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Stil-Macherinnen

«Was zählt, ist einzig der Stil»

Manche Frauen beeinflussen mit ihrem modischen Auftritt mehrere Generationen. Woher kommt dieses Stilgefühl von einzelnen, das so viele kopieren wollen? Eine Spurensuche.

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Ganz leger hat Jane Birkin einen Stil für Generationen geprägt: «Ich bin nur ein Mädchen, das ein altes paar Jeans trägt.»

Ganz leger hat Jane Birkin einen Stil für Generationen geprägt: «Ich bin nur ein Mädchen, das ein altes paar Jeans trägt.»

Getty Images

Der französische Modedesigner Pierre Cardin sagte einst: «Talent und guter Geschmack reichen nicht. Was zählt, ist einzig der Stil.» Doch was macht guten Stil aus? Oder was hat keinen Stil? Das versuchen immer wieder viele zu umschreiben. Doch wenige hinterfragen, wie einzelne Personen es schaffen, mit ihrem Stil so viele andere zu prägen. Wie lautet das Rezept für solch bemerkenswerte modische Auftritte? Wie schaffen es diese Figuren, andere mit ihrem Geschmack derart in ihren Bann zu ziehen, dass Generationen ihn nachahmen wollen?

Seit dem Aufkommen der sozialen Medien erleben wir eine Flut von «Street-Style»-Bildern. Die Fotos wollen uns glauben machen, dass Stil entsteht, wenn er nur auf möglichst vielen Kanälen üppig verbreitet wird. Doch das stimmt nicht. Wie zum Beispiel kann der Stil von Beyoncé, der auf Instagram 317 Millionen Menschen folgen, auf den Punkt gebracht werden? Sieht man, wie viele unterschiedliche Outfits der Superstar auf ihrer aktuellen «Renaissance World Tour» zur Schau stellt, muss man unweigerlich an einen modischen Marathon denken. Sicher, wiederkehrende Elemente sind erkennbar: bestickte Korsetts, kombiniert mit Overknee-Stiefeln, viel Gold, lange Roben. Aber das macht noch keinen Stil aus. Auch wenn ihre Fangemeinde Millionen umfasst, so beeinflussen ihre Auftritte das modische Erscheinungsbild auf den Strassen doch herzlich wenig. Die Wahnsinnsoutfits werden der Sängerin von berühmten Designern auf den Leib geschneidert, von den wichtigsten Modehäusern extra für sie angefertigt: Alexander McQueen, Balmain, Prada, Givenchy, Gucci und viele mehr. Für den Alltagsgebrauch eignen sich die Outfits jedoch nicht. Damit ein Stil sich durchsetzt, muss er auf der Strasse sichtbar werden. Die Outfits von Beyoncé erfüllen eine andere Rolle: Sie heben den Star von der Masse ab. Sie bringen den Stil der Masse nicht näher.

Beyoncé Knowles trägt stets spektakuläre Outfits für die Bühne.

Beyoncé Knowles trägt stets spektakuläre Outfits für die Bühne.

Getty Images for Atlantis The Royal

Stil ist auch eine Frage von Persönlichkeit. Durch das Kopieren des Stils einer Ikone wollen wir ihr ein bisschen näher kommen, ein wenig ihrer Aura übernehmen, ihren Glanz oder ihre Verruchtheit auf uns übertragen, wie ein Spritzer Parfüm. Wenige Frauen haben es in den letzten hundert Jahren geschafft, ihren Stil auf die Welt zu übertragen. Jane Birkin war eine von ihnen. «Ich bin nur ein Mädchen, das einen Kaschmir-Cardigan trägt, ein altes Paar Jeans und Tennisschuhe», pflegte sie zu sagen. Die kürzlich verstorbene englisch-französische Schauspielerin und Sängerin verstand es mit einfachsten Elementen, das modische Sinnbild einer Pariserin zu verkörpern wie keine andere. War es ihre Nonchalance, ihre Schönheit, ihre Erscheinung des perfekten Models? All das! Inklusive der scheinbar unaufgeregten Art, wie sie sich kleidete. Egal ob sie alte Jeans trug oder ein Babydoll-Kleid, ihre Outfits schien sie immer wie zufällig zusammengestellt zu haben.

Weniger ist mehr: Eine wahre Stilikone macht mit wenigen Feinheiten auf sich aufmerksam. Das gilt auch für Audrey Hepburn: Eine Caprihose, ein Pulli mit einem runden Ausschnitt, Ballerinas von Ferragamo oder Mokassins im College-Stil – wie man sie bis heute in den Kollektionen etwa von Louboutin oder Aeschbach sieht – genügten ihr, um einen unverkennbaren modischen Stil zu schaffen. Stil definiert sich durch die Einfachheit seiner Elemente, aber auch durch die Erreichbarkeit dieser Teile. Selbst wenn sich nur die allerwenigsten eine luxuriöse Birkin-Bag leisten können – Jean-Louis Dumas-Hermès hat das Modell 1984 extra für Jane Birkin entworfen –, so können sie sich doch eine günstigere Variante davon kaufen oder einen simplen Einkaufskorb ergattern, wie ihn Birkin auch gerne spazieren führte.

Audrey Hepburns schlichter Stil ist einer für die Ewigkeit.

Audrey Hepburns schlichter Stil ist einer für die Ewigkeit.

Alamy Stock Photo

Auch Paloma Picasso, die 74-jährige spanischfranzösische Designerin und Tochter von Pablo Picasso, hat aus ihrer Garderobe einen nachhaltigen Stil für andere geschaffen. Sie hat Frauen auf den Geschmack von Vintage gebracht. Paloma Picasso hat in jungen Jahren Flohmärkte durchforstet, mit feinem Spürsinn Kleider entdeckt und getragen, die andere nicht mehr haben wollten. Sie war es, die Yves Saint Laurent zu seiner Kollektion Libération inspirierte, die er im Januar 1971 präsentierte und die als Skandalkollektion in die Modegeschichte eingegangen ist. Der Designer hatte sich von den Flohmarktbesuchen seiner Freundin zu der Kreationen von Kleidern wie aus der Zeit der Besatzung inspirieren lassen: Doch die Kollektion kam beim französischen Publikum ganz schlecht an. Zu frisch waren die Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg. Die Lust auf Vintage-Entdeckungen haben Paloma Picasso und Yves Saint Laurent dennoch in Generationen von Frauen geweckt.

SPECIAL PRICE. Paloma Picasso, French-Spanish designer and daughter of Pablo Picasso

Paloma Picasso, die Entdeckerin von Vintage-Mode.

CAMERA PRESS/Cecil Beaton

In den 1970er-Jahren entdeckten Frauen ausserdem den Bohemien-Stil: Sie brachten von ihren Reisen an exotische Orte Kleider und Accessoires aus anderen Kulturen mit. Eine unter ihnen, die mysteriöse Schauspielerin Talitha Getty, hat den Stil perfektioniert. Auf einem Foto mit ihrem Mann Paul Getty Jr. präsentierte sie sich in einem Kaftan auf dem Dach ihres Hauses in Marrakesch. Auch Loulou de la Falaise, einstige Muse und Mitarbeiterin von Yves Saint Laurent während dreissig Jahren, verkörperte den Bohemien-Chic par excellence. Sie kreierte Schmuck und Hüte für Saint Laurent, die bis heute inspirieren.

Das Model Loulou de la Falaise inspirierte den Modedesigner Yves Saint Laurent und kreierte Bohemien-Schmuck und Hüte für ihn.

Das Model Loulou de la Falaise inspirierte den Modedesigner Yves Saint Laurent und kreierte Bohemien-Schmuck und Hüte für ihn.

Getty Images

Später, in den 1980er-Jahren, bestimmte eine blutjunge Frau mit ihren Auftritten den Modestil in einem nie dagewesenen Mass: Kate Moss. Eine Kampagne für Unterwäsche von Calvin Klein genügte, um die damals 18-Jährige in den Modelolymp zu katapultieren – das, obwohl Kate Moss mit ihren 1 Meter 70 eigentlich zu klein für das Modelbusiness ist. Mütter und Töchter wollen den Stil dieser dünnen, fast düster wirkenden jungen Frau übernehmen. Bis heute: Keine trägt Skinny Jeans, Heels und Oversize-Pullis so stilvoll wie Kate. Und überzeugt mit ihrer modischen Lieblingskombination: Shorts, T-Shirt, Gilet und Boots. Ihre Aufmachung, an der Grenze zu Porn-Chic, ist in den 90er-Jahren die Antwort auf die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krisen.

Und welche Persönlichkeiten prägen heute modischen Stil? Die Schauspielerin Gwyneth Paltrow? Im April, als sie sich vor Gericht einem Kläger wegen eines Skiunfalls stellen musste, zeigte sich die 51-Jährige in eleganten, schlichten Outfits, über die mehr gesprochen wurde als über den Prozess selbst, den Gwyneth Paltrow gewonnen hat. Als Quiet Luxury, ruhiger Luxus, wird ihr Stil bezeichnet: Wertige Materialien, perfekte Schnitte, Rollkragenpullover, Kaschmirmantel – ein Stil im Geiste einer Jackie Kennedy, einer weiteren Ikone, deren Looks man sofort vor Augen hat, sobald man schon nur ihren Namen hört. Quiet Luxury, der zurückhaltende Luxus, ist ein Stil alter Schule. Er ist der Beweis dafür: Mode mag sich nach einer Saison immer wieder erschöpfen, doch echter Stil überdauert ohne Mühe Jahrzehnte.

Jacqueline Kennedy Onassis attends the RFK tennis tournament in New York City, 26th August 1978. (Photo by Linda Rosenbaum/Archive Photos/Getty Images)

Jackie Kennedy sah man selten ohne ihre markante Brille.

Getty Images
Von Isabelle Cerboneschi am 11. Oktober 2023 - 12:00 Uhr