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Interview mit dem Direktor von Schweiz Tourismus

«Zugfahren ist wie Therapie»

Schweiz-Tourismus-Chef Martin Nydegger will die Branche nachhaltig machen und arbeitet dafür mit den SBB zusammen. Im Zug erzählt er, warum weltoffene Schweizer gute Gastgeber sind und warum er sich selten ärgert.

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Martin Nydegger, Schweiz Tourismus

Martin Nydegger, Schweiz Tourismus

Kurt Reichenbach

Martin Nydegger, warum braucht die Tourismusbranche ein eigenes Nachhaltigkeitslabel?
Swisstainable ist kein Label, es ist eine Orientierungshilfe. Es gibt bereits viele Zertifizierungen für Hotels, für Bergbahnen, für Restaurants, insgesamt etwa 90. Für Gäste, ausländische und einheimische, ist es schwierig, den Überblick zu behalten. Wir wollen mit Swisstainable Ordnung schaffen und für mehr Aufmerksamkeit sorgen.

Wofür genau steht Swisstainable?
Es ist die ernst gemeinte Initiative, dass wir uns als Reiseland jeden Tag für Nachhaltigkeit einsetzen. Mitmachen können primär Betriebe, die bereits ein Nachhaltigkeitslabel haben. Die anderen wollen wir motivieren, sich des Themas anzunehmen. Am Ende profitieren alle: Ausländische Gäste schätzen das Engagement und bleiben länger. Schweizer Gäste entdecken ihr Land neu, idealerweise mit dem Zug.

Die Schweiz ist kulturell vielfältig. Ist das bei der Nachhaltigkeit im Tourismus ein Problem oder eine Chance?
Es gibt keinen Röstigraben. Wir haben ungefähr 18 Prozent französischsprachige Partner bei Schweiz Tourismus. Und ebenso viele Teilnehmer aus der Region bei Swisstainable. Wir bemühen uns, überall gut abgedeckt zu sein.

Was können Romands bei der Nachhaltigkeit von Deutschschweizern lernen und umgekehrt?
Unsere Partner in der Romandie gehen die Umsetzung meist etwas anders an. Wir beobachten, dass die Produits terroirs, also die Produkte aus regionaler Produktion, für sie eine grössere Bedeutung haben, öfter zertifiziert werden. In der Deutschschweiz zählen in der Nachhaltigkeit eher die Hard Facts wie Energie oder Waste-Management. Nicht wirklich überraschend, oder (lacht)?

Martin Nydegger, Schweiz Tourismus

Schweiz-Tourismus-Chef Martin Nydegger im Panoramazug, mit dem kürzlich auch Roger Federer und Trevor Noah reisten.

Kurt Reichenbach

Sie reisen im Zug durch die ganze Schweiz, um bei Partnern für Swisstainable und die Kampagne mit den SBB zu werben. Was sind die schönsten Komplimente, die Sie unterwegs bekommen?
Das Kompliment, das sich jeder Vorgesetzte in der Dienstleistungsbranche wünscht: dass sich die Mitarbeiter engagieren und dass dies bei den Gästen gut ankommt. Wir sind bei Schweiz Tourismus nicht einfach ein Betrieb mit 280 Mitarbeitenden. Wir wollen die ganze Branche voranbringen. Wir müssen leben, was wir erzählen, nach dem Motto: Doing the right thing, when nobody’s watching.

Wie oft fahren Sie selbst Zug?
Beruflich fast ausschliesslich. Gerade war ich im Berner Oberland, im Wallis und jetzt in der Romandie. Wenn es gute Gründe gibt, nehme ich auch das Auto. Ich finde es wichtig, dass wir nicht dogmatisch sind. Aber beim Autofahren musst du dich konzentrieren, kannst allenfalls mal einen Anruf machen oder einen Podcast hören. Im Zug kannst du nicht nur arbeiten, sondern auch mal die Gedanken ziehen lassen. Es ist fast eine Art Therapie.

Was bremst die Branche bei der Umsetzung von Nachhaltigkeit?
Ich merke, dass viele Partner einen hohen Innovationsdrang haben. Die Bergbahnen, die Restaurants, alle möchten erneuern. Aber die Regulierungsdichte, die wir in der Schweiz haben, macht es ihnen oft schwer. Sicher, Regeln braucht es, um nachhaltige Qualität von Schnellschüssen zu unterscheiden. Aber manchmal übertreiben wirs.

Während Corona haben Schweizerinnen und Schweizer ihr Land entdeckt. Nun reisen sie wieder ins Ausland. Ein Problem?
Nein. Die Welt ist wieder offen, und das ist gut. Denn es bedeutet, dass wieder Gäste in die Schweiz kommen. Ausserdem: Wenn Schweizer die Welt bereisen, werden sie offener, interessierter, toleranter. Das hilft uns wiederum im eigenen Land. Letztlich ist jeder Schweizer und jede Schweizerin auch Gastgeber.

Die hohen Billettpreise helfen nicht unbedingt, Schweizerinnen und Schweizer zu nachhaltigem Zugfahren in ihrem Land zu bewegen. Was tun Sie dagegen?
Nichts. Die Schweiz ist kein Billigland. Wir haben Sozialleistungen, Mindestlöhne. Schweizer Qualität gibts nicht zum Nulltarif. Auch das Tourismusland Schweiz hat seinen Preis. Wenn ich sehe, was wir etwa in diesem Zug kriegen – das ist jeden Franken wert.

Reisen Sie entspannt, oder fallen Ihnen unterwegs Fehler auf, die auch Touristen stören könnten?
Als Touristiker bist du nie neutral unterwegs. Du bist sieben Tage die Woche im Einsatz, beobachtest. Aber das ist das Schöne am Job. Du siehst immer etwas, das du noch verbessern könntest. Gleichzeitig pflegen wir bei Schweiz Tourismus bewusst eine Fehlerkultur. Sonst kann nichts Neues entstehen.

Vor drei Jahren haben Sie mit Roger Federer eine viel beachtete Kampagne lanciert. Die Starbesetzung soll die Schweiz bei ausländischen Gästen beliebt machen. Geht der Plan auf?
Ja. Aber wir setzen fast im Wochenrhythmus neue Akzente. Es gibt keine Kampagne, die das ganze Jahr läuft. Die Grand Train Tour mit Roger Federer und Trevor Noah ist eine davon, primär für die Panoramazüge.

Aber wir sitzen im selben Zug wie Roger Federer und der amerikanische Starkomiker Trevor Noah im erwähnten Spot. Das kann kein Zufall sein.
Mit Roger arbeiten wir international, das ist rechtlich so vereinbart. Aber klar, die Spots mit ihm sieht man auch in der Schweiz. Für die Swisstainable-Kampagne mit den SBB haben wir sogar eine eigene Lokomotive. Michelle Hunziker hat sie kürzlich eingeweiht.

Unterschiedliche Botschafter für unterschiedliche Gäste?
Ja. Wir laden Prominente mit grosser digitaler Reichweite in die Schweiz ein und bitten sie, schöne Geschichten zu posten. Oft sind diese Botschafter bei uns wenig bekannt, in ihrem Herkunftsland dagegen umso mehr. Michelle, unsere Botschafterin für Italien, ist dort ein Superstar. Natürlich kennt man sie auch hier.

Martin Nydegger, Schweiz Tourismus

Nydegger: «Natürlich nutzen wir Klischees. Für das Matterhorn kommen Gäste von überall. Unsere Aufgabe: sie danach möglichst lange in der Schweiz zu behalten.»

Kurt Reichenbach

Matterhorn, Jungfrau, Schokolade, Seen. Warum setzen Sie bei der Werbung für die Schweiz immer noch so stark auf Klischees?
Natürlich nutzen wir die Klischees. Man kennt das Matterhorn in Indien, in den USA, das ist super. Wichtig ist aber, dass die Touristen nicht nur für die Leuchttürme herkommen. Unsere Aufgabe ist es sicherzustellen, dass sie nicht gleich wieder abreisen, sobald sie diese Magnete besucht haben. Wir wollen die Aufenthaltsdauer verlängern. Das ist unser höchstes strategisches Ziel. Davon profitieren am Ende alle.

Wie sprechen Sie junge Gäste an, denen für Reisen in der Schweiz das Geld fehlt?
Unsere Gäste aus Asien sind extrem jung. Früher musste man lange arbeiten, bis man eine Karriere gemacht und Geld verdient hatte. Heute gehören Alter und Wohlstand nicht mehr automatisch zusammen. Die Digitalisierung, die Tech-Industrie hat ganz viele junge Gäste reich gemacht, und die wollen wir gewinnen. Aber es stimmt schon: Wir haben hier vor allem die Naturschönheit, wir sind kein Shopping-Paradies, wir sind nicht unglaublich hip, und wir haben keine sonnigen Strände. Um die Natur wertzuschätzen, muss man etwas Lebenserfahrung angehäuft haben. Das sehe ich bei meinem 16-jährigen Sohn. Er findet die Natur noch nicht so cool. Ich sage dann: Wir sprechen in 10 oder 15 Jahren nochmals.

Auch der Dienstleistungssektor kämpft mit Fachkräftemangel. Wie sorgen Sie bei Mitarbeitenden für Nachhaltigkeit?
Wir haben das Glück, in einer wunderschönen Landschaft zu leben, die wir bewahren und im Tourismus nutzen können. In der gleichen Art müssen wir auch Sorge tragen zu den Mitarbeitenden. Wir müssen sie motivieren, in der Branche zu arbeiten, dafür sorgen, dass sie Freude an der Arbeit haben. Mit Schweiz Tourismus sind wir nicht an der Front. Wir sehen unsere Aufgabe darin, aus der Schweiz ein Ganzjahres-Tourismusland zu machen und Ganzjahresstellen zu schaffen. Fachkräftemangel erleben wir vor allem in Saisonbetrieben. Wir müssen antizyklisch werden, nicht Juli und August bewerben, sondern Frühling und Herbst.

Wie viel Berufsstolz gibt es in der Tourismusbranche noch?
Uns ist es noch nicht gelungen, die Attraktivität dieser Stellen sichtbar zu machen. Zu Unrecht! Denn im Tourismus geschieht das Leben. In den Restaurants finden erste Dates statt, in Hotels treffen sich Familien, Freunde, Gesellschaften zu Hochzeiten, Geburtstagen, Jubiläen – so viele intensive Momente passieren auf der Bühne der Tourismusbranche.

Und welche Rolle spielen Touristiker dabei?
Unsere Gäste sparen zum Teil Monate und Jahre für Ferien in der Schweiz, sie geben ihr Glück ein wenig in unsere Hände. Ausserdem: Der Begriff Tellerwäscherkarriere kommt aus unserer Branche, moderat beginnen und dann eine fulminante Karriere machen. Es muss uns gelingen, diese Lebensbühne und diese Möglichkeiten aufzuzeigen. Wir dürfen noch stolzer auf unseren Beitrag in der Gesellschaft werden.

Nachhaltigkeit im Tourismus fördern
Mit der Initiative Swisstainable will Schweiz Tourismus das Reiseland Schweiz nachhaltiger machen. Unter anderem mit der Kampagne «unterwegs» mit den SBB. Ausserdem gehts bei «Summer in the City» ums Element Wasser. Im Herbst und Winter folgen weitere Kampagnen. Das Programm wurde mit der Hochschule Luzern entwickelt und ist auf die Tourismusstrategie des Bundes und mit internationalen Nachhaltigkeitsinitiativen abgestimmt.
Silvia Binggeli
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Von Silvia Binggeli am 24. Juni 2023 - 18:00 Uhr