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Die Müll-Prinzessin Karin Bertschi

Sie hat das Drecks-Geschäft stubenrein gemacht

Karin Bertschi wurde für die aktuelle Staffel «Die Bachelorette» angefragt, kümmert sich aber lieber um den Abfall in ihrem Recycling-Paradies. Die 26-Jährige hat das Kehricht-Business revolutioniert. Denn bei ihr entsorgt man mit Spass und Stil. Die Ein- und Abfälle einer Müll-Prinzessin. 

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Der Güselhimmel. Eine private Abfallsammelstelle mit dem Namen Recycling-Paradies. Wer hierherkommt, will etwas loswerden: Kehricht, Hausmüll, Sperrmüll, Schrott. Alles zum Wegwerfen. «Bei mir entsorgen die Leute ihre Sachen», sagt Karin Bertschi, «und oft auch die dazugehörenden Geschichten.»

Es gibt Besucher, deren Müll stellvertretend für einen Lebensabschnitt steht, mit dem sie endgültig abschliessen wollen: Sie trennen sich hier von Liebgewonnenem, wollen Erledigtes ablegen, Belastendes zertrümmern oder Erinnerungsstücke aus schweren Zeiten endgültig loslassen. Etwa das Sofa der verstorbenen Oma, ein bös zugerichtetes Unfall-Velo, die pikante Heftlisammlung eines Ex-Junggesellen oder jenes Ehebett, bei dem die frisch Geschiedene unbedingt zuschauen wollte, wie es vom Bagger in den Grosscontainer gequetscht wird und in Stücke bricht. «Manchmal helfen wir unseren Kunden eben auch beim Entsorgen ihrer Sorgen», sagt Karin Bertschi.

Jedem Paradies seine Eva

Ihre Recycling-Paradiese in Reinach und Hunzenschwil AG gehören zu den grössten und modernsten der Schweiz. Jedem Paradies seine Eva: Bertschi, eben 26 geworden, hat langes, blondes Haar und einen kühn-kecken Blick, feinrosa der Teint und die Zähne so weiss wie das Styropor, das man bei ihr entsorgen kann.

Da hängt ein von ihr selbst getextetes Werbeplakat: «Achtung, fertig, loswerden!» Karin Bertschi steht mitten in der Entsorgungshalle, in Baustiefeln, Jeans und oranger Schutzjacke, und lotst Autos herein. Sie hilft beim Entladen von Kofferräumen, trägt einem Pensionär Papierbündel zur Mulde und zeigt einer Dame im Deux-Pièces, in welche Tonne ranziges Frittieröl geleert wird. Zwischendurch schaufelt Bertschi hinter der Halle mit dem Radlader ein paar Tonnen Altglas zusammen, hilft anschliessend einem krawattierten Herrn beim Entrümpeln seines durchgerittenen Bürostuhls und erklärt ihrer neuen Mitarbeiterin, wie man den aktuellen Kupferpreis berechnet (ein Kunde bringt und verkauft 170 Kilo). «Anfangs bezeichneten viele meine Idee als grossspurig», sagt Bertschi – vierspurig fahren heute die Autos in ihre Hallen. 50 Kunden pro Stunde nutzen das Güsel-Drive-in.

Schöner güseln

Aufstieg dank Abfall. Schweizweit wird Bertschis Konzept gelobt, ein drittes Recycling-Paradies ist in Planung. In sechs Jahren hat die Frau viel erreicht, wurde mit Preisen ausgezeichnet. Aus dem Drecks-Geschäft macht sie eine saubere Sache mit Stil und Style. Schöner güseln. Sie selber geht mit bestem Beispiel voran. Als «Müll-Prinzessin» wird die Jungunternehmerin betitelt, und wenn man sie fotografiert, posiert sie auf einem Berg Altpapier (25 Tonnen werden pro Tag umgewälzt) oder Chromstahl («mein Lieblingsmüll, er funkelt so schön wertvoll») mit so viel Grazie, als sässe sie auf dem Thron.

Natürlich ist ihr Aussehen mit ein Grund für ihren Erfolg. Der Kontrast ist halt zu schön: Da der miefende Müll, dort die schöne «Müllerin». Güselfrau mit Model-Attributen ist marketingmässig nicht so übel: Im Laufe des Tages wird sie in der Sammelstelle denn auch von vielen entsorgenden Herren um Hilfe gebeten.

1,76 Meter gross ist Bertschi, später korrigiert sie, es seien 1,80 («am Morgen, nach dem Aufstehen»). Aber viele Männer hätten drum Mühe mit grossen Frauen, «und wenn ich beim ersten Date dann auch noch erzähle, dass ich im Abfallgeschäft bin …»

Anstatt Handseifen Tuben mit Spezialpaste

Jeden Morgen um sieben trifft sich Familie Bertschi im Elternhaus in Leimbach AG. Zum Zmorge und zur Geschäftssitzung. Auch Karins Geschwister (Sabine, 29, Dani, 27, und Olivia, 23) sind im Familienbetrieb Bertschi Mulden + Container Transporte AG tätig. Bei Kaffee und Konfibrot wird heute über den aktuellen Kupferpreis, die Neueinstellung eines LKW-Fahrers und die baldige Heirat der Jüngsten, Olivia, gesprochen.

Vater Albert, 58, und Mutter Monika, 57, haben vor 33 Jahren als Schrotthändler begonnen. «Schon damals war Wiederverwertung ein Thema», juxt der Hausherr. Als er seine Frau heiratete, war diese eine junge Witwe, «und ich habe gleich auch noch ihr altes Ehebett übernommen».

Auf dem Tisch liegt das Magazin «Recycling», neben dem Sofa steht ein Autoteil, und statt Handseife benutzen Bertschis Tuben mit Spezialpaste («entfernt mühelos Fett, Teer, Öl, Farbe, Harz»). Wer mit Müll Geld machen will, muss tief in den Dreck greifen.

«Stöggelischuh-tauglich und kinderfreundlich»

Vor sechs Jahren (Karin ist kaum 20, hat Berufsmatura und KV-Lehre beendet) konzipiert sie eine radikal neue Recycling-Anlage. Sie stellt sich die einfache Frage: Was stört mich als Frau bei bestehenden Müllanlagen? Und listet auf: Alles ist unter freiem Himmel, darum nass, schmutzig, miefig, die Mulden sind zu hoch, schlecht beschriftet, die Öffnungszeiten eine Zumutung, «und meist kommandiert einen ein mürrischer, bierbäuchiger, stumpenrauchender Angestellter herum». 2010 eröffnet Bertschi ihr Gegenkonzept: die «paradiesische» Recyclingstelle.

In einer riesigen, entspannend grün gestrichenen Halle können die Kunden im Trockenen, sechs Tage die Woche bis 18 Uhr (auch samstags) mit dem Auto hereinfahren und ihre Recycling-Güter sowie Grünschnitt, Bauschutt, Abfall und Sperrgut entsorgen. Die Anlage ist blitzsauber, jedes Fötzeli wird sofort aufgewischt. «Stöggelischuh-tauglich und kinderfreundlich», bringt Bertschi ihr Konzept modisch-didaktisch-praktisch auf den Punkt. Hintergrundmusik und bis zu zehn Angestellte («am liebsten stelle ich Frauen ein, die haben einen natürlichen Sinn für Ordnung») sorgen für ein gutes Entsorgungsgefühl.

Ja, gar eine Kinderecke gibt es hier, mit Spielzeug und Mini-Containern zum Entsorgen-Üben; zudem führt Bertschi Schulklassen (bis zu 3500 Kinder jährlich) durch ihre Anlage und lehrt die Kleinen über Müll und Wiederverwertung, was viele Grosse noch immer ignorieren.

Gratis-Lesestoff

Bücher werden nicht weggeworfen, sondern in die Müll-Bibliothek gestellt. In einer Ecke der Halle hats Regale voller Gratis-Lesestoff. Erhellend, wer und was da nicht mehr im Trend ist: «Die stillende Mutter», «Die UdSSR», «So rette ich meine Beziehung» sowie Biografien von Angelina Jolie, Adolf Ogi und Barack Obama.

Was Bertschi in ihren beiden Paradiesen sammelt, geht weiter an die Logistikfirma ihrer Familie. Diese berechnet Karin Weiterverarbeitung, Entsorgungsgebühr und Transport. Karin erhält von der Familie Geld für die Wertstoffe (Papier, Karton, Alteisen), zudem verdient sie an den vorgezogenen Entsorgungsgebühren, die man beim Kauf von PET-Flaschen, Büchsen oder Elektrogeräten entrichtet. Alles Sammelgut wird in Reinach zerteilt, getrennt und geht zur Wiederverwertung zurück in die Fabriken.

Baustiefel weg - Ballerinas an

10 Uhr. Bertschi muss los. Aussendienst. In einer Tasche trägt sie mehrere Paar Schuhe mit. Baustiefel weg - Ballerinas an. Zuerst besucht sie einen ihrer 300 Geschäftspartner, die Zehnder Group. Die Firma fertigt Radiatoren; die Produktionsabfälle werden von Bertschi abgeholt und recycliert. Man bespricht ein neues Entsorgungskonzept, verhandelt über zwei, drei Anpassungen, Handschlag, und weiter gehts. Wieder der Griff in die Tasche, Schuh- und diesmal auch Kleiderwechsel, das kleine Schwarze wird montiert. In der Neuapostolischen Kirche Reinach dient die Abfallexpertin mehrmals pro Monat bei Beerdigungen als Organistin. Von mottenden Müllbergen zu Bachs Motetten.

Der Glaube bedeute ihr viel, sagt Bertschi, sie wende den christlichen Grundgedanken auch im Alltag an: «Ich will ethischmoralisch fair geschäften.» Denn Sünder gibt es im Müll-Geschäft weiss Gott genug. Zurück im Recycling-Paradies deutet Bertschi in Richtung eines Herrn, der den Containern entlangschlendert, pfeift und sich übertrieben locker gibt. «Gleich tut er etwas Verbotenes!» Der Mann leert seine Tasche voller PET-Flaschen in die Mulde - und dazu noch andere Verpackungen aus Plastik. Donnerwetterts jetzt? «Grüezi! Sie, da ist Ihnen etwas hineingefallen», sagt Bertschi und lächelt, der Mann läuft knallrot an. Wer mehrmals erwischt wird, erhält Hausverbot.

Einblick in den intimsten Alltag der Leute

Recycling sei wichtig, so Bertschi, belehren wolle sie ihre Kunden aber nicht: «Solange grosse Nationen Umweltsünden begehen, retten wir die Welt nicht, wenn wir jedes Alupapierli vom Schoggistängeli sammeln.»

In kaum einem anderen Geschäft komme man den Menschen so nahe wie beim Abfall. «Wir haben Einblick in den Güsel der Leute und somit in ihren intimsten Alltag.» Da ist der einsame Rentner, der jeden Tag eine (1!) Zeitung entsorgt, nur um ein wenig unter die Leute zu kommen. Oder der Alkoholiker, der regelmässig sein Leergut vorbeibringt, damit daheim keiner etwas merkt.

Innovativ und flexibel

Im Müll werden Eheringe gefunden, Hochzeitsalben, zerfetzte Liebesbriefe. Bertschi kann aber auch Menschen glücklich machen, wenn sie irrtümlich mitentsorgte Hausschlüssel oder Handys aus dem Müll fischt.

Frau Bertschi, wovor ekeln Sie sich? «Wenn der Güsel lebt.»
Ihr wertvollster Fund? «Ein 20-Gramm-Goldbarren.»

Vor ihrem Paradies in Hunzenschwil hat sie einen mit Blumen dekorierten Bertschi-Container aufstellen wollen. Blöd nur, steht da schon ein Hydrant. «Will man im Güsel-Business Erfolg haben, muss man innovativ sein und flexibel», sagt die Jungunternehmerin. Sehr flexibel. Karin Bertschi hat den Container kurzerhand aufgesägt und um den Hydranten herum gebaut.

Von Marcel Huwyler am 27. Mai 2016 - 15:48 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 15:09 Uhr