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«Senkrecht» mit Natascha Knecht

Der todsichere Flirt-Tipp

Natascha Knecht, 47, Journalistin und Alpinistin, Buchautorin und Bloggerin, sinniert über Singles, Flirten und Hängebrücken.

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Natascha Knecht Journalistin Outdoor Blog Schweizer Illustrierte
Thomas Senf

Wo lernen heute Singles andere Singles kennen? Klar doch: im Internet. Online liegt das Liebesglück angeblich «nur einen Klick» entfernt. Im realen Alltag jemanden anzusprechen, ist dagegen extrem verpönt geworden. Denn Menschen, die im 21. Jahrhundert noch leibhaftig flirten, zum Beispiel im Tram, im Migros oder in der Disco, werden als «Psychos» wahrgenommen. Die angesprochene Person ergreift sofort die Flucht. Darum bleibt den Singles nur das Internet. Sie haben keine andere Wahl.

Das könnte sich jedoch bald ändern. Dating-Portale bekommen derzeit starke Konkurrenz – und zwar von den zahlreichen Hängeseilbrücken, die überall in unsere Berge gespannt werden. Diese luftigen, über Schluchten und fürchterliche Abgründe gezogenen Konstrukte stellen für die Online-Singlebörsen eine unberechenbare wirtschaftliche Gefahr dar. Wäre ich Chefin von Parship, Tinder oder Co., würde ich mir Sorgen machen. Ernsthaft.

Warum? Alpine Hängebrücken sind der neue letzte Schrei, ein Touristenmagnet. Jedes Bergtal, das etwas auf sich hält, bietet heute mindestens eine an. Im Wallis gibt es schon Täler, in denen die Wanderer vor lauter Hängebrücken die Berge nicht mehr sehen. Doch den Gästen gefällts: Sie kommen wegen der Brücken, die Berge sind lediglich Beilage. Für viele ist das Betreten eine Mutprobe. Vor lauter Nervenkitzel schütten sie massenhaft Adrenalin aus – und dies wirkt sich unbewusst auf ihr Flirt-Verhalten aus.

Der Mensch bekommt nicht Herzklopfen, weil er sich verliebt

Hirnforscher fanden heraus: Mit der Adrenalinausschüttung wächst die Lust auf Erotik. Legendär dazu ist das «Hängebrücken-Experiment» aus den 70er-Jahren. Wissenschaftler positionierten ihre Assistentin auf einer 140 Meter langen Hängebrücke. Weil diese im Wind schwankte und ein niedriges Geländer hatte, reagierten viele der Begeher mit starker Erregung – Herzrasen, beschleunigtem Atem und Schwitzen. In diesem Moment näherte sich die Assistentin den Männern, sprach sie unverfänglich an und gab ihnen am Ende ihre Telefonnummer.

Dieselbe Masche zog sie auch auf einer unspektakulären, drei Meter hohen Holzbrücke durch. Resultat: Zwei Drittel der Männer, die auf der luftigen Hängebrücke ihre Telefonnummer erhalten hatten, riefen sie an. Von denen auf der Holzbrücke meldete sich fast keiner.

Weshalb die Männer nach der Adrenalinausschüttung mehr Interesse zeigten, begründet die Neurowissenschaft so: Der Mensch bekommt nicht Herzklopfen, weil er sich verliebt. Er verliebt sich, weil er Herzklopfen hat. Begegnet nun ein Mann auf einer hohen, wackeligen Hängebrücke einer attraktiven Frau, gerät er durcheinander. Sein Gehirn kann nicht mehr einordnen, weshalb der Puls in die Höhe jagt. Es glaubt: Weiche Knie und ein flaues Gefühl im Magen? Dann muss mich die Frau schon sehr faszinieren. Die Brücke vergisst er. Folgestudien zeigten, dass Frauen in gleicher Situation ebenso reagieren.

Wäre ich also Chefin von Parship & Co., würde ich mir einen Plan B überlegen. Denn je mehr die Hängebrücken in unseren Berge überhandnehmen, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass vermehrt Singles darüber schreiten – und sich kennenlernen. Real! Statt mit einem Klick finden sie mit einem Adrenalin-Kick zum Liebesglück. Und erst noch gratis.

Im Dossier: Alle Beiträge der «Schweizer Illustrierte»-Kolumnisten

 
 
 
 
Von Natascha Knecht (alt) am 21. August 2017 - 16:00 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 13:22 Uhr