Möglicherweise hatte ich eine zu romantische Vorstellung. Ich war mir sicher, dass ich eines Tages kuschelnd im Bett meines Kindes liege, dieses sich an mich drückt und zufrieden den Märchen lauscht, die mir schon meine Oma selig vorgelesen hat, als ich ein Kind war. Denke ich nämlich daran zurück, wird mir ganz warm ums Herz.
Was ich dabei komplett vergessen habe: Kaum war das Grosi aus dem Zimmer raus, überkam mich die blanke Panik. Ich war mir sicher, dass mich in der Nacht ein böser Wolf entführt. Dass mich eine Hexe in den Ofen steckt oder mir eine böse Fee irgendwas in die Kehle rammt, das mich in einem 1000-jährigen Schlaf versetzt. Aber von Anfang an!
Kein Kind ist bereit für Hänsel und Gretel
Vor genau drei Jahren wurde ich Mami. Mein Sohn zeigt schon früh Interesse an Sprache, Büechli, Geschichten. Nebst Storys rund um Feuerwehr, Polizei und Baustellen haben es ihm Märchen angetan. Super, finde ich. Toll, findet auch der Papa.
Wir kramen in alten Kisten, die auf dem Estrich unserer Eltern stehen und finden tolle Trouvaillen. Innert kürzester Zeit steht unsere Märchen-Bibliothek. Als unser Bub etwas über zwei ist, kann er schon richtig gut reden und verstehen. Er ist also bereit für Hänsel und Gretel, denken wir. Und irren uns. Kein Kind ist bereit für Hänsel und Gretel. Das liegt daran, dass die Geschichte alles andere als kindergerecht ist.
Hänsel und Gretel
Eine kleine Zusammenfassung: Bei Hänsel und Gretel verlaufen sich zwei Kinder (Was machen sie alleine im Wald???). Eine alte Hexe findet sie und will sie im Ofen braten und verspeisen. Am Ende landet sie selber im Feuer.
Unser Zweijährige hat viele Fragen. Und das nicht nur weil er im «Frögeli-Alter» ist. Wir schnallen schnell, dass wir das Märchen abändern müssen. In einer neuen Version verlaufen sie sich dummerweise, aber eine liebe Hexe findet sie. Sie dürfen in ihrem Knusperhäuschen Süsses schlecken, bevor sie die liebe Hexe nach Hause begleitet. Auf dem Weg treffen sie viele nette Tiere. Am Ende gibts ein grosses Fest für alle im heimischen Garten der Kinder. Happy End, happy Kid, happy me!
Rotkäppchen
Ähnlich geht es mir mit dem Rotkäppchen. Falls ihr die Details vergessen habt: Der böse Wolf frisst zuerst das Grosi. Dann will er auch noch das Rotkäppchen verspeisen. Die Gebrüder Grimm erfanden später zumindest noch die Jäger. Als Retter in der Not befreien diese die Grossmutter und Enkelin durch einen rabiaten Schlitz (!!). In den nun leeren Bauch werden daraufhin Steine gefüllt. Daran verkümmert der Wolf dann am Ende qualvoll. Ob das wirklich besser ist?
Unserem Sohn erzählen wir von Anfang an eine komplett andere Version. Da ist der Wolf verletzt, weil er gestolpert ist. Das Rotkäppchen und das Grosi wollen ihm helfen. Die Jäger eilen ebenfalls zur Hilfe. Und alle anderen Tiere im Wald organisieren Zeugs, um den Wolf möglichst gut zu versorgen. Alle zusammen pflegen den Wolf gesund. Das happy Life im Wald nimmt seinen Lauf. Ende gut, alles gut, die kleine Kinderseele meines Sohnes bleibt wohlauf.
Schneewittchen
Ganz schlimm finde ich das Schneewittchen. Wir erinnern uns: Die übereitle Königin, die Schneewittchen umbringen (!) will, nur damit sie weiterhin die «Schönste im ganzen Land» bleibt. Schneewittchen wird also im Wald ausgesetzt (wo sind ihre Eltern?) und von sieben Zwergen gefunden, für die sie nun alles macht.
Nun, nein. Das sind keine Rollenbilder oder Werte, die wir unserem Kind zumuten wollen. Also ändern wir auch diesen Klassiker auf eine happy Story ab. Wir nutzen die Chance, unserem Kind etwas über Patchwork-Glück zu erzählen. Ja, es kostet uns viel Kreativität, um aus Märchen Geschichten zu kreieren, die man Kindern zumuten kann.
So lässig es ist, aus brutalen Märchen Wohlfühl-Geschichten zu kreieren, so desillusionierend ist die ganze Sache. Ich hatte als Erwachsene vergessen, wie schlimm Märchen sind. Wie viel Angst sie mir als Kind gemacht haben und wie ich überfordert war mit diesen Gefühlen. Ich war schlichtweg zu klein, um meine Ängste zu kommunizieren.
Heute kann ich sehr wohl sagen, dass ich Märchen schlimmer finde als Horror-Filme. Da diese für Erwachsene gemacht werden, kann ich wenigstens selber entscheiden, ob ich sie konsumieren will. Und ich bin alt und weise genug, um zwischen Fiktion und Realität unterscheiden zu können.
Nebst abgeänderten Märchen, die unseren Sohn sehr happy machen, setzen wir übrigens auf folgende drei Geschichten, die man ohne Bedenken erzählen kann. Und die meinen Traum aus kuscheln und Büechli erzählen abends vor dem Schlafengehen doch noch wahr machen. Was notabene mein absolutes Lieblings-happy-end ist!
Falls ihr auch keinen Märchen erzählen wollt – diese Geschichten kann ich sehr empfehlen!
Peppa Wutz ist ein 4-jähriges Schweinemädchen. Sie lebt mit ihren Eltern, Mama Wutz und Papa Wutz und ihrem zweijährigen Bruder Schorsch in einem Haus auf einem Hügel. Peppa besucht den Kindergarten, sie fährt oft Fahrrad oder Schlitten, trifft sich mit ihren Freunden oder unternimmt etwas mit ihren Eltern oder Groseltern Opa Wutz und Oma Wutz. Herzig!
Brezel ist anders als andere Dackel. Der gutmütige Hund ist viel länger als all seine Geschwister. Und Brezel ist über beide Hundeohren unglücklich in Greta verliebt. Bis die Dackeldame von gegenübe eines Tages doch noch Brezels wahre Qualitäten erkennt.
Einem Maulwurf fällt ein Häufchen auf den Kopf. Um herauszubekommen, von wem es stammt, befragt er nacheinander eine Taube, ein Pferd, einen Hasen, eine Ziege, eine Kuh und ein Schwein. Alle verneinen seine Frage, ob sie ihm auf den Kopf gemacht haben, und beweisen ihre Aussage, in dem sie ihm zeigen, wie sie Häufchen machen.
Am Ende erfährt der Maulwurf von Fliegen, wer der Übeltäter war und kann sich am Hund des Metzgers rächen. Nicht seeehr gehaltvoll, aber Kinder lieben Fäkalhumor und das Buch ist ein sehr herziger Klassiker!