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Karin Niederberger

«Wir Jodler sind Herzensmenschen»

Seit 2009 ist die Bündnerin Karin Niederberger Zentralpräsidentin des Eidgenössischen Jodlerverbands. Die oberste ­Jodlerin über Gendersprache, Identität und ihre Demut.

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Jodelclub Hochwang

Karin Niederberger (53) sechsfache Mutter, Gemeindepräsidentin von Churwalden GR. Sie trägt eine Schanfigger Festtagstracht.

Geri Born

Nach sechs Jahren wieder ein Eidgenössisches! Karin Niederberger, da liegt viel Arbeit hinter Ihnen?
Ja, doch ich freue mich ungemein! Wir Jodler sind eine Familie, in Zug treffen wir uns alle. Jeder Klub tritt mit einem Lied vor einer Jury an, dann sitzen wir fröhlich zusammen. Alle in Tracht, per Du. Du weisst nicht, ist der andere ein Professor oder ein Mechaniker. Das friedliche Zusammensein, gemeinsam eins juzen, das ist ärdeschön!

Die Welt ist eine andere als vor 50 Jahren. Spiegelt sich das auch in den Texten Ihrer Lieder?
Die Lieder des Berner Komponisten Oskar Friedrich Schmalz, der 1910 unseren Jodlerverband mitgründete, passen auch in die heutige Welt: Es geht um die Wurzeln und Stärken unseres Landes. Mein Jodelklub singt auch Stücke zeitgenössischer Komponisten.

Worum gehts dort?
Auch dort oft um Berge und Heimat. Viele in meinem Klub haben einen Bezug zur Landwirtschaft. Jodeln hat viel mit Identität und unserer Scholle zu tun. Wir fühlen uns verbunden mit Land und Leuten.

Jodelclub Hochwang

Jodelclub Hochwang: Die Hauptprobe vor einem Eidgenössischen macht die Formation aus Landquart GR stets in Parpan GR.

Geri Born

Wie oft haben Sie Ihr Vortragsstück geübt?
40 Stunden. Jodeln ist anspruchsvoll! Dann sehe ich jeweils vor meinem inneren Auge, wie ich auf dem Grat des Malakoffs stehe, einem Berg ob Parpan. Und in mein Churwaldnertal hinunterschaue.

Der Charakter einer Jodlerin?
Wir Jodler sind heimatverbunden, haben Freude am gemeinsamen Singen. Wir sind Herzensmenschen.

Ein kontroverses Thema: die Gendersprache. Werden Jodelliedtexte nun angepasst?
Nein, um Himmels willen! Wie sollte man das denn dann singen?

Viele Vereine haben ein Nachwuchsproblem. Die Jodler?
Wir nicht. Viele unserer Klubs leisten harte Basisarbeit. Unsere Unterverbände organisieren Alfajo-Lager: Ausbildungswochenenden für junge Alphornbläser, Fahnenschwingerinnen und Jodler.

Seit wann jodeln Sie?
Schon als Meitli habe ich gern gejodelt. Im Sommer auf unserem Maiensäss, zu Hause mit Mutter und Grossmutter. Bis 2017 hatten wir – ohne meinen Mann – ein Familienchörli. Auch heute jodle ich fast jeden Tag.

Bei welcher Gelegenheit?
Wenn ich aus meinem Büro im Rathaus von Churwalden rauskomme, juze ich im Treppenhaus ein paar Töne. Und auch daheim, im Auto auf dem Heimweg von OK-Sitzungen in Zug. Nach einer angespannten Situation.

Was macht es mit Ihnen?
Das Jodeln gibt mir Boden, es entspannt, bringt mich zu meiner Mitte. Jodeln ist gesund, macht glücklich. Bei Familienferien auf dem Canal du Midi in Frankreich sass ich auf unserem Hausboot, genoss die Landschaft, schloss die Augen – und juzte.

Beim Festakt in Zug halten Sie nun eine Rede. Ihre Botschaft?
25 Autostunden von uns herrscht Krieg. Und wir dürfen an unserem grossen Fest zusammen feiern. Das lässt mich demütig werden. Wir müssen Sorge tragen zu unseren Werten, unserer Kultur, respektvoll miteinander umgehen. Tradition bedeutet zu wissen, wo wir unsere Wurzeln haben. Wenn wir diese kennen, brauchen wir vor dem Fremden keine Angst zu haben.

Thomas Kutschera
Thomas KutscheraMehr erfahren
Von Thomas Kutschera am 17. Juni 2023 - 07:00 Uhr