Das Mädchen, das neben Nino Schurter steht, ist zuerst ein bisschen schüchtern. Doch als es ein wenig Vertrauen gefasst hat, umklammert es Schurters Zeigfinger ganz fest. Dieser nimmt sein Handy und schaltet per Videoanruf seine Tochter Lisa (7) in der Schweiz zu. «Das sind natürlich zwei Welten, die aufeinanderprallen», sagt Schurter später. «Die Kommunikation ist schwierig. Ich finde es aber wichtig, meiner Tochter mitzugeben, dass nicht alles überall auf der Welt so ist wie bei uns.»
Schurter möchte seine Reichweite nutzen
Nino Schurter, zehnfacher Weltmeister im Mountainbike, achtfacher Gesamtweltcupsieger, Olympiasieger. Als bekannter Sportler möchte er seine Reichweite nutzen, «um etwas Kleines auf der Welt bewirken zu können».Wichtig ist dem Bündner: zu sehen, wofür er als Botschafter hinsteht, die Menschen kennenzulernen, die vor Ort helfen – und Hilfe empfangen. «Das erfüllt mich schon ziemlich.» Deshalb ist er im vergangenen Herbst zum dritten Mal als Botschafter bei einer Reise mit der Schweizer Entwicklungsorganisation SolidarMed dabei, diesmal im Königreich Lesotho, das komplett von Südafrika umschlossen ist. Dort gehts mit einem Geländewagen, der zu einer mobilen Praxis umgebaut wurde, in entlegene Orte in den Maloti-Bergen, um Medikamente und Impfungen zu bringen, Kranke zu behandeln oder Präventionsarbeit zu leisten – HIV-Infektionen und Teenagerschwangerschaften sind hier ein grosses Problem.
«Bei uns rufst du einfach die Heli-Rettung an, wenn du in den Bergen Hilfe brauchst»
Nino Schurter
Selbst zu den Standorten der mobilen Klinik gehen die Menschen in Lesotho zu Fuss, und dies teilweise mehr als sechs Stunden lang – schwerkrank oder hochschwanger. «Und bei uns rufst du einfach die Heli-Rettung an, wenn du in den Bergen ein Problem hast», sagt Schurter und erzählt von einer Grossmutter, die mit den Enkeln zum Impfen kam. Die Eltern der Kinder sind auf Arbeitssuche in Südafrika – wie es ihnen geht oder wann sie zurückkommen, wissen sie nicht, weil sie kein Handy besitzen, um den Kontakt aufrechtzuerhalten. «Das sind Geschichten, die einem für immer bleiben.»
Ziel ist, dass es noch mehr mobile Praxen gibt
Schurter, der schon seit vielen Jahren mehrere Wochen pro Jahr im Trainingslager in Afrika verbringt, geht offen auf die Menschen zu. Möchte wissen, was sie bewegt. Ein schlechtes Gewissen, wenn er den Gegensatz zu seinem sehr privilegierten Leben sieht, hat er aber nicht. «Niemand kann etwas dafür, wo er geboren ist. Wenn ich die Möglichkeit habe zu helfen, so mache ich dies gerne aus Überzeugung.» Ziel ist, dass es in Zukunft noch mehr von den mobilen Praxen gibt.
Immer wieder wird ihm auf solchen Reisen bewusst, dass nicht alles so selbstverständlich ist, wie wir es gewohnt sind. Das ist für ihn allerdings nichts Neues – seine Frau Nina leidet seit Jahren an Multipler Sklerose und ist in ihrem Alltag eingeschränkt. Therapien haben bisher zwar nicht die erhoffte Erleichterung gebracht, doch das Ehepaar hat vom Naturell her eine positive Lebenseinstellung.
Tochter Lisa ist es sich gewohnt, dass ihr Mami nicht alles mit ihr machen kann. Und nach mehreren Aufenthalten in Südafrika – im vergangenen Winter war sie dort sogar ein paar Monate lang in einem Kindergarten – hat sie auch eine neue Welt und komplett andere Kultur kennengelernt. «Vielleicht ist sie ein wenig sensibilisierter als andere Kinder in ihrem Alter, da sie schon vieles gesehen hat. Aber hey, sie ist auch erst sieben!»
Jugendliche schulen Jugendliche
Für Schurter ist es hart zu sehen, wie es anderen Kindern in Entwicklungsländern geht. In Lesotho ist er bei einem Treffen der «Peer Educators» dabei. Jedes Dorf im Distrikt Mokhotlong wählt Jugendliche, die in Prävention von Geschlechtskrankheiten und Schwangerschaften geschult werden, weil man davon ausgeht, dass die anderen Teenager eher auf Gleichaltrige hören. Beim Treffen erzählen die «Peer Educators» von ihren Erfolgserlebnissen in den Dörfern, aber auch von Suizidgedanken von jungen Menschen, gerade wenn sie ungewollt schwanger werden.