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  4. Die Rolling Stones spielen im Berner Wankdorf Stadion die «Sixty»-Tournee

Spektakel im Wankdorf

Die Stones rollen an

In ein paar Tagen spielen die Rolling Stones in Bern. Die SI war beim Auftakt ihrer «Sixty»-Tournee in ­Madrid dabei. Und sprach mit Patrick Wood­roffe, dem Kreativdirektor ihrer Bühnen­shows. Ein Blick hinter die gigantische Kulisse.

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Auftakt Europatourne "Sixty" Rolling Stones in Madrid - Patrick Woodroffe, Lichtdesigner der Show - Wanda Metropolitan Stadion - 1. Juni 2022 - Copyright Olivia Pulver

Vor dem Konzert im Heimstadion von Atlético Madrid: Light-Designer Patrick Woodroffe neben der Bühne.

Olivia Pulver

Beherzt greift Keith Richards mit seinen knorrigen Fingern in die Saiten seiner Fender-Gitarre. Sein erstes Riff, ein Hüftschwung von Mick Jagger – und die 53 000 Fans jubeln frenetisch, das Stadion Wanda Metropolitano bebt! Als Opener hauen die Rolling Stones «Street Fighting Man» raus, einen ihrer Klassiker von 1968. Doch einer bleibt stoisch gelassen: Patrick Woodroffe, Kreativdirektor und Lichtdesigner aller Stones-Bühnenshows der letzten 40 Jahre, ein enger Freund von Mick & Co. Vor ein paar Stunden hat er mit ihnen noch letzte Details der Show besprochen. Nun steht der 68-jährige Brite in der Lighting Control Area, umgeben von tanzendem Publikum.

Sein zwölfköpfiges Team steuert Hunderte Scheinwerfer, 400 Quadratmeter Videoscreens – und setzt so die Stars auf der Bühne attraktiv ins Licht. Woodroffe studiert jede Musiknummer genau, macht Notizen für Verbesserungen für die nächste Show. Er beobachtet auch die Gesichter der Fans, darunter viele junge Menschen: Er will wissen, wie diese auf die optischen Effekte reagieren. Seine Augen leuchten, als auf dem 32 Meter langen Laufsteg ein rot glitzernder Konfettiregen auf Ronnie Wood herabrieselt: Der Gitarrist feiert heute seinen 75. Geburtstag. Mick stimmt «Happy Birthday» an, alle singen mit. Magie in Madrid!

Mick Jagger, displayed on screen and centre, Ronnie Wood, left, and Keith Richards, right, of the band the Rolling Stones, perform during their Sixty Stones Europe 2022 tour at the Wanda Metropolitano stadium in Madrid, Spain, Wednesday, June 1, 2022. (AP Photo/Manu Fernandez) Ronnie Wood,Mick Jagger,Keith Richards

On fire! Und im besten Licht: Mick Jagger in Madrid. Neben ihm seine Bandkumpel Ron Wood (l.) und Keith Richards.

keystone-sda.ch

Ein paar Stunden zuvor: Patrick Woodroffe inspiziert die Bühne. 55 Meter breit ist sie, 17 Meter hoch. 40 Sattelschlepper haben das Material herangekarrt, die Band samt Entourage ist mit einer gemieteten Boeing 767 angereist. Der Tross umfasst 230 Spezialisten: für Bühnenbau, Sound, Licht, Video, Frisuren, Make-up, Kleider, Verpflegung, Gesundheit. Vor jeder Show macht Jagger mit einem Personal Coach ein Workout, Keith und Ronnie jammen. Neben einem kleinen Gym gibt es backstage auch einen Yoga-Raum. «Stones-Tourneen sind eine gigantische Herausforderung, eine gut geölte Maschinerie. Manchmal ganz schön stressig! Doch es ist ein riesiges Privileg, für die Stones zu arbeiten. Das hält mich jung», sagt Woodroffe.

«Sixty» heisst die Europa-Tour der Stones, die hier im Heimstadion des Fussballklubs Atlético Madrid beginnt und bis Ende Juli 13 weitere Konzerte umfasst – seit 60 Jahren ist die Band on the road. Es ist die erste Tour ohne Charlie Watts: Der Schlagzeuger starb 2021 im Alter von 80 Jahren. «Charlie war der coolste Guy auf Erden, der Fels in der Band. Wir alle vermissen ihn sehr. Doch Steve Jordan vertritt ihn ebenbürtig», sagt Woodroffe – keiner arbeitet schon so lange im Stones-Team wie er.

Die Liste der Künstlerinnen und Künstler, für die Woodroffe gearbei-tet hat, ist lang: Abba, AC/DC, Die drei Tenöre, Michael Jackson, Lady Gaga gehören dazu. Letztere, verriet er einmal, sei «äusserst eigenwillig und von sich überzeugt. Es war wirklich schwierig mit ihr.» Auch die Gärten von Prinz Charles in Highgrove House und die Bregenzer Festspiele hat der Lichtdesigner schon illuminiert. Seinen Job macht er seit 1977. Damals schmiss Rod Stewart – einen Tag vor Tourstart – seinen Vorgänger raus, schaute in die Runde und zeigte auf Woodroffe: «Du bist der Neue!»

«Die Stones ­haben wochenlang täglich geprobt. Sie sind heiss darauf, endlich wieder live zu spielen»

Patrick Woodroffe
MADRID, SPAIN - JUNE 01: Rolling Stones late drummer Charlie Watts is remembered in a video tribute at the beginning of Rolling Stones' "Sixty Stones Europe 2022" Tour - Opening Night at Wanda Metropolitano Stadium on June 01, 2022 in Madrid, Spain. (Photo by Dave J Hogan/Dave J Hogan/Getty Images)

Hommage an den verstorbenen Bandkollegen Charlie Watts. Zu Beginn des Konzerts fliessen in Madrid die Tränen.

Dave J Hogan/Getty Images

Einen Schreckmoment erlebte Woodroffe nach der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele 2012 in London: Ein Mitarbeiter sagte ihm, eine halbe Stunde vor Showbeginn hätten nur drei der fünf olympischen Ringe geleuch-tet. Auch in der Schweiz hat der Weitgereiste gearbeitet, etwa für den Wine Tower im Zürcher Hotel Radisson Blu. Er erinnert sich: «In einem Genfer Hotel hatte ich das teuerste Continental Breakfast ever: 42 Franken für einen Kaffee, Orangensaft und ein Croissant. But the view was pretty great!»

«Ich male mit Licht. Die Bühne ist meine Leinwand, die Lichter sind mein elektronischer Malkasten», beschreibt der Brite seine Arbeit. «Mein Ziel ist es, mit der Lightshow die Gefühle der Musiker rüberzubringen, deren Performance zu verstärken.» Das Publikum sei verwöhnter als vor 40 Jahren. Bei vielen Menschen reiche die Aufmerksamkeit nur noch für ein 30-sekündiges Handyvideo. «Als Light-Designer muss ich mir etwas einfallen lassen. Doch ich darf nicht den Fehler machen, immer noch mehr Videos und Knalleffekte einzubauen. Sonst kommt sich der Zuschauer vor wie in einer billigen TV-Show.» Es sind die kleinen Momente, die zählen, sagt er. Wenn sich Jagger mit «Pleased to meet you» vorstellt, wenn sich Richards wie ein kleiner Bub am Gitarrenspielen erfreut.

Auftakt Europatourne "Sixty" Rolling Stones in Madrid - Patrick Woodroffe, Lichtdesigner der Show - Wanda Metropolitan Stadion - 1. Juni 2022 - Copyright Olivia Pulver

«Den Bühnenaufbau haben die Arbeiter in einem Hangar in England geübt. Er dauert zwölf Stunden», sagt Patrick Woodroffe.

Olivia Pulver

Monatelang haben Woodroffe und sein Team die «Sixty»-Show einstudiert. «Die Band bringt sich stark ein, die Jungs sind sehr professionell.» Aber trotz jahrzehntelanger Routine können es die Stones nicht einfach rollen lassen. Sechs Wochen lang haben sie in einem kleinen Studio in Amsterdam für die Tour geprobt, fünf Tage pro Woche. Wie immer übten sie an die 100 Songs ein – und wählten dann 20, die sie live spielen werden.

Zweieinviertel Stunden rocken die Stones das Madrider Stadion. Sie sind in Topform, haben riesig Spass. Vor allem Jagger ist noch fit wie ein Jungspund, Richards hat vor einer Weile mit dem Rauchen aufgehört. Als letzte Zugabe gibts «Satisfaction». Nochmals minutenlange Ovationen. Die Stones beweisen einmal mehr: Sie sind noch immer die beste Rockband der Welt. «Auf der Terrasse unseres Hotels haben wir Ronnies Geburtstag gefeiert», erzählt Woodroffe tags darauf. Ein paar Freunde und Familienmitglieder der Band waren da, «wegen Covid bewegen wir uns in einer engen Bubble». Mick sei erleichtert gewesen, «dass die Show so gut lief und das Pu-blikum so begeistert war. Und er war stolz auf die grossartige Performance der Band.» Am 17. Juni rollen die Stones im Berner Wankdorf-Stadion ein – es hat noch Tickets. Es wird das 16. Mal sein, dass Mick & Co. in der Schweiz auftreten – auch heuer organisiert vom Zürcher Konzertveranstalter André Béchir, 73. Wirds das letzte Mal sein, dass die Stones die Schweiz mit «Jumpin’ Jack Flash» und «Miss You» beehren? Woodroffe schmunzelt. «Die Stones freuen sich auf die Schweiz. Doch an Abschied denkt keiner von ihnen. Weil sie einfach spielen wollen.» Keith Richards hat kürzlich in einem Interview gesagt: «Das Leben ist zu interessant zum Sterben.»

Thomas Kutschera
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Von Thomas Kutschera am 13. Juni 2022 - 06:09 Uhr