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Interview mit Alt-J

«Ich mag Strukturen und Regelmässigkeiten»

Zwischen Rock’n’Roll und Mathematik: Die englische Band Alt-J veröffentlicht dieser Tage ihren dynamischen, naturverbundenen Zweitling «This Is All Yours». Ein Interview mit dem introvertierten Thom Green – zuständig für Schlagzeug, Koproduktion und Artwork.

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Alt-J

Die englische Band Alt-J mit Thom Green (l.).

SI Style: Hallo Thom, wie geht es Ihnen?
Thom Green: Danke, überraschend gut. Wir sind gestern in New York gelandet. Anfänglich war ich wegen dem Jetlag besorgt, aber ich bin eigentlich recht munter. Ich freue mich auf das Konzert heute Abend. 

Wo spielen Sie?
In einer Halle für etwa 500 Leute. Es ist eine Art Showcase, die live im Radio übertragen und gefilmt wird.

Präsentieren Sie die Songs Ihres neuen Albums «This Is All Yours»? 
Ja, zum ersten Mal. Ein komisches Gefühl.

Können Sie es näher beschreiben?
Ich bin gleichzeitig nervös und ungeduldig. Ich liebe unsere neuen Songs. Mittlerweile haben sie sich auch schon ein bisschen gesetzt in mir. Sie sind ja bereits vor einer Weile fertiggestellt worden. Mir gefällt die Abwechslung, die darin steckt: Ein Stück wie «Left Hand Free» ist purer Rock'n'Roll, voll geradeaus. «Hunger Of The Pine» ist dann schon viel schwieriger zu spielen. Das ist dann schon fast Mathematik. 

Im Januar kündigte Gitarrist Gwil Sainsbury an, er wolle die Band verlassen. Jetzt präsentieren Sie bereits ein neues Album. Das ging dann doch relativ fix, oder?
Stimmt, schlussendlich ging das alles relativ schnell. Ich kann mich noch daran erinnern wie ich nicht sicher war, ob alles gut kommt. Es hat schon Zeit gebraucht, um ein Album zu schreiben. Aber ich dachte auch, dass es wohl eher erst 2015 erscheint. Zum guten Glück hatten wir schon ein paar Songs bevor wir im Januar ins Studio gegangen sind. Das hat uns sehr geholfen. 

Ist Sainsbury noch Teil des Albums?
Seine Gitarre ist noch auf ein paar Stücken zu hören. Aber hauptsächlich stammt alles von uns dreien. Das Timing seines Abgangs war eigentlich nicht so schlecht. Wir hatten die Arbeiten am zweiten Album noch nicht richtig begonnen. Und eben: Dann ging es recht schnell. Wir wussten, dass wir eine Aufgabe zu erledigen hatten und wollten diese bestmöglichst bewältigen.

Was ist in Japan passiert?
Wir sind bis jetzt immer nur recht kurz in Japan gewesen. Wieso meinen Sie?

Die japanische Stadt Nara taucht gleich mehrfach auf: In einem Song-Triptychon, dass das Album umspannt.
Wir waren noch nie in Nara. Joe hat irgendwo gelesen, dass die Hirsche in Nara heilig sind. Sie wandern dort einfach frei herum und begegnen einem auf der Strasse. 

Wie die Kühe in Indien?
Ja genau. Da steckt der Gedanke dahinter, dass man sein Leben in der Form leben kann, in der man will. Dass man in Ruhe sich selbst verwirklichen kann. Darum geht es in dem Song. Aber obwohl sich drei Songs auf Nara beziehen, ist das kein Konzeptalbum.

Und wenn ich jetzt nach einem Konzept suchen und noch den Titel ins Spiel bringen würde, dann geht es wohl genau um das: Um Freiheit und Selbstbestimmung, richtig? 
Wahrscheinlich, ja. Der Titel des Albums stammt von einem Bild, das ich gemalt habe. «This Is All Yours» soll bedeuten:  Im Leben wird dir viel gegeben. Nur schon das Leben an sich ist ein Geschenk. Deshalb sollte man sich auf Dinge konzentrieren, die man besitzt, statt auf Dinge, die man nicht besitzt. Und das wiederum bezieht sich auch auf uns und unsere Musik. Wir können uns glücklich schätzen, dass wir uns getroffen haben, gut harmonieren und Musik zusammen machen können, die Leute bewegt. Das Album kann auch als Geschenk von uns an die Leute betrachtet werden. Sobald es fertig ist und draussen, dann gehört es den Leuten. Es ist dann ihr Besitz und sie können es so interpretieren wie sie möchten. 

Wann ist das Bild entstanden?
Das war noch an der Uni. Wahrscheinlich ungefähr 2008. Ich, Joe und Gwil haben in Leeds Bildende Kunst studiert. Es ist ein Ausschnitt eines grösseren Gemäldes. Als wir uns an die Gestaltung des Covers gemacht haben, ist uns dieses ins Auge gestochen. Wir haben dann einen Ausschnitt ausgewählt. Es ist sehr dynamisch, lebhaft, ausdrucksvoll. Ich glaube, es passt gut zu der Musik. 

Sind Sie der beste Maler in der Band?
Keine Ahnung, aber ich bin der Einzige, der sich in der Malerei versucht hat, von daher wahrscheinlich schon (lacht).

Was denken Sie, wenn Sie Joe singen hören?
Schwer zu sagen, da ich mit seiner Stimme mittlerweile so vertraut bin. Wenn ich irgendwo aus der Ferne – in einem Laden oder einer Bar – unsere Musik höre, dann sticht mir immer erst seine Stimme ins Ohr. Sie ist mir so nah. Im Moment arbeitet er auch mit einer anderen Band zusammen. Kürzlich spielte er mir eine Demoversion von einem der Songs vor.

Das muss interessant sein, seine Stimme in einem anderen Kontext zu hören.
Ja, es war wirklich eigenartig. Es war genauso, wie wenn ich ein neues Stück von uns hören würde. Wenn es etwas gibt das Alt-J ausmacht, dann ist es Joes Stimme. Wenn wir ein Stück mit einem anderen Sänger machen würden, wäre es ein anderer Sound. 

Erinnern Sie sich noch daran, als Sie seine Stimme zum ersten Mal gehört haben?
Ja, sehr gut sogar! Sein Gesangsstil war damals noch nicht so ausgefeilt wie heute. Man hörte, dass er noch am Lernen war damit richtig umzugehen. Ich weiss noch, dass ich mich gefragt habe, ob die Stimme echt war. Solchen Gesang hatte ich bis dahin noch nie gehört. Das gleiche galt auch für die Musik. Er hatte mir damals ein paar Songs vorgespielt und es hörte sich an wie Musik, die ich hören wollte. Ohne zu wissen, dass ich sie hören wollte. 

Also hatte er damals schon eine Vision?
Ich glaube, viele Musiker schreiben einfach für sich. Und ich glaube, das hatte er auch gemacht. Er wusste nicht, ob das jemand gut finden würde. Keiner von uns wusste das. Joe ist definitiv sehr willensstark. Wenn unser Label möchte, dass wir irgendetwas ändern und er dagegen ist, dann wird auch nichts geändert. Dieses Selbstbewusstsein hat er schon von Anfang an gehabt.

Darf das Label sonst mitreden was die Musik anbelangt?
Wir haben nichts gegen Vorschläge. Bei unserem Label arbeiten sehr kompetente Leute. Ursprünglich wollten wir an dieses Album noch einen versteckten Song anhängen mitsamt dem es über eine Stunde lang geworden wäre. Das Label hat das kritisiert und wir haben schliesslich eingelenkt. Wenn es ums Komponieren geht, dann mischt sich niemand ein. Da sind wir ganz frei.

Sie sind jetzt nur noch zu dritt. Auch auf der Bühne?
Nein, live haben wir einen Gitarristen namens Cameron dabei. Wir haben ihn über ein Vorspielen rekrutiert. Er hat dieses Jahr die Uni abgeschlossen, ist sehr offen und ein verdammt netter Typ. Wir brauchen ihn wirklich. Wir möchten das Album genau so spielen wie wir’s aufgenommen haben.

Manchmal kommt es einem vor, als hätte Ihr Sänger eine Konversation mit sich selber. Er murmelt melodiös in sich hinein. Nehmen Sie das selber auch so wahr? Können Sie sich selber gut in die Musik vertiefen?
Ja, ich versinke völlig darin. Live zu spielen ist eine total andere Erfahrung. Ich spiele schon seit ich ein Kind bin. Es ist das, was ich am besten und am liebsten mache. Mittlerweile spielen wir in grösseren Hallen mit meist exzellentem Sound. Ein Konzert ist dann fast wie Meditation. Vor allem am Schlagzeug, wo alles so methodisch und strukturiert ist. So bin ich im Alltag auch. 

Wie funktioniert das überhaupt als Mitglied einer Band?
Gute Frage! Auf Tour ist es manchmal ein Albtraum. Ich mag Strukturen und Regelmässigkeiten. Aber das Konzerterlebnis macht das chaotische Leben wieder wett. 

Der  Song «Every Other Freckle» ist wahrscheinlich der abenteuerlichste auf dem neuen Album. Sanfte Chorstimmen im Hintergrund, dazu Flöten und Arrangement-Wechsel. Was war die Inspiration?
Diesen Track hatten wir schon sehr lange in der Hinterhand. Schon vor dem ersten Album. Aber er wollte lange einfach nicht fertig werden. Dieses Jahr haben wir uns dann gesagt: Das muss jetzt. Die Entstehung war harzig, aber irgendwann ging’s dann. Dieser Zwischenteil mit den Flöten ist ein gutes Beispiel dafür, wie wir arbeiten. Wir probieren alles Mögliche aus, lassen alle verrückten Ideen zu. Subtrahieren und neu zusammensetzen kann man nachher immer noch. Und bei diesem Track hat es einfach irgendwie Sinn gemacht.

Hört man auch Ihre Stimme auf dem Stück?
Nein. 

Weshalb nicht?
Nein, das geht nicht. 

Wieso? Die anderen beiden singen ja auch...
Nun, ich glaube, ich könnte das auch, aber ich mache das einfach nicht gerne. Ich bin nicht extrovertiert genug. Das packe ich nicht.

Welches ist Ihre letzte Neuentdeckung in Sachen Musik?
Der Produzent The Bug. Er fabriziert eine düstere Mischung aus Dubstep, Hip-Hop und Grime. Seine Musik ist sehr roh und direkt, gespickt mit grobkörnigen Sounds.

Sie mögen instrumentale Musik?
Ja, ich mag düsteren HipHop. Clams Casino gefällt mir auch sehr. Er mischt hell und dunkel. Aber ich höre auch ganz andere Sachen. Zum Beispiel die Metalcore Band Blind Heart. Früher habe ich ausschliesslich Heavy Metal gehört. Irgendwie bin ich dann immer mehr in die Elektronik-Ecke abgedriftet. 

Und jetzt finden Sie gerade zurück?
Ja, ich lag gerade im Tätowierstudio und liess mir den Körper verschönern. Im Hintergrund lief Blind Heart. Das hat mich gleich völlig eingenommen. Ich hatte ganz vergessen, wie sehr ich diese Art von Musik liebe.

Wie wichtig ist der Computer für Sie?
Er ist ein sehr wichtiges Werkzeug. Einen grossen Teil dieses Albums habe ich mit der Software Ableton programmiert. Damit mache ich auch meine Remixe.

Was remixen Sie derzeit?
Zwei unserer neuen Stücke. Sie werden in Japan mit dem Album veröffentlicht – und sicher auch online zu hören sein.

Ich bin gespannt! Herzlichen Dank für das Gespräch. In die Schweiz führt Sie Ihr Weg leider erst im Februar, wie ich gesehen habe.
Ja, leider. Bis dann umrunden wir noch ein paarmal die Welt. Manchmal schwer zu glauben, was hier passiert.

 
Von Adrian Schräder am 22. September 2014 - 17:57 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 16:57 Uhr