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Thabo Sefolosha

«Ich bin Basketballprofi, Vater, Ehemann»

Von Vevey über Chicago nach Oklahoma City. Thabo Sefolosha hat es als einziger Schweizer in die NBA geschafft. Ein Besuch im trägen Süden der USA, wo die Thunder eine ganze Stadt aus der Lethargie reissen.

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Schweizer Illustrierte Sport: Thabo Sefolosha, Sie wohnen idyllisch. Gleichzeitig gilt Oklahoma als konservativ bis rassistisch, Ort der Waffennarren. Warum ist es trotzdem ein guter Ort für Sie und Ihre Familie?
Thabo Sefolosha: Ich empfinde vieles nicht so, wie man das erwartet. Vorher spielte ich in Chicago. Dort gibt es ein Zentrum, das von einer weissen Oberschicht dominiert ist. Dann ein Latino-Viertel, ein schwarzes Viertel und so weiter. In Oklahoma City vermischt sich alles. Auf der Strasse gibt es viele gemischte Paare. Weisse mit Schwarzen, Latinos. Das sieht man in Chicago praktisch nie. Und das ist ja stark demokratisch, nicht republikanisch.

Spüren Sie keinen Rassismus?
Nein. Aber unser Status als Basketballer hilft, da mache ich mir nichts vor. Du bist nicht ein schwarzer Mann aus der Schweiz, sondern Thabo, der Oklahoma-Spieler. Da gehts nicht um Hautfarbe, nur um Leibchenfarbe. In Europa weniger. Schauen Sie sich nur den Fussball in Italien an. Sogar ein Schwarzer wie Balotelli wird dort immer angemacht.

Das Bild der fremdenfeindlichen Südstaatler ist hier also ein Klischee?
Vielleicht nicht auf der politischen Seite. Aber im Alltag, ja. Wir haben noch nichts Negatives erlebt.
Bertille Sefolosha: Ich machte mir schon Gedanken, bevor wir hierherkamen. In Chicago ist aber die Gewalt viel präsenter.

Die Stadt definiert sich stark über den Basketball. Welchen Einfluss hat das auf Sie?
Bertille: Viele sind total verrückt hier, was Basketball betrifft. Ich überlege mir deshalb zweimal, mich auf Fremde einzulassen, so seltsam das klingt. Denn sie sehen Thabo immer nur als Spieler und nicht als Nachbarn, als Menschen.

Sie sagten vor einem Jahr: Ich bin immer noch weit entfernt von dem Spieler, der ich sein könnte. Wie weit sind Sie jetzt?
Thabo: Ich bin mein grösster Kritiker. Und habe eine völlige Hingabe, wenn ich nachts alte Videos von Spielen anschaue und überlege, was ich hätte besser machen können. Wenn ich danach ins Training oder in den Kraftraum gehe und daran arbeite. Es ist ein langer Prozess. Ich glaube, ich habe das beste Jahr meiner Karriere noch vor mir.

Wohin könnte die Reise gehen?
Es ist ein Teamsport, darum kann man das gar nicht so einfach definieren. Ich kann nicht rausgehen und sagen, ich nehme mehr Risiko. Ich kann nicht 25 Würfe wagen. Ich habe einen Coach, der meine Rolle definiert, Mitspieler, die ihre Rolle haben. Es geht nicht nur darum, was ich gern tun will. Aber ja, ich will auf den Punkt fokussieren können mit meinen Würfen und Dribblings. Da kann ich mich am meisten verbessern. Bei den Würfen, bei der Konstanz. Und ich kann mit dem Ball in der Hand über den Platz laufen und etwas bewirken.

Sie spielen mit Superstar Kevin Durant zusammen, der im Jahr 25 Millionen verdient und fast alles darf. Wie viel Risiko dürfen Sie als Shooting Guard eingehen?
Du musst Risiken eingehen, ohne viel über die Folgen nachzudenken. Du musst spielen und das Selbstvertrauen besitzen, jeder Wurf gehe rein. Wenn du Zweifel im Hinterkopf hast, wenn du denkst, was passiert, wenn du danebenwirfst, wirfst du daneben. Aber es ist die NBA. Die Liga mit 400 sehr guten Spielern. Und ein paar davon haben Superstar-Status. Jeder begreift seine Rolle und versucht, das Beste daraus zu machen.

Was trennt Spieler wie Kevin Durant oder Lebron James von den Sterblichen?
Vieles. Ein gewisses Bewegungstalent, Grösse macht etwas aus, die körperlichen Voraussetzungen. Aber auch sehr viel Arbeit. Mit 12, 13 Jahren haben sie hier Privatcoaches. Sie arbeiten stundenlang an spezifischen Dingen. Das hatte ich nie. Als ich in die USA kam, hatte ich den Arbeitsethos, die Liebe zum Basketball. Aber ich hatte keinen Plan. Ich wusste nicht, woran ich arbeiten sollte. Jetzt sagt der Coach: Du machst exakt das.

Wurden Sie von den Eltern gebremst?
Nein. Obwohl mich meine Mutter sogar aus dem Basketballklub nehmen wollte, weil ich zu wenig Zeit in meine Hausaufgaben investierte. Hier bekommen die Teenager schon in der Highschool viele Freiheiten, um Basketball über den Schulstoff zu stellen.

Welche Rolle spielten Ihre Eltern?
Sie inspirieren mich. Ich habe eine sehr gute und enge Beziehung zu meiner Mutter. Sie ist kommunikativ. Sie will alles ausdrücken, was sie denkt und fühlt. Sie ist Malerin. Und auch die Beziehung zu meinem Vater, der von meiner Mutter getrennt lebt, ist wieder enger geworden, nach vielen Besuchen in Südafrika. Ich verstehe sein Land und dadurch seine Persönlichkeit immer besser. Er ist Musiker, Schlagzeuger. Wir sind eine künstlerische Familie. Und dann bin ich noch da, der Basketballer.

Hat sich Thabo über die Jahre verändert?
Bertille: Wie jeder. Er musste plötzlich Verantwortung tragen. Auch finanziell. Und in diesem Universum von Stars, wo jeder dich kennt, kannst du dir nichts erlauben. Du musst schnell erwachsen werden. Er ist im Kopf ein viel älterer Mann als auf dem Papier (lacht laut). Wir waren so jung, als Chicago ihn rief. Ich 18, er 19. Wir mussten schnell alles im Griff haben. Die NBA hat ihn zu dem gemacht, was er ist.

Wie konnten Sie sich mit zwei kleinen Kindern auf die NBA konzentrieren?
Thabo: Ich kann mich bei Bertille bedanken, weil sie eine tolle Mutter ist und mir das sehr viel Druck nimmt. Aber in der Nacht braucht sie zehn Stunden Schlaf …
Bertille: Ja, das stimmt. Thabo geht immer sehr spät zu Bett. Dann schaut er auch zu den Kindern. Als sie klein waren, wollte er bei jedem Geräusch nachschauen, obs ihnen gut geht, fast paranoid. Seine Schlafgewohnheiten sind furchtbar. Er schläft nicht. Ist bis vier Uhr morgens wach und sitzt vor dem Computer.
Thabo: Ich bin Basketballprofi, Vater, Ehemann und mache es so gut, wie es nur geht. Trotz meiner komischen Schlafzeiten.

Sie haben auf Schulter und Unterarm zwei Tattoos. «God guides my steps» und «The Game Chose Me». Was sind die Geschichten dahinter?
Thabo: Das eine erklärt sich von selbst. Ich bin kein Kirchgänger, aber ich glaube an Gott. Das andere hat damit zu tun, das mir in der Jugend viele vom Basketball abgeraten hatten. Aber es liess mich nicht los. Darum: Das Spiel hat mich gewählt.

Warum ist Ihnen Glaube wichtig?
Ich bin ein spiritueller Mensch. Ich bete auch mit verschiedenen Teammitgliedern in einem Raum im Stadion, den wir Kapelle nennen. Ein Priester ist da und betet eine Viertelstunde mit uns.

Ein amerikanischer Ansatz. Für Sie etwas fremd?
Das Beten nicht. Die Nationalhymne zu Beginn schon. Hier in Amerika ist es eigentlich egal, wo du bist. In der Highschool, im College, beim Football, Eishockey, Basketball – sobald mehr als 50 Leute in einer Turnhalle sind, wird die Nationalhymne gesungen. Und meine Tochter musste mit drei Jahren in einer Schule ein Gehorsamsgelöbnis ablegen. Mit drei! Das war seltsam. Das Beten mag ich hingegen sehr. Auch wenn ich mir da schon Fragen stelle. Wie tolerant wären sie, wenn ein Muslim einen Gebetsteppich ausrollen würde? Oder wenn ein Jude in einer Ecke beten würde? Ich bin sicher, sie fänden das komisch.

Hilft spirituelle Energie für 82 Spiele?
Muss es. Wir spielen oft, reisen die ganze Zeit. Es sind 82 Spiele in sechs Monaten. Das macht etwa dreieinhalb pro Woche. Und wir reisen quer durch die USA.
Bertille: Ich bin einmal mitgereist und habe ihren Ablauf gesehen. Das ist unvorstellbar. Ich war erschöpft, ohne zu spielen.
Thabo: Sie und mein Bruder kamen mit. Zuerst nach Los Angeles. Gleich nach dem Spiel reisten wir um Mitternacht nach Denver, waren um 2 Uhr morgens da, einchecken im Hotel, bis du einschläfst, ist es vier. Am folgenden Morgen hatten wir Training. Als ich nachmittags nach Hause kam, schliefen sie immer noch. Und behaupteten dann, sie seien erschöpft (lacht). Ich reiste, spielte ein Spiel, reiste wieder und trainierte. Sie weiss gar nicht, wie sich das anfühlt.

Kommen die Töchter zu den Spielen?
Thabo: An den Wochenenden, ja. Sie sitzen dann ein paar Reihen hinter der Spielerbank. Theoretisch. Aber meist gehen sie nach sechs, sieben Minuten in den Family-Room, um mit den anderen Kindern zu spielen. Wenn ich geduscht habe, fragen sie: ‹Hast du gewonnen? Okay, dann gehen wir jetzt heim.› Das ist gut so, das relativiert einiges, was wir so furchtbar ernst nehmen.

Träumen Sie manchmal davon, Oklahoma für eine spannendere Stadt zu verlassen?
Thabo: Es gibt hier nicht allzu viel zu tun, definitiv. Aber es ist ein guter Platz, um Kinder aufzuziehen. Die Leute sind sehr nett. Träume ich von anderen Städten? Klar. New York. Ich liebe es. Oder San Francisco. Aber hey, ich bin hier in einem Topteam. Ich bin hier jemand. Das ist viel wert.
 

Von Christian Bürge am 19. April 2014 - 10:33 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 17:30 Uhr