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Neue ­Ballettdirektorin des Opernhauses Zürich

Im Takt von Cathy Marston

Mutig, modern und menschlich: Die neue ­Ballettdirektorin des Opernhauses Zürich ­bewegt sich mit ihrem Ensemble auf Augenhöhe. Warum sie immer einen Teebeutel im Hosensack hat, was sie ­inspiriert und wie sie Kritik meistert.

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Cathy Marston, Balletdirektorin und Chefchoreografin Ballett Zürich

«Ich gebe nicht nur vor, sondern lade dazu ein mitzubestimmen.» Cathy Marston (46) im Ballettsaal  des Opernhauses Zürich.

Kurt Reichenbach

Mit angezogenen Beinen sitzt Cathy Marston am Rand des Übungssaals, und kurz scheint es, als husche ein Hauch von Rührung über ihr Gesicht. Es ist zehn Uhr morgens, und die Tänzerinnen und Tänzer des Balletts Zürich wärmen sich an der Stange auf. Plié, Tendu, Jeté – und wieder von vorne.

Manche tragen Dutt, andere raspelkurzes Haar, manche sind muskelbeladen, andere drahtig. Aber alle haben sie diesen Ausdruck, diese Leichtigkeit, die ebenso schwer zu erklären wie zu bekommen ist. Nach dem Training sagt Cathy Marston: «Genau das wollte ich: Ganz unterschiedliche Menschen in einem Raum, nun müssen wir nur noch ein Team werden.»

Cathy Marston, Balletdirektorin und Chefchoreografin Ballett Zürich

«Was denkt ihr, wie würde sich ein 13-jähriges Mädchen bewegen? – So? Oder eher so?» Cathy Marston erarbeitet den Part der jungen Cecilia aus dem Stück «Atonement» zusammen mit den Tänzerinnen.

Kurt Reichenbach

Teamgeist und Kritik

Seit diesem August arbeitet die 46-Jährige als Ballettdirektorin und Chefchoreografin am Opernhaus Zürich, als Nachfolgerin von Christian Spuck. Für die gebürtige Britin mit Schweizer Pass (sie trägt immer einen Schwarzteebeutel im Hosensack, «für alle Fälle») fühlt sich dieser Schritt wie eine Rückkehr an. In Zürich hatte sie mit 18 ihren ersten Job als Ballerina. «Hier öffnete sich mein Geist», sagt sie, die damals in einem kleinen Studio am Römerhof hauste. «Ich realisierte, dass es nicht nur eine Art zu tanzen gibt.»

Cathy Marston wächst in Cambridge auf. Ihre Eltern, beide Englischlehrer, öffnen ihr früh den Zugang zu Literatur und Theater. Sie nimmt Gesangsunterricht, besucht Reit-, Ballett-, Schwimm- und Klavierstunden. Mit 16 besteht sie die Aufnahmeprüfung an der Royal Ballet School und setzt ganz auf den Tanz. Gleichzeitig weiss sie: «Ich will Choreografin werden.» Wenn sie andere beim Tanzen beobachtet, beginnt es in ihrem Kopf zu rattern, und sie überlegt, wie man diese Bewegungen auch noch machen könnte. Mit 16 choreografiert Marston ihr erstes Stück, mit 31 wird sie Tanzchefin des Bern Ballett. «Ich hatte zwar keine Führungserfahrung, aber einen guten Instinkt dafür.»

Über Kritik nachdenken

Dass Teamgeist allein nicht zum Erfolg führt, erfährt die junge Cathy Marston auf die harte Tour. Ihr erstes Bern-Stück, das russische Volksmärchen «Der Feuervogel», stösst in der Presse auf Kritik. Bemängelt wird etwa, dass die prunkvollen Kostüme die tänzerischen Bewegungen verstecken würden. «Ich musste mich entscheiden: Ignoriere ich die Kritik, oder denke ich darüber nach.» Sie macht Zweiteres. In den darauffolgenden Stücken verzichtete sie auf Pomp, aber in einem bleibt sie sich treu: Sie erzählt mit ihrem Tanz gern Geschichten, menschliche Dramen, die berühren und etwas anklingen lassen, was wir selbst in uns tragen.

Cathy Marston, Balletdirektorin und Chefchoreografin Ballett Zürich

Mit 18 Jahren hat sie zum ersten Mal im Opernhaus Zürich getanzt. Als Chefin eines 50-köpfigen Ensembles kehrt sie zurück.

Kurt Reichenbach

Sichere Atmosphäre

An diesem Vormittag probt sie mit zwei Solistinnen einen Part aus dem Stück «Atonement», das nächsten Frühling uraufgeführt wird und auf einem Roman von Ian McEwan basiert. Die Choreografie ist erst am Entstehen, mal tanzt Marston ein paar Schritte vor, mal machen die Tänzerinnen Vorschläge, sehr oft wird gelacht. «Ich coache lieber, als zu befehlen», sagt Marston. Wer am Ende den Solopart übernimmt, muss sie erst noch entscheiden. «Nicht meine Lieblingsaufgabe – mit einer Entscheidung zerstört man immer auch Hoffnungen.» Darum sei ihr ein respektvoller Umgang miteinander sehr wichtig.

Um diese Worte zu bekräftigen, erzählt sie von ihrem ersten Tag als Direktorin: «Ich sprach mit dem Ensemble nicht über Probezeiten oder Ballettstücke. Wir beschäftigten uns ausschliesslich damit, wer wir sind und wie wir miteinander umgehen wollen.» In den vergangenen Jahren haben zahlreiche Missbrauchsvorwürfe an Tanzschulen und Bühnen das Ballett als Kunstform in Erklärungsnot gebracht. Cathy Marston möchte nicht auf einzelne Fälle eingehen. Aber sie betont: «Als Direktorin ist es meine Aufgabe, eine sichere Atmosphäre zu schaffen und dafür zu sorgen, dass unser Code of Conduct eingehalten wird.»

Cathy Marston, Balletdirektorin und Chefchoreografin Ballett Zürich

Die Unterrichtssprache ist Englisch – was der Britin zugutekommt. Zwar kann sie auch Deutsch. «Aber nicht so differenziert, wie ich das gern möchte.»

Kurt Reichenbach

Die Stelle am Opernhaus ist eine Rückkehr für Cathy Marston. Seit Kurzem hat sie in Zürich wieder eine Wohnung – ihr Familienwohnort bleibt jedoch Bern, dort lebt sie mit ihrem Mann Brett und den zwei Kindern, 8 und 11. «Die Pendlerei stört mich nicht, ich bin mich die U-Bahn von London gewohnt», sagt sie. Mit der richtigen Organisation – so scheints, wenn man ihr zuhört – ist alles zu schaffen. Vielleicht ist Cathy Marston als (Ex-)Ballerina aber auch einfach eine Meisterin darin, das Anstrengende leicht aussehen zu lassen. Gewiss ist: Leidenschaft hilft. «In keinem Moment meines Lebens hat sich das Ballett für mich wie Arbeit angefühlt.»

Von Michelle Schwarzenbach am 24. September 2023 - 12:00 Uhr