Ort, in welche Familie und mit welchen Genen man geboren wird. Jemand in Bangladesch hat ganz einfach schlechtere Chancen als jemand an der Zürcher Goldküste.
Viele erfolgreiche Menschen sagen, das habe alles mit Talent, Arbeit und Leistung zu tun.
Das ist eine grosse Illusion. Das meiste ist Zufall. Umso bescheidener sollte man sein, wenn man erfolgreich ist.
Sie sind auch erfolgreich.
Ja, aber ich bin mir bewusst, dass ich vieles dem Zufall verdanke. Ich bin in einem guten, bürgerlichen Elternhaus in Emmenbrücke aufgewachsen. Und heute bin ich sehr privilegiert. Daher ist es auch richtig, dass ich der Gesellschaft etwas zurückgebe. Ich zahle gerne Steuern.
Ich verstehe sowieso nicht, wie jemand nur der tiefen Steuern wegen an hässliche Orte wie Wollerau zieht.
Dann wohnen Sie in der Stadt Bern ja am richtigen Ort …
Schon die Idee, nicht gerne Steuern zu zahlen, ist absurd. Man muss sie sowieso zahlen. Leute, die sich jedes Jahr darüber aufregen, verpuffen nur unnötig Energie. Ich verstehe sowieso nicht, wie jemand nur der tiefen Steuern wegen an hässliche Orte wie Wollerau zieht. Da wohne ich lieber an einem schönen Ort.
Warum aber Bern? Sie sind ja Luzerner, Luzern ist auch schön.
Als wir vor vier Jahren unsere Zwillinge Numa und Avi bekommen haben, suchten wir ein Haus. Wir wohnten damals in einer Dreizimmerwohnung mitten in Luzern. Wir haben uns in vier Städten umgeschaut: in Luzern, Bern, Potsdam, Hamburg – meine Frau kommt aus Hamburg. In Luzern haben wir nichts gefunden, hier in Bern konnten wir ein altes Haus kaufen und renovieren. Jetzt sind wir total glücklich hier. Für eine Familie ist Bern die perfekte Stadt. Wäre ich jung und single, würde ich wohl in New York wohnen.
Halten Sie sich persönlich eigentlich an all Ihre Ratschläge im Buch?
Ja, an ziemlich alle. Ich beschreibe einen Idealzustand und versuche, mich daran zu orientieren. Das gelingt mir immer besser.
Zum Schluss noch eine Frage aus dem Buch: «Was wäre Ihnen lieber? Sie sind der intelligenteste Mensch, aber die Welt denkt, Sie seien der dümmste? Oder: Sie sind der dümmste Mensch, aber die Welt denkt, Sie seien der intelligenteste?»
Natürlich das Erste (lacht). Es ist mir völlig egal, was die Welt über mich denkt.