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SI-Stammtisch in Neuenburg

«Freiwilligenarbeit tut allen gut»

Es gibt tausend Gründe und ebenso viele Möglichkeiten, sich ehrenamtlich für die Gesellschaft einzusetzen. Und am SI-Stammtisch in Neuenburg kam deutlich zum Ausdruck: «Die Pandemie hat die Solidarität in der Schweiz auf ein neues Niveau gehoben.»

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Stammtisch Neuchâtel

Der SI-Stammtisch in Neuenburg: Stéphane Benoit-Godet, Mirko Mandola, Marianne Guillaume-Gentil, Jean-Marc Richard, die Leserinnen Almut Lissy und Nora Munk sowie Laure Galvani und Marcel Aguet (v. l.).

Julie de Tribolet

Der SI-Stammtisch macht halt in Neuenburg – in dieser grandiosen Stadt mit welschem Charme und schon fast mediterraner Atmosphäre. Ort des Gesprächs über das Thema Ehrenamtlichkeit ist die altehrwürdige Villa Castellane, in der nach landläufiger Meinung der beste Kaffee weit und breit serviert wird. Es diskutieren: «L’illustré»-Chefredaktor Stéphane Benoit-Godet, Radio- und Fernsehmoderator Jean-Marc Richard, Mirko Mandola, Verantwortlicher für die UBS-Region Neuenburg-Jura, Marcel Aguet,Präsident von Innovage Suisse Romande, dem Verein von pensionierten Fach- und Führungskräften, die nicht wirtschaftlich orientierte Organisationen und Projekte unentgeltlich beraten, Laure Galvani, Präsidentin des Verbands für pflegende Angehörige in Neuenburg, Marianne Guillaume-Gentil, Krankenschwester und Mitglied im Komitee der Neuenburger Strassenapotheke, sowie Nora Munk, Studentin an der Universität Neuchâtel.

Stéphane Benoit-Godet: Was bedeutet Freiwilligenarbeit heute? Wie hat sie sich im Verlauf der Jahre entwickelt?
Jean-Marc Richard: Vor 50 Jahren war das Ehrenamt noch eine Tätigkeit für Damen und Herren der gehobenen Klasse. Engagierte Persönlichkeiten wie Mère Sofia in Lausanne haben im Laufe der Jahre dazu beigetragen, das Image des Ehrenamts zu verändern. War es früher eng mit der Kirche verbunden, hat es sukzessive neue Horizonte eröffnet und sich modernisiert. Heute sagt man «Ich engagiere mich» statt «Ich melde mich freiwillig». Es ist zu einer Quelle des Stolzes geworden, während eine ehrenamtliche Tätigkeit früher teilweise durch Pflichtgefühl, manchmal sogar durch Schuldgefühle begründet wurde. Junge Menschen engagieren sich heute mehr denn je in der Vereinswelt, im Ehrenamt, weil man stolz darauf ist, der Gesellschaft etwas zu geben.

Spielen private Kreise und Unternehmen im Ehrenamt eine immer wichtigere Rolle?
Jean-Marc Richard: Auf jeden Fall. Ich stelle aber auch fest, dass das Ehren-amt Aufgaben übernommen hat, die der Staat heute immer weniger übernimmt, was mich beschäftigt.

Mirko Mandola: Ich finde es wichtig zu fragen, was jede und jeder Einzelne für die Gesellschaft tun kann. Vielen gemeinnützigen Organisationen und Projekten fehlt es an Bekanntheit, Sichtbarkeit und Manpower. Aus diesem Grund hat die UBS mit UBS Helpetica die zentrale Vermittlungsplattform für Freiwilligenarbeit in der Schweiz geschaffen. UBS Helpetica bringt gemeinnützige Projekte und freiwillige Helferinnen und Helfer zusammen. Mehr als 230 Projekte wurden von NGOs und Privatpersonen eingereicht, davon konnten über 160 Projekte erfolgreich umgesetzt werden. Vor mehr als 15 Jahren haben wir bei UBS ausserdem ein internes Freiwilligenprogramm entwickelt, ein Engagement, auf das wir wirklich stolz sind. Mitarbeitende haben die Möglichkeit, sich zwei Tage im Jahr zu engagieren, während der Pandemie sogar vier Tage. 2019, also vor der Pandemie, nahmen 5000 Mitarbeitende oder ein Fünftel der Belegschaft in der Schweiz freiwillig an diesem Programm teil.

Monsieur Aguet, Ihr ehrenamtliches Engagement besteht gerade darin, Vereine zu unterstützen. Können Sie bestätigen, dass Freiwilligenarbeit sowohl private wie öffentliche Unterstützung braucht?
Marcel Aguet: Ich stelle heute vermehrt fest, dass die von uns unterstützten Verbände Governance-Schwierigkeiten kriegen. Sie haben die Last der Verantwortlichkeiten nicht ausreichend integriert und müssen den strategischen und operativen Anforderungen gerecht werden. Mit 300 Mitgliedern kann man zum Beispiel keine nicht-professionelle Vereinigung mehr sein. Und so ist es schwieriger, Freiwillige zu finden.

Willkommen am SI Stammtisch

Der SI Stammtisch ist eine publizistische Initiative der Schweizer Illustrierten und Illustré in Zusammenarbeit mit DEAR Foundation-Solidarité Suisse und UBS Schweiz.

Stammtisch Neuchâtel

Im Sinne des Ehrenamts: Mirko Mandola und Jean-Marc Richard verewigen sich auf dem SI-Stammtischtuch.

Julie de Tribolet

Inwiefern hat die Pandemie in den letzten zwei Jahren die Vereine und das Ehrenamt erschwert?
Marcel Aguet: Die Auswirkungen der Krise sind erheblich. Wir organisieren zum Beispiel Speed-Meetings, um ehrenamtlichen Vereinen bei der Mitgliedersuche zu helfen. Normalerweise kamen 120 Leute. In diesem Jahr waren es erst 20.

Jean-Marc Richard: Ich glaube, diese Krise hebt die Solidarität in der Schweiz auf ein neues Niveau – wie etwa die von der Glückskette gesammelten 43 Millionen Franken beweisen. Covid-19 hat die Menschen gleichzeitig motiviert und zurückgehalten. Neue Freiwillige zu finden, ist schwieriger denn je.

Mirko Mandola: Genau das ist die Ambition unserer Plattform UBS Helpetica (ubs-helpetica.ch): gemeinnützigen Projekten eine höhere Sichtbarkeit in der gesamten Schweizer Bevölkerung zu ermöglichen. Die Plattform richtet sich sowohl an alle gemeinnützigen Organisationen in der Schweiz als auch an die breite Öffentlichkeit. Auf UBS Helpetica haben gemeinnützige Organisationen die Möglichkeit, nachhaltige Freiwilligenprojekte in den Bereichen Umwelt, Soziales, Bildung und Unternehmertum auszuschreiben und Personen zu finden, die sich engagieren möchten. Ausserdem haben Privatpersonen die Möglich-keit, eigene Projektideen für Freiwilligen-Engagements einzureichen.

Laure Galvani: Die Zahl der Freiwilligen ist in der Pandemie zurückgegangen, aber ich sehe trotzdem einen positiven Effekt: Menschen, die sich engagieren, sind realistischer als zuvor. Sie wissen genau, was sie einbringen können, gerade auch was die zur Verfügung stehende Zeit angeht.

Ist Freiwilligenarbeit eine Berufung, die mit der Persönlichkeit verbunden ist, oder engagieren sich die Menschen entsprechend den Lebensumständen eher zufällig?
Laure Galvani: Ich bin schon lange ehrenamtlich tätig und trage quasi diese Faser in mir. Und jedes Mal, wenn ich mich an einer Aktion beteilige, bin ich tatsächlich nach zwei oder drei Jahren Präsidentin. Was mich am meisten motiviert, ist, Wege zu finden, die Vereinigungen so zu entwickeln, dass sie noch effizienter sein können.

Marianne Guillaume-Gentil: Ich persönlich habe viel Politik gemacht und bin im vergangenen Jahr als Krankenschwester in den Ruhestand getreten. Danach engagierte ich mich als Volontärin bei der Neuenburger Strassenapotheke mit drei angestellten Krankenschwestern und 35 Freiwilligen. Alle haben ihre je eigene Motivation, abhängig von ihrer Situation.

Kann die gegenseitige Hilfe zwischen freiwilligen Vereinen verbessert werden?
Laure Galvani: Ja. Wir müssen viel mehr in einem Netzwerk und weniger im stillen Kämmerchen arbeiten. Das Thema informelle Pflegekräfte etwa ist ein Grundsatzthema, das nicht allein mit der öffentlichen Gesundheit in Verbindung gebracht werden kann. Ich betone hier, dass der Staat, wenn er ein guter Partner sein will, eine detailliertere Einordnung der Verbände vornehmen sollte, um besser zu wissen, was genau jeder tut. Dies wäre für die Förderung der Zusammenarbeit von unschätzbarem Wert.

Jean-Marc Richard: Um diese Vernetzung zu fördern, kommt den Medien eine wichtige Rolle zu.

Mirko Mandola: Ein guter Punkt. Darum veröffentlicht UBS Helpetica Erfolgsgeschichten zu bereits umgesetzten Projekten, die noch wirksamer veranschaulichen, was das konkrete Resultat des freiwilligen Engagements ist.

Was können wir noch beitragen, um ehrenamtliches Engagement zu pushen?
Mirko Mandola: Unsere Erfahrungen zeigen, dass die Mitarbeitenden, welche bei ehrenamtlichen Projekten mitgemacht haben, dies als sehr bereichernd empfunden haben. Viele unserer Mitarbeitenden engagieren sich in ihrem Fachgebiet, um beispielsweise jungen Menschen den Umgang mit ihrem Budget beizubringen. Und dies wird auch von unseren Kunden geschätzt, die von uns zunehmend ein solches Engagement erwarten.

 

Katharina Hofer und Claudio Saputelli UBS
ZVG
Innovation als Aushängeschild

Im Rahmen des SI-Stammtisches beleuchtet der UBS Kantonaler Wettbewerbsindikator jeweils kurz jeden Kanton, den wir besuchen.

Das Aushängeschild des Kantons Neuenburg ist die Innovation. Die Tradition der Uhrenindustrie und das damit vorhandene Know-how im technischen Bereich treiben eine rege Forschungs- und Entwicklungstätigkeit an. Das zeigt sich in einem der schweizweit höchsten Beschäftigungsanteile auf diesem Gebiet sowie in zahlreichen Patentanmeldungen. Besonders stark hebt sich die Region um den Kantonshauptort hervor. Diese verfügt dank städtischen Infrastrukturen sowie einer Universität über eine gute Erreichbarkeit. Zudem ist die regionale Wirtschaft auf einer breiten Palette von ansässigen Branchen abgestützt. Bei den beiden Regionen oberhalb des Sees – La Chaux-de-Fonds und Val-de-Travers – ist die Abhängigkeit von der Uhrenindustrie im Auge zu behalten. Herausforderungen rühren zum einen von einem im Schweizer Vergleich überdurchschnittlich hohen Anteil an Langzeitarbeitslosen her. Zum anderen bedingen die angespannten Finanzen und die damit eng verbundene starke Besteuerung natürlicher Personen die moderaten Wachstumsaussichten.

 

Die Ökonomen Katharina Hofer und Claudio Saputelli sind die Autoren des UBS-Wettbewerbsindikators.

 

Von Philippe Clot am 17. Dezember 2021 - 15:18 Uhr