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Unterwegs mit Susanne Hochuli

Wenn Katzen zur Vernunft beitragen

Susanne Hochuli, 54, war acht Jahre Aargauer Regierungsrätin. Jetzt ist sie Präsidentin von Greenpeace Schweiz und oberste Patientenschützerin. Mit zwei Flüchtlingsfamilien lebt sie auf dem eigenen Hof in Reitnau AG.

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Katzen Notabene Marianne Hochuli

Spielen Katzenjunge miteinander, wird das Schwere der Welt im Nu leicht und weich.

ZVG

Vor Kurzem bin ich über mich selber erschrocken. Leser, denen ich nicht sympathisch bin, werden denken: «Wäre ich sie, würde ich bei jedem Blick in den Spiegel erschrecken.» Leserinnen in meinem Alter werden sagen: «Jetzt hat es sie auch erwischt; lustig ist die Abänderung nicht.»

Ich muss nun jene, die solche Gedanken hegen, enttäuschen: Es war kein Spiegel und auch keine Hitzewallung in der Nähe. Genervt war ich, das schon. Der Tag war hektisch, ich hatte zu viel in ihn hineingepackt und für das Unvorhergesehene war kein Platz vorhanden.

Am Abend war ich in meiner Funktion als Präsidentin der Schweizerischen Patientenorganisation (SPO) zum 100-Jahr-Jubiläum der physioswiss eingeladen. Hundert Jahre! So alt und erschöpft kam ich mir ebenfalls vor, nachdem ich noch – husch, husch – meine südländischen Pflanzen in schweren Töpfen in den Keller getragen, Mist im Garten verteilt und das Laub zusammen geharkt hatte.

Keine Menschenseele zu sehen

Im Paraplegiker-Zentrum Nottwil fand die Feier statt; nicht weit von meinem Daheim entfernt, und doch war ich noch nie auf diesem riesigen Campus gewesen. Am Ziel angekommen, fuhr ich in eine der vielen Parkgaragen, stieg eine Treppe hoch und befand mich in einer grossen Halle mit einer Réception. Keine Menschenseele war zu sehen.

Ich ging umher und suchte nach einem Hinweis, wo genau die Feier stattfindet. Ich fand nichts. Ich begann mich zu ärgern, fischte in meiner Handtasche nach den Unterlagen des Festes, aber auch dort stand einfach: «Nottwil».

Wie in einem schlechten Film

Ich rief die aufgeführte Kontaktperson an. Niemand nahm ab. Gestresst ging ich auf die Suche, durch lange Korridore, wo jeder Auf- und Abgang und alle Räume auf Rollstuhlfahrende angepasst sind und dadurch der Architektur ein ungewohntes Aussehen geben. Die Absätze meiner Schuhe schlugen knallend auf den Boden, ich schimpfte auf die schlechte Organisation – und plötzlich realisierte ich: Ich wusste nicht mehr, wo ich war.

Es war wie in einem schlechten Film! Ich hätte längst im Festsaal sein sollen und irrte stattdessen herum. Wut stieg in mir hoch, ich verfluchte das Fest, den Campus und mich. Als ich nach Irrungen und Wirrungen endlich am richtigen Ort war, traf mein Ärger auf die zuständige Person. Ich riss mich halbbatzig zusammen, setzte mich hässig auf meinen Platz und fand mich im Small Talk mit meiner Tischnachbarin wieder.

Wir plauderten, und sie zeigte mir ein Bild ihrer allerliebsten Perserkätzchen. Da geschah Seltsames mit mir: Ich erinnerte mich an Abende, an denen ich erschöpft von meiner Arbeit als Regierungsrätin nach Hause kam, mich auf den Boden legte, meinen jungen Büsis beim Spielen zuschaute und dadurch zur Ruhe kam.

Die Erinnerung breitete sich warm in mir aus, brachte mich zur Räson – und liess mich furchtbar schämen: Ich habe mich gehend in einem Gebäude in Wut gesteigert; in einem Gebäude, in dem Menschen sich daran gewöhnen müssen, nie mehr gehen zu können.

Von Susanne Hochuli am 25. November 2019 - 15:00 Uhr