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Notabene Helmut Hubacher

Gugelhopf mit Weinbeeren

Helmut Hubacher, 88, ehemaliger SP-Präsident und Buchautor, über seine Odyssee, in der Schweiz echte Weinbeeren für einen Gugelhopf zu finden.

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Helmut Hubacher
Kurt Reichenbach

Eigentlich wollte ich darüber schreiben, was die Nationalbank angerichtet hat. Das Thema macht fast schon depressiv. Deshalb lasse ich die Politik links liegen. Der Alltag beschert einem gelegentlich angenehmere Überraschungen.

Es geht um Weinbeeren für Grets Gugelhopf. Um etwas Banales also. Nur nicht so voreilig. Oft sind es die kleinen Gesten, die das Leben liebenswert machen. Doch schön der Reihe nach, wie Grossvater gesagt hätte. Erst viel später erfuhr ich den Sinn seines Lieblingsspruchs. Er hat mit einem Bordell in Paris zu tun. Wenn die Herren drängten, mahnte sie die Puffmutter: «Messieurs, un après l’autre - Meine Herren, schön der Reihe nach.»

Es gibt keine Weinbeeren mehr, nicht Sultaninen oder Rosinen, sondern Weinbeeren


Gret hat uns, die Kinder und mich, mit Züpfe, Schoggikuchen oder Gugelhopf verwöhnt. Bis ich sie mal fragte: «Wieso backst du nie mehr einen Gugelhopf?» - «Es gibt keine Weinbeeren mehr», hörte ich erstaunt. Nun verstehe ich von Kochen und Backen tatsächlich wenig. Weinbeeren jedoch, das hingegen weiss ich, gibts in jedem Supermarkt. «Das sind Sultaninen oder Rosinen», korrigierte sie mich, «keine Weinbeeren.» Diese seien getrocknete Weintrauben, kräftiger als Sultaninen. Halt mit dem gewissen Etwas für den Gugelhopf. Für mich waren alle Sorten einfach Weinbeeren. Mit einem Erinnerungswert an meine Bubenzeit.

Ich bin bei den Grosseltern in Zollikofen aufgewachsen. Dort steht die einzige Kirche für Mormonen. Grossvater arbeitete als Kontrolleur der Hasler AG in Bern. An ihm war kein Telefonapparat vorbeigegangen, den er nicht überprüft hatte. Ein solcher Job prägt den Menschen. Wir erlebten Grossvater als «Tüpflischiisser». Alles musste perfekt stimmen. Hatte Grossmutter ausnahmsweise den Tabak nicht gepostet, hing der Hausfrieden an einem Faden. Dann hiess es ab ins Konsum, heute Coop. Er wäre nie in einen Laden gegangen, sondern wartete draussen. Einkaufen sei «Wybersache», so im Originalmachoton. Selber kaufte er nur Kleider, Schuhe oder Werkzeug ein.

Der sanfte Tyrann benutzte morgens nach dem Aufstehen nicht etwa die Toilette. Die war draussen, neben dem Hauseingang. Grossmutter stellte ihm den «Potschamber» neben das Bett und leerte ihn dann. Hemd, Hosen und Socken hatte sie auf dem Bett parat gelegt. So sah es damals in einem Arbeiterhaushalt aus. Der Pascha bestimmte auch, wo eingekauft wurde. Nur im Konsum. Das Brot bei Michel-Beck, Fleisch beim Metzger Häberli. Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler hatte 1936 für den Lohnabbau beim Bundespersonal plädiert. Grossvater reagierte mit dem Migros-Verbot. Während ich wöchentlich den einzigen Teppich der Nachbarin für eine Handvoll Weinbeeren ausklopfte. Damals eine leckere Rarität, die es nur in der Migros gab. Wo ja Grossmutter nicht einkaufen durfte.

Womit ich wieder beim Gugelhopf wäre. Inzwischen hatte auch Trix, meine Schwägerin, geklagt, Weinbeeren seien vom Markt verschwunden. Was ich nicht glauben mochte. Ich machte mich auf die Suche. In Basel absolut erfolglos. Mich begann der stets gleiche Bescheid zu nerven: «Nein, Weinbeeren haben wir nicht mehr.» Dasselbe erlebten Gret und ich auch auswärts. Der Dialog wiederholte sich, ob in Bern, Biel, Thun, Trubschachen, Lörrach oder wo immer sonst: «Nein, nicht Sultaninen oder Rosinen, sondern Weinbeeren, richtige Weinbeeren hätten wir gerne.»

Dass mir das nicht viel früher eingefallen ist. Im Niederdorf in Zürich, an der Münstergasse, gibt es den legendären Kolonialwarenladen Schwarzenbach. Seit 151 Jahren, in der fünften Generation, werden «ausgewählte Spezialitäten aus aller Welt» verkauft. Auf jeder Papiertüte wird das Angebot aufgezählt: «Grosse Auswahl an Dörrfrüchten, Tee, Kaffee aus eigener Rösterei, Schokoladen, Nüssen, Konfitüren und Honigen, Oel und Essig, Backzutaten, Teigwaren, italienischen Köstlichkeiten, Gewürzen und Weinen.» Vieles wird noch offen verkauft. Wie zu Grossmutters Zeiten.

«Haben Sie Weinbeeren, fragte ich etwas zögerlich. Die Frau schaute mich leicht verdutzt an. «Ja, natürlich.» Unüberhörbar, wieso ich zweifle. «Bitte, zweimal 200 Gramm.» - «Macht 7 Franken 60.» Selten habe ich mit so wenig Geld so gut gepunktet.

Gret hat nach einer langen Pause wieder einen Gugelhopf gebacken. Mit Weinbeeren - «natürlich», fällt mir die Verkäuferin bei Schwarzenbach ein.

Von Helmut Hubacher am 12. Februar 2015 - 14:30 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 16:29 Uhr