Wie wärs mit einem Bild mit offenen Haaren? «Niemals», sagt er und lacht, als die «Schweizer Illustrierte» den Fussball-Profi in Brasilien besucht. Ricardo Rodriguez, 21, streicht eine kleine Strähne zurück, die der Wind am Strand aus seinem Pferdeschwanz gezupft hat. Nur eine Strasse trennt das La Torre Resort der Schweizer Nationalmannschaft in Porto Seguro vom Sandstrand, doch Rodriguez war in den elf Tagen seit seiner Ankunft noch nie hier am Meer. Er will sich aufs Wesentliche konzentrieren. «Ich öffne meine Haare schon ab und zu, zum Beispiel am Hotelpool.» In der Öffentlichkeit sieht man ihn aber ausschliesslich mit Pferdeschwanz.
Das passt. Rodriguez achtet darauf, welches Bild er gegen aussen abgibt. Und das ist: ruhig, unauffällig, auf dem Platz cool und unaufgeregt. Hat der Zürcher einen Ball am Fuss, gründet die Ruhe, die er ausstrahlt, in seinem Selbstvertrauen. Mit erst 21 Jahren ist er in der deutschen Bundesliga beim VfL Wolfsburg ein Leistungsträger. Kein Spieler der ganzen Liga hat mehr gespielt als er. Im Verlauf der Saison wurde Rodriguez wie selbstverständlich zu dem, der Freistösse, Eckbälle und Penaltys ausführt. «Für mich hat Verantwortung übernehmen nichts mit dem Alter zu tun», hält er fest. «Ich wusste immer, was ich kann.»
Mittlerweile spielt er auch in der Nati konstant einen verlässlichen Part. Im Startspiel gegen Ecuador war er überragend und bereitete beide Tore vor. Gegen Frankreich ging aber auch er im Kollektiv unter. Bei der Selbstanalyse hinterher war Rodriguez gefasst: «Ich habe mich eigentlich gut gefühlt. Aber es ist einfach so: Wir waren nicht gut, und Frankreich war gut, das muss man akzeptieren.»
Auch neben dem Platz wirkt «Rici» wie ein Ruhepol. Wobei er dies am liebsten wörtlich nehmen würde - Gespräche mit den Medien mag er gar nicht. Obwohl: «Ich bin schon derjenige, der auch mal einen Spruch macht. Ich bin ein fröhlicher, lustiger Typ.» Nur behält er das gerne und ganz bewusst für sich, wenn ein Mikrofon in der Nähe ist. Und sein Privatleben sowieso. Er hat eine Freundin aus Zürich, «und wir sind glücklich. Das muss reichen», sagt er mit einem Lächeln.
Auch eine bestimmte Zeit in seinem Leben würde er gerne in der Vergangenheit ruhen lassen. Seine ersten Lebensjahre, in denen er wegen einer Zwerchfellhernie viel Zeit im Spital verbrachte. Damals hätte keiner geglaubt, dass Rici ausgerechnet Profisportler werden würde. Ein Beruf, in dem der Körper das Kapital ist wie in kaum einem anderen.
Doch der Fussball war zu wichtig bei der Familie Rodriguez. Vater José spielte dauernd mit den drei Söhnen, und der Wille und Kampfgeist, den Ricardo schon als kleiner Junge gegen seine Krankheit einsetzte, war auf dem Fussballplatz ebenfalls spürbar. Auch bei Roberto, 23, und Francisco, 19. Der eine ist Profi beim FC St. Gallen, der andere Neoprofi beim FCZ. Bei dessen Vertragsunterschrift war der erfahrenere Bruder dabei. «Die Familie ist das Wichtigste überhaupt», betont Rici.
Schweizerisch an mir ist meine Pünktlichkeit. Ich bin immer viel zu früh da
Rodriguez besitzt neben dem Schweizer auch den spanischen und den chilenischen Pass (Mutter Marcela kam mit elf Jahren in die Schweiz), und für ihn bedeutet das nicht nur Worte in einem offiziellen Dokument - sondern auch einen Mix der Mentalitäten. «Schweizerisch an mir ist meine Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit», sagt er. «Wenn wir eine Stunde vor einem Training da sein müssen, bin ich eineinhalb Stunden vorher da.» Dafür hat er das südländische Temperament in sich. Vielleicht nicht im Sinne von überschäumender Energie. «Aber wenn mich was stört, spreche ich es gleich klar an.»
Er findet deutliche Worte, wenn er sie denn loswerden will. Auf die Frage, wer die besten Aussenverteidiger der Welt habe, antwortet er in Porto Seguro: «Die Schweiz.» Wen solche Direktheit überrascht, der unterschätzt Rodriguez' Selbstvertrauen. Oder hat ihn noch nie spielen gesehen.
Die Schweizer Nationalmannschaft spielt am Mittwochabend, 25. Juni, 22 Uhr, um den Einzug ins Achtelfinale.