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  4. Friedrich Dürrenmatts ehemalige Haushälterin, Erika Willener, erinnert sich an die Zeit beim Schriftsteller

Seine ehemalige Haushälterin erinnert sich

So war die Arbeit bei Friedrich Dürrenmatt

Das Centre Dürrenmatt Neuchâtel ist für den renommierten Preis «Europäisches Museum des Jahres 2024» nominiert. Das ehemalige Wohnhaus des grossen Dramatikers ist ins Museum integriert. Erika Willener führte sechs Jahre lang dessen Haushalt. Bei einem Besuch an ihrem damaligen Arbeitsort plaudert sie aus dem Nähkästchen.

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Erika Willener, Haushälterin bei Friedrich Dürrenmatt

Friedrich Dürrenmatts ehemalige Haushälterin Erika Willener in seinem Original-Arbeitszimmer in Neuenburg, das öffentlich zugänglich ist.

Kurt Reichenbach

Es ist dieser verwunschene kleine Fleck Erde im romantischen Tal Vallon de l’Ermitage oberhalb von Neuenburg, in den sich Friedrich Dürrenmatt verliebt haben muss. 952 kauft er dort ein Haus für sich und seine Familie. Heute steht dieses Gebäude noch immer, integriert in das elegante, vom Schweizer Stararchitekten Mario Botta erbaute Centre Dürrenmatt. Im Jahr 2000 wurde es eröffnet. Das Museum widmet sich dem bildnerischen Schaffen Dürrenmatts. «Meine Zeichnungen sind nicht Nebenarbeiten zu meinen literarischen Werken, sondern die gezeichneten und gemalten Schlachtfelder, auf denen sich meine schriftstellerischen Kämpfe, Abenteuer, Experimente und Niederlagen abspielen», so Dürrenmatt (1921–1990) einst über sein malerisches Werk.

Erika Willener, Haushälterin bei Friedrich Dürrenmatt

Das Haus der Familie Dürrenmatt in Neuenburg wurde vom Stararchitekten Mario Botta ins Museum Centre Dürrenmatt integriert.

Kurt Reichenbach

Zum Glück gibts Zufälle

«Malen habe ich Herrn Dürrenmatt hier im Haus nie gesehen, nur in den Ferien», erzählt Erika Willener. Die ehemalige Haushälterin der Familie Dürrenmatt macht einen Rundgang durchs Museum. «Das muss er wohl hinter verschlossener Tür in seinem Büro gemacht haben.» Die 89-Jährige ist noch immer agil, wach und munter wie ein Fisch im Wasser. Sie erinnert sich gut an ihre Zeit beim berühmten Schriftsteller.

Erika Willener, Haushälterin bei Friedrich Dürrenmatt

Friedrich Dürrenmatt liebte Vögel. Erika Willener während ihrer Zeit als Haushälterin mit Kakadu Lulu.

Kurt Reichenbach

Erika Willener wächst auf einem kleinen Bauernhof im abgelegenen Dorf Bleiken bei Oberdiessbach BE auf. Nach der Schule geht sie, wie es damals Brauch ist, für ein Jahr ins Welschland. Eine Lehre macht sie nicht. Die Berufsberaterin empfiehlt ihr, Haushälterin zu werden. Erika arbeitet eine Zeit lang bei einer Familie mit sieben Kindern in Worb BE. Als diese ins Bündnerland zieht, sucht sie einen neuen Job. «Der Zufall wollte es, dass meine damalige Hausherrin bei einer Lesung in Bern die Eltern von Friedrich Dürrenmatt kennenlernte. Sie erzählten ihr, dass ihr Sohn jemanden für seine Haushaltung suche.» Erika Willener hat zwar schon von Friedrich Dürrenmatt gehört, vielmehr begeistert sie aber die Aussicht, nach Neuenburg zu ziehen.

Friedrich Dürrenmatt

Kakadu-Dame Lulu begleitet den Schriftsteller jahrelang. 

Sobli

Es ist 1957 und Erika Willener 23 Jahre alt, als sie zu den Dürrenmatts kommt. Der Autor ist mittlerweile weltberühmt dank seinen Werken «Der Richter und sein Henker» (1951) und «Der Besuch der alten Dame» (1956). Im Vallon de l’Ermitage lebt er zusammen mit seiner Frau Lotti und den drei Kindern Peter, Barbara und Ruth. «Als ich die Kinder das erste Mal sah – sie waren zehn, acht und sechs Jahre alt –, war es so, als würden wir uns schon lange kennen», erinnert sich Willener. «Ich fühlte mich gleich zu Hause.»

Sechs Jahre lang wohnt und arbeitet Erika Willener bei der Familie. Sie betreut die Kinder, macht den Haushalt und kocht zweimal am Tag. «Das Kochen war die grösste Herausforderung. Ich musste mir immer überlegen, was ich machen soll. Zum Glück hatte ich ein gutes Kochbuch», schmunzelt sie. Oft ist Willener auch alleine mit den Kindern. Denn Lotti Dürrenmatt begleitet ihren Mann meistens auf seinen Reisen zu Theaterproben oder an Filmsets. «Jedes Mal, wenn sie zurückkamen, hatten sie ein Geschenk für mich im Gepäck. Ich erinnere mich, dass ich einmal eine Brosche und einmal sogar einen Fotoapparat bekommen habe. Sie waren ein sehr grosszügiges Paar.»

Überhaupt findet sie nur lobende Worte für die Dürrenmatts. «Ich gehörte zur Familie, wurde geschätzt. Ich fuhr mit ihnen in die Ferien nach Südfrankreich, lernte viele ihrer Gäste kennen. Oft war ich auch mit dabei, wenn Herr Dürrenmatt nach dem Essen bei einer Zigarre oder seiner geliebten Pfeife witzig und pointiert Anekdoten von den Theaterproben erzählte», so die 89-Jährige.

Erika Willener, Haushälterin bei Friedrich Dürrenmatt

Erika Willener in der Original-Bibliothek von Friedrich Dürrenmatt, die ins Museum integriert ist. Sie umfasst über 4000 Bücher.

Kurt Reichenbach

Die Sache mit dem Autofahren

Was Dürrenmatt liebte, aber nicht gut konnte, war das Autofahren. «Er war bekannt für seine Unfälle. Ich sass zweimal mit ihm im Wagen, als es krachte. Zum Glück waren es jeweils nur Blechschäden. Seine Frau war die viel bessere Fahrerin.»

Obwohl sich Erika Willener bei den Dürrenmatts wohlfühlt, kündigt sie 1963. «Die Kinder waren Teenager, und ich wollte endlich meinen eigenen Haushalt. Es war Zeit für mich weiterzuziehen.» Noch immer hält sie ihr Arbeitszeugnis, vom Meister auf hauchdünnem Schreibmaschinenpapier verfasst, in Ehren. So steht unter anderem: «Sie erwies sich als fleissig, zuverlässig und treu, versteht es ausgezeichnet, mit Kindern umzugehen, verliert nie den Kopf und kocht hervorragend.»

Erika Willener, Haushälterin bei Friedrich Dürrenmatt

Erika Willener hält sie in Ehren: Die Bücher, die sie von Dürrenmatt mit persönlicher Widmung geschenkt bekam.

Kurt Reichenbach

Jahrelang führt Erika Willener danach einen Kiosk in Biel BE, lernt ihren Partner kennen, mit dem sie 50 Jahre lang bis zu seinem Tod in wilder Ehe und kinderlos lebt. Seit 2009 wohnt sie in einer Seniorenresidenz – ebenfalls in Biel – und fühlt sich dort pudelwohl. Und manchmal, ja manchmal zieht es sie zurück an den Ort – ins Centre Dürrenmatt –, wo sie einst als junge Frau dem grossen Schriftsteller und seiner Lotti den Kaffee ans Bett brachte. Natürlich ist auch sie gespannt, ob das Museum am 4. Mai in Portugal den Preis für das «Europäische Museum des Jahres 2024» erhält. «Herr Dürrenmatt hätte es verdient.» Sagts und verabschiedet sich – die alte junge Dame.

 

 

Von Janine Urech am 25. April 2024 - 11:51 Uhr