1. Home
  2. Content
  3. In Visp VS wird der Impfstoff gegen Covid-19 produziert: Besuch in den Hightech-Hallen von Lonza

Hier wird der Impfstoff gegen Covid-19 produziert

Besuch in den Hightech-Hallen von Lonza

Lichtblick im Lockdown. Die ganze Schweiz schaut nach Visp. Dort, im Oberwallis, beginnt vor Weihnachten die Produktion des Impfstoffs, auf den die ganze Welt gewartet hat.

Artikel teilen

Manufacturing Complex 1 im Ibex-Biopark, Lonza

Der Bio-Science-Park der Lonza in Visp VS.

Kurt Reichenbach

Der Empfang am Bahnhof Visp ist magistral. Gemeindepräsident Niklaus Furger begrüsst die Reporter aus Zürich: «Als Politiker muss man den Kontakt zu den Menschen suchen und für die Bevölkerung sichtbar sein.» Der 67-jährige CVP-Mann ist bestens gelaunt. Vor Monatsfrist ist er mit einem Glanzresultat im Amt bestätigt worden. Und jetzt sorgt er mit seiner 8000-Seelen-Gemeinde international für Furore. Der Chemie- und Pharmakonzern Lonza, der seit 1909 in Visp sein grösstes Produktionswerk unterhält, steht als Auftragnehmer des US-Biotech-Unternehmens Moderna im Rennen um die Herstellung des Impfstoffs gegen Covid-19 in der ersten Reihe. Am Montag kam aus den USA die bisher wichtigste Meldung: «Der Impfstoff erreichte bei den Probanden eine Wirksamkeit von 94,5 Prozent.»

Wegen der Pandemie geschlossen

Gemeindepräsident Furger drückt den Gästen aus der Ausserschweiz als Willkommensgeschenk ein Sackmesser und ein Fläschchen mit Desinfektionsmittel mit der Aufschrift «Visp schützt» in die Hand. Dann steuert er sein Auto Richtung Lonza. Die Restaurants und Bars in Visp sind wegen der Pandemie geschlossen. Abseits des Zentrums sieht man nur wenige Menschen auf der Strasse.

Niklaus Furger, Gemeindepräsident Visp 2020

Gemeindepräsident Furger: «Wir wollen den ausländischen Mitarbeitern eine Willkommenskultur bieten.»

Kurt Reichenbach

Auf dem Lonza-Areal herrscht Aufbruchsstimmung. Es wird unter Hochdruck geschraubt, gehämmert, gebohrt und gefräst. Standortleiter Renzo Cicillini, 47, steht vor dem Verwaltungsgebäude und erklärt die Rolle seines Arbeitgebers: «Wir bauen derzeit Produktionsanlagen für den Impfstoff auf. Wenn wir den Fahrplan einhalten, können wir noch in diesem Jahr mit der Herstellung beginnen.»

Produktion und Lagermöglichkeiten für Moderna

Mit anderen Worten: Die Lonza bietet Moderna Infrastruktur, Know-how und Manpower für die Produktion und – als weiteren Schlüsselfaktor – die Lagerungsmöglichkeiten. In den grossen Hallen wird wohl schon bald die Grundsubstanz für den Impfstoff in 34 Kühlschränken bei einer Temperatur von minus 80 Grad aufbewahrt. Der Impfstoff selber bleibt bei normalen Kühlschranktemperaturen von zwei bis acht Grad während 30 Tagen bis zur Verwendung stabil – was für die Verteilung ein entscheidender Vorteil ist. 

Renzo Cicillini: Standortleiter Visp Lonza

«Der Faktor Zeit ist der Schlüssel zum Erfolg. Deshalb haben wir die Infrastruktur hochgefahren, ohne zu wissen, was kommt.» Renzo Cicillini, Lonza-Standortleiter in Visp.

Kurt Reichenbach

Der Besucher staunt. Es ist für ihn kaum vorstellbar, dass in den leeren Gebäuden und auf den unfertigen Produktionsanlagen schon in Kürze einer der wichtigsten Aufträge in der Firmengeschichte erfüllt wird. Doch Cicillini versichert: «Wir sind auf Kurs.» Der Faktor Zeit sei in ihrem Geschäft der Schlüssel zum Erfolg. Deshalb habe man die Infrastruktur schon 2017 hochgefahren – ohne zu wissen, was kommen werde. Die Basis dazu wurde in der Ära von CEO Richard Ridinger, COO Beat In-Albon sowie Verwaltungsratspräsident Rolf Soiron gelegt. «Das waren die visionären Geister», sagt der frühere SP-Regierungsrat und Briger Hotelier Peter Bodenmann. Cicillini spricht bei der Corona-Impfstoffproduktion von einem «Verfahren im Eilzugstempo»: «Normalerweise braucht es rund zweieinhalb Jahre, bis die Produktion anläuft. In diesem Fall schaffen wir es wohl in acht Monaten.»

Lonza, Moderna-Produktionsanlage, Manufacturing Complex 1 im Ibex-Biopark,

Regionaler Boom in der internationalen Krise: Der Bio-Science-Park der Lonza mit den neuen Produktionshallen (r.) erstreckt sich über 100000 Quadratmeter.

Kurt Reichenbach

Moderna setzt bei dem mRNA-Impfstoff auf eine neue Technologie – eine Art Biomolekül mit der «Bauanleitung» für Proteine. Cicillini erklärt den komplizierten Prozess in einfachen Worten: «Diese Bauanleitung informiert den menschlichen Körper, wie er ein Virusprotein herstellen soll. Bildet sich das Protein, wird es vom Immunsystem als artfremdes Eiweiss wahrgenommen. Nun produziert das Immunsystem Antikörper gegen das Virus und bereitet so den Körper auf den Kampf gegen die Infektion vor.» Für den Standortleiter passt dieses Verfahren auch von der Philosophie her perfekt zur Lonza: «Der Mensch erhält quasi die Bedienungsanleitung, um selber Abwehrstoffe zu produzieren.» Der Mitte Oktober von Pfizer/Biontech bei der Zulassungsbehörde eingereichte Impfstoff basiert auf derselben Methode. Für Cicillini ein wichtiges Zeichen: «Wir sind auf dem richtigen Weg.»

Wie ein Steinbock

Der Gebäudebereich, in dem schon bald an drei Produktionslinien 300 Millionen Impfdosen pro Jahr produziert werden sollen, davon 4,5 Millionen für die Schweiz, trägt den Namen Ibex-Park. Der Ausdruck ist bewusst gewählt. Ibex bedeutet übersetzt Steinbock. «Die Produktionsstätte ist so agil, schnell und anpassungsfähig wie der Steinbock in den Walliser Bergen», so Cicillini.

Lonza, Moderna-Produktionsanlage, Manufacturing Complex 1 im Ibex-Biopark

In nur acht Monaten bereit. Schon Ende Jahr wird hier der Moderna-Impfstoff hergestellt.

Kurt Reichenbach

Der Standortleiter legt Wert darauf, dass sich der Fortschritt nicht auf den Covid-19-Impfstoff reduziert: «Wir produzieren seit Jahren modernste Medizin.» Deshalb sind die Sicherheitsvorkehrungen noch strikter als von Kanton und Bund vorgegeben: «Die Lonza ist systemrelevant.»

Arbeitskräfte aus über 50 Nationen

Die hohe Nachfrage führt zu einer Steigerung des Personalbedarfs. Im Jahr 2012 zählte der Lonza-Standort Visp 2500 Mitarbeiter. Bis Ende 2020 werden es gegen 4000 sein. Es sind Arbeitskräfte aus über 50 Nationen – insgesamt leben in Visp Menschen aus 70 Ländern. Gemeindepräsident Furger: «Es ist wichtig, dass wir eine Willkommenskultur schaffen und die Gastarbeiter in unser Leben integrieren.» So bieten Vereine in Visp und Umgebung «Schnupperkurse» für Ausländer an.

Lonza, Moderna-Produktionsanlage, Manufacturing Complex 1 im Ibex-Biopark

Fachkräfte aus über 50 Nationen sind in Visp für die Lonza tätig.

Kurt Reichenbach

Bei aller positiven Dynamik sorgt die Lonza wegen Sünden der Vergangenheit im Moment auch für negative Schlagzeilen. Dabei geht es vor allem um die Quecksilber- und Benzidin-Belastungen in der Deponie Gamsenried sowie um die Herstellung des Vitamins Niacin, bei der grosse Mengen an Lachgas entwichen sind. Cicillini: «Beim Quecksilber haben wir über 70 Prozent der Fläche in den Siedlungsgebieten saniert. Und die Treibhausgasemissionen werden wir voraussichtlich Ende 2021 mit einem Katalysator auf ein Minimum reduzieren.»

Lonza, Moderna-Produktionsanlage, Manufacturing Complex 1 im Ibex-Biopark

Hier kommen 34 Kühlschränke hin. So bleibt der Grundstoff für die Impfung frisch.

Kurt Reichenbach

Peter Bodenmann sieht es differenziert. Die Lonza nehme in Sachen Deponie den Staat Wallis nicht ernst – und die Deponiestandortgemeinde Brig-Glis schon gar nicht. Gleichzeitig sagt er aber: «Die Lonza hat mit dem Einstieg in die Biotechnologie und der Positionierung als Produktionsstandort vieles richtig gemacht. Das kann in der Pharmaindustrie der Anfang einer Revolution sein.»

Highlight im Berufsleben

Als Bioprozess-Ingenieurin direkt in die Impfstoffproduktion involviert ist die Deutsche Katharina Haspel, 28. Sie bezeichnet diesen Auftrag als «Highlight ihres Berufslebens». Es sei wunderbar, an etwas derart Grossem mitarbeiten zu können: «Wir sind gut vorbereitet. Und ich bin optimistisch, dass alles klappt.»

Katharina Haspel: Senior Scientist Peregrine, Lonza

Katharina Haspel ist als Bioprozess-Ingenieurin in die Produktion involviert: «Das ist ein Highlight.»

Kurt Reichenbach

Das freut Gemeindepräsident Furger. Auf dem Weg zurück zur Gemeindeverwaltung am St. Martiniplatz sagt er: «Die Neat hat uns 2007 eine Chance geboten – und wir haben sie genutzt. Nun eröffnet sich durch den Covid-19-Impfstoff eine noch grössere Chance.» Doch der Politiker weiss, dass dies noch lange kein Grund ist, die Bodenhaftung zu verlieren. Denn im Wallis stehen Volksnähe und Bauernschläue über Globalisierungsträumen. Gemäss eigener Einschätzung verdankt Furger seine politische Karriere weder dem Betriebswirtschaftsstudium noch der Auslandserfahrung als Banker in New York, sondern der Mitgliedschaft in der Musikgesellschaft Vispe. Dort spielt das wahre Leben. 

Von Thomas Renggli am 22. November 2020 - 17:04 Uhr