Er bringt die Geschichte seiner Familie auf die Bühne. «Knie — das Circus Musical» feiert am 12. März 2019 im Air Force Center in Dübendorf Premiere. Die Rolle des Vaters, Fredy Knie senior, †83, wird der Schweizer Musicaldarsteller Forian Schneider, 58, übernehmen.
Rolf Knie, wie sind Sie denn nur auf die Idee gekommen, ein Musical über die Familie Knie zu machen?
Marco Rima hat mir den Floh ins Ohr gesetzt. Am Anfang wollten wir es gemeinsam realisieren. Er hatte aber andere Pläne. Stattdessen hat nun Komiker Peter Pfändler mitgewirkt. Die Musik stammt von Patric Scott und Martin de Vries. Das Drehbuch ist von mir.
Es musste ja auch ein Knie sein, der das macht.
Ja, ich kenne die Geschichte, die wir auf die Bühne bringen.
Wann kamen die Knies denn in die Schweiz?
1890 waren die ersten Knies hier. Erst wollten wir uns in Solothurn niederlassen, aber dort wurden wir nicht eingebürgert.
Warum?
Fahrende! Auch Rapperswil war schwierig, die wollten uns zuerst nicht.
Warum seid ihr denn in die Schweiz gekommen?
Die Knies haben in Österreich angefangen, dann sind sie nach Deutschland gegangen. Dort war die politische Situation von 1850 bis 1900 sehr unsicher, nur Kriege. In der Schweiz wars ruhig.
Sind Sie bei den Recherchen auf etwas gestossen, was Sie überrascht hat?
Vieles kannte ich aus Erzählungen meines Vaters. Er hat mir auch seine privaten Fotoalben gegeben. Und ich habe für sehr viel Geld ein Zirkusarchiv gekauft, in dem sich Dinge finden, die der Familie nicht bekannt waren. Mit 15 000 Fotos! Die muss ich erst alle noch anschauen.
Verraten Sie uns bitte eine Geschichte, die wir nicht kennen.
1936 kam der Gesandte des Deutschen Reichs, Otto Küchler, zu uns und reklamierte, weil am Zelteingang, wo alle Fahnen hingen, die deutsche Reichsfahne fehlte. Wenn die Hitler-Fahne nicht aufgehängt werde, sorge er dafür, dass der Knie keine Artisten mehr kriege! Mein Grossvater Friedrich sagte ihm nur, er könne ihn mal. Onkel Eugen fand die Lösung: Er hisste die deutsche Kriegsmarinefahne, auf der ganz unten links das Hakenkreuz prangte. Hängte sie aber so auf, dass man es nicht sah.
Und das wurde von Hitlers Mann akzeptiert?
Küchler, ein geborener Schweizer, bekannte sich als Zirkusfan und sagte, er könne die Sache regeln, unter der Bedingung, dass Fredy Knie, mein Vater, nach Berlin komme und vor dem Führer arbeite. Vater ist dann 1943 nach Berlin gegangen und hat im Wintergarten eine Pferdenummer gemacht. Nach der Vorführung wollte die SS, dass er den Führer trifft, doch mein Vater sagte, das gehe leider nicht, ein Pferd habe sich verletzt, er müsse gleich zu ihm gehen, die Tiere kämen bei ihm zuerst. Zu seinem Bruder Rolf sagte er dann: «Komm, wir hauen ab.» Sie haben die Tiere in Eisenbahnwaggons verladen und sind weggefahren, unter dem Bombenhagel. Das war auch für mich neu.
Gibts noch weitere so verrückte Geschichten?
Die Armee von Napoleon hat den Knies sechs Pferde geklaut!
Was, Napoleon!?
Die Knies mussten für Napoleons Truppen auftreten. Am Schluss wollte Napoleon den Artisten persönlich Goldstücke überreichen, weil er so begeistert war. Friedrich Knie hat ihm gesagt: «Ich will kein Goldstück, ich will meine sechs Pferde zurück.» Darauf sagte Napoleon: «Gebt den Knies sechs Pferde.» Aber es waren Ackergäule und nicht unsere dressierten Zirkuspferde!
Zirkusleute hatten früher kein Ansehen?
Das grosse Verdienst meines Vaters war, den Namen Knie so zu etablieren, dass ihm Respekt entgegengebracht wurde. Vorher mussten die Knies stets um ihr gesellschaftliches Ansehen kämpfen. Heute ist Knie ein Markenzeichen.
Hat Ihr Vater auch dafür gesorgt, dass alle Familienmitglieder anständig auftreten?
Mein Vater hat stets gesagt: «Wenn wir mit dem Wohnwagen mitten in der Stadt sind, kann jeder bei uns reinschauen. Deshalb müssen wir noch sauberer und korrekter sein als andere.» Mein Vater hat auch immer darauf geachtet, dass es nie heissen konnte, Knie habe eine Rechnung nicht bezahlt oder so. Das zieht sich auch durchs ganze Musical.
Jeder kann in unsere Wohnwagen reinschauen. Deshalb müssen wir sauberer sein als alle anderen
Sie widmen es sogar Ihrem Vater, Fredy Knie senior …
Ja, es ist sein grosses Verdienst, dass der Schweizer National-Circus heute so gut dasteht.
Was war seine entscheidende Tat?
Das war 1933, als der Zirkus bankrott war. Karl Knie hatte damals die Idee, eine grosse Indien-Show zu machen. Dafür holte er von dort 100 Artisten, Musiker und Tänzer in die Schweiz. Es war ein Fiasko. Mein Grossvater Friedrich musste den Zirkus mit seinem Privatvermögen retten, aber die Familie war verkracht. Da hat mein Vater Fredy als knapp 16-Jähriger gesagt: «Wenn ihr nicht aufhört mit dem Streit, gehe ich weg und gründe meinen eigenen Zirkus.» Darauf haben sie sich zusammengerauft.
Und jetzt riskieren Sie mit 36 Sängern, Tänzern, Artisten, Musikern und 160 Vorstellungen Ihr Vermögen! Ist das nicht dumm?
Natürlich ist das teuer, ich trage das ganze Risiko. Wir haben ein Budget von neun Millionen. Und produzieren allein 150 Kostüme.
Warum so opulent?
Das Musical fängt 1803 an, mit dem ersten Knie, der in Österreich Zirkus gemacht hat. Und hört mit meinem Vater auf.
Er war so kreativ wie Sie.
Das stimmt. Mein Vater fing mit diesen Umzügen durch die Städte an. Er sagte zu Onkel Eugen: «Lass mal zwei Löwen durch die Stadt rennen.» Friedrich sagte: «Spinnst du?» Mein Vater: «Nein, nein, du schaust, dass die Journalisten das sehen. Dann weiss die ganze Stadt, der Knie ist da.»
Das machten die tatsächlich?
Ja! Ich weiss zwar nicht, wie es genau war und wer die Löwen wieder eingefangen hat …
Gibt es im Musical auch starke Frauen?
Ja, Judith Jundt. Als sie zum Vorsingen und Vortanzen kam, waren wir alle verblüfft. Sie ist genau die richtige Frau, um Antonia Knie, geborene Stauffer, zu spielen. Das war die erste Frau von Friedrich Knie. Sie war eine Bürgerliche! Als Friedrich Antonia nach Hause begleitete, hat deren Vater den Zirkusmann weggejagt, weil er ein Gaukler, Artist und Fahrender war.
Welches ist die dramatischste Szene des Musicals?
Sicher die, wo der Sohn vor dem Vater stirbt. Der erste Knie, Friedrich, hatte mit seinem Vater, dem Leibarzt der Kaiserin Maria Theresia, Krach, weil er Artist werden wollte. Er hat seinen Sohn verstossen. Und wie es der Zufall will, hat der Sohn später eine Einladung vom Kaiser gekriegt für eine Vorstellung am Hof. Friedrich war sehr nervös und fragte sich, ob sein Vater auch im Publikum sein würde. Während der Vorstellung kommt der Vater herein und setzt sich zu den Zuschauern. Am Schluss wird Friedrich vom Kaiser ausgezeichnet, alle gehen raus, nur der Vater bleibt sitzen. Vater und Sohn schauen sich an, der Sohn fragt: «Hast du mir verziehen?» – «Ja», sagt der Vater, «ich konnte dich früher nicht verstehen. Ich bin stolz auf dich, ich selbst wurde nie vom Kaiser ausgezeichnet.» Sie umarmen sich innig.
Ende gut, alles gut!
Überhaupt nicht. Beim Rausgehen bricht Friedrich zusammen und stirbt. Antonia, seine Frau, ruft Friedrichs Vater, den Leibarzt, zurück. Er kann nur noch den Tod seines Sohnes feststellen. Hier singt dann Florian Schneider das Abschiedslied. Und am Ende des Liedes wird das Tuch weggezogen – und es ist niemand mehr drunter. Ein Zaubertrick.
Wer führte dann die Truppe weiter?
Antonia. Sie steht auf und sagt: «So kann man nicht aufhören. Der Name Knie muss weiterleben!»
Hiessen eigentlich alle Knies immer Fredy oder Rolf, respektive Friedrich und Rudolf?
Ja, die Schwierigkeit fürs Publikum wird sein zu erfahren, wer wann gelebt hat. Wir sind ja sechs Generationen. Der erste Knie hiess Friedrich, mein Grossvater hiess Friedrich, mein Vater und mein Bruder auch. Fredy ist eine Abkürzung. Rudolf gabs auch viele. Ich bin ja auch ein Rudolf, aber meine Mutter hat eine Spezialbewilligung eingeholt, um mich als Rolf einzutragen. Früher durfte man diese Abkürzungen nicht offiziell verwenden.
Und bei den Frauen?
Géraldine war die Erste, die keinen alten Knie-Vornamen bekam. Sie war auch überhaupt die erste geborene Knie. Sonst hatte ein Knie immer zwei Söhne. Die zwei Söhne hatten dann zusammen vier Söhne, dann gabs wieder je einen Sohn, immer vier, zwei, vier, zwei.
Werden Sie auch auf der Bühne stehen?
Nein. Ich habe ein anderes Leben heute, und wer so erfolgreich war wie Gaston und ich, hat fast ein bisschen Angst, dies nie mehr zu erreichen. Je länger du nicht mehr auf der Bühne bist, desto besser wirst du in der Erinnerung.
Früher gabs ja Nummern, die heute sehr umstritten sind, man hat etwa Affen in Kostüme gesteckt. Oder Freakshows mit siamesischen Zwillingen, bärtigen Frauen, verunstalteten Menschen? Kommt das auch vor?
Knie hatte mal eine Liliputaner-Companie. Da sieht man auf einem Prospekt: «Neue Tiergruppe, Liliputaner-Companie». Da waren zwanzig Liliputaner, die im Zirkus-Zoo gewohnt haben, also in der sogenannten Menagerie, ausgestellt wie Tiere. Das Publikum konnte zuschauen, wie sie leben. Dort hatten wir auch Indianer, Inder, Marokkaner, das waren sogenannte Völkerschauen. Das war bei den grossen Zirkusunternehmen normal.
Das kann man sich heute fast nicht mehr vorstellen …
Heute kommen die politisch korrekt denkenden Menschen, die das als ausserirdisch beurteilen. Wir haben das völlig normal gefunden. Diese Leute waren glücklich bei uns.
Was für ein Ziel verfolgen Sie mit diesem Musical?
Ich wünsche mir, dass mit dem Musical die Familie Knie einen neuen Glanz bekommt. Welche Schweizer Familie ist so populär, hat eine derart interessante Geschichte über sechs Generationen hinweg?
Je länger du auf der Bühne warst, desto besser wirst du in der Erinnerung
Aber hat der Wanderzirkus, der an 38 Orten auftritt, noch Zukunft?
Ich denke, man wird sich beschränken müssen, zum Beispiel auf zehn Städte in der Schweiz.
Gibts den Circus Knie noch in der nächsten, der siebten Generation?
Ja, bestimmt, wenn er sich der Zeit anpasst.