1. Home
  2. People
  3. Swiss Stars
  4. Olympiasiegerin Nina Christen ist neu Helipilotin

Neues Hobby Helikopterfliegen

Nina Christen hebt wieder ab

Nach dem Olympiasieg stürzte die Schützin Nina Christen in eine Depression. Jetzt geht es wieder aufwärts. Im Sport und in ihrer neuen Passion: dem Helikopterfliegen.

Artikel teilen

Nina Christen, Olympiasigerin, Schützin

Mit dem Helikopter Guimbal Cabri G2 von Swiss Helicopter übt Olympiasiegerin Nina Christen in Bern-Belp das Fliegen.

Kurt Reichenbach

Flughafen Bern-Belp, 10 Uhr morgens. Schiess-Olympiasiegerin Nina Christen (29) betritt das Bürogebäude von Swiss Helicopter. «Hey, wie häsch es?», begrüsst Fluglehrer Markus Epp (40) seine Schülerin. «Fehlt hier ein Eintrag, oder bist du wirklich seit Oktober nicht mehr geflogen?», fragt Epp, als er ein Blatt aus seinen Unterlagen studiert. Christen lacht laut. Geflogen ist sie in den letzten Monaten durch die ganze Welt – unter anderem an die WM nach Kairo, an den Weltcup in Indonesien, in die USA und nach Peru – aber eben nicht im Helikopter. «Ich habe wohl einiges vergessen, dafür freue ich mich umso mehr», sagt Christen, nimmt ihr iPad hervor und studiert als Erstes das Wetter.

Velotouren zum Flughafen als Kind

Schon als Kind war die Nidwaldnerin vom Fliegen fasziniert. In Wolfenschiessen aufgewachsen, unternimmt Nina mit ihren Eltern und ihrem Bruder oft Velotouren zum Flughafen im nahe gelegenen Buochs und beobachtet dort die Flugzeuge und Helikopter. «Ich fand es cool, mein Bruder war aber völlig fanatisch. Er erkannte die Flugmaschinen sogar blind an ihren Geräuschen!» Er ist es denn auch, der als Polymechaniker später ab und zu mit und an Flugzeugen arbeitet. Nina macht derweil ihr grösstes Hobby, das Schiessen, zum Beruf. Ihr Traum vom Fliegen schlummert, bis sie ihn während der Coronapandemie zum Leben erweckt. «Ich hatte plötzlich mehr Zeit.» Ende 2020 macht sie ihren ersten Schnupperflug, im Sommer 2022 nimmt sie die erste Flugstunde. Mit dem Ziel, Helikopterpilotin zu werden. Und dem Traum, einmal im Himalajagebiet zu fliegen.

Nina Christen, Olympiasigerin, Schützin

Vor und nach dem Flug führen Christen und Epp mit den Instrumenten die notwendigen Checks durch.

Kurt Reichenbach

Diese neuen Ziele, aber auch Gedankenanstösse und Bewegungsabläufe rund ums Fliegen haben Christen in einer schwierigen Phase ihres Lebens geholfen – und tun es noch immer. An Olympia in Tokio im Sommer 2021 gewinnt die Schützin sensationell Gold und Bronze. Danach fällt sie wegen Stress, grossem Rummel und gleichzeitiger Perspektivlosigkeit in eine Depression. Schlafstörungen, Motivationsmangel sowie Nacken- und Kopfschmerzen prägen ihren Alltag. So legt sie eine Trainings- und Wettkampfpause ein. Um sich zu erholen. Und herauszufinden, was sie erfüllt. Zudem macht Christen ihre Probleme öffentlich. «Darüber zu reden, war für mich wie eine Erlösung. Es war der erste Schritt zur Besserung.»

«Heute reagiere ich früher»

Ein halbes Jahr später nimmt sie das Training wieder auf. Einfach sei das nicht gewesen. «Nach jedem schlechten Tag hinterfragte ich alles. Was will ich überhaupt noch erreichen? War das die richtige Entscheidung?», erzählt Christen. Mittlerweile hat sie erneut in der Weltelite Fuss gefasst und fühlt sich langsam, aber sicher wieder wie die Nina von vor den Olympischen Spielen. Sie kann kaum mehr nachvollziehen, wie sie sich in ihrer dunkelsten Phase gefühlt hat. «Auf der anderen Seite weiss ich, dass es nicht wieder so weit kommen darf. Deshalb reagiere ich früher.» Ist sie müde oder gestresst, lässt sie einen Wettkampf oder ein Training aus. Und schiebt eine Flugstunde ein. «Hier muss ich ebenfalls fokussiert sein. Doch ich bin anders gefordert. Die Ausbildung hilft mir, wieder frisch im Kopf zu sein.»

Nina Christen, Olympiasigerin, Schützin

Vorbereitung ist alles. Mit Fluglehrer Markus Epp bespricht Christen etwa das Wetter und die Flugroute.

Kurt Reichenbach

An diesem Freitagmorgen steht Christens elfte Flugstunde an. Insgesamt 45 Stunden werden in der praktischen Ausbildung zur Privatpilotin verlangt. Daneben büffelt sie für die Theorieprüfung, für die sie sich unter anderem in Meteorologie, Radiotelefonie oder Luftrecht auskennen muss. Bevor sie für den Flug abheben kann, geht sie um den Helikopter herum, klettert an ihm hoch, um den Rotor zu prüfen. «Es ist ähnlich wie beim Schiessen, die Sicherheit steht an erster Stelle.»

«Man merkt, dass Nina Spitzensportlerin ist»

Gurte an, Headset auf, alle Punkte der Checkliste der Flugvorbereitung abgehakt. Es kann losgehen. Das Vogelgezwitscher auf dem Fluggelände wird vom Rattern und Knattern von Motor und Rotor übertönt. Dann heben Christen und Epp ab und schweben in die Ferne Richtung Schwarzenburg. Als sie nach 59 Minuten wieder in Belp landen, schüttelt Christen kurz den Kopf. Mit der Landung scheint sie nicht ganz zufrieden zu sein. «Doch sonst wars besser, als ich gedacht hatte», sagt sie strahlend. Ihr Fluglehrer ist ebenfalls zufrieden: «Man merkt, dass Nina Spitzensportlerin ist. Sie ist sehr ehrgeizig, kann sich gut konzentrieren und sich extrem gut selbst einschätzen.»

Nach dem Debriefing gehts für Christen weiter ins Training nach Magglingen. Auch sportlich hat sie ihr Ziel wieder fest im Visier: Olympia 2024 in Paris. «Ich gehe meinen Weg Schritt für Schritt.» Zuerst dem Olymp entgegen, dann dem Himalaja.

Von Sarah van Berkel am 19. Mai 2023 - 17:08 Uhr