Es sind längst nicht mehr nur die Väter, die eine Familie finanzieren. Die Erwerbstätigkeit von Müttern hat in den vergangenen zwei Generationen massiv zugenommen. Die Prozentsätze variieren abhängig vom Alter der Kinder und der Familiensituation, aber zusammengefasst kann man sagen, dass mittlerweile rund vier von fünf Frauen mit Kindern in der Schweiz auch in einem bezahlten Job aktiv sind.
Die berufstätige Mutter ist längst ein fester Bestandteil der Gesellschaft. Umso erstaunlicher ist es, dass sich gewisse Vorurteile gegenüber der Erwerbstätigkeit weiblicher Elternteile hartnäckig halten (und Väter sich denselben Vorwürfen kaum stellen müssen). Zeit, falsche Annahmen über berufstätige Mütter zu widerlegen.
Dieses Vorurteil kommt nicht nur von Aussen. Berufstätige Mütter machen sich diesen Vorwurf oft auch selbst. Sie leiden tatsächlich häufiger als Männer unter einem schlechten Gewissen dem Kind gegenüber. Vielleicht, weils sie das Gefühl haben, wichtige Milestones – wie die ersten Schrittchen, den ersten Wackelzahn, der rausfällt – zu verpassen. Oder, weil die Gesellschaft ihnen den Vorwurf macht, sie seien keine vollwertigen Mutterfiguren aus der Waschmaschinenwerbung, wenn sie nicht 24/7 für ihr Kind abrufbar sind. Sogar Kronprinzessin Victoria von Schweden kennt dieses Gefühl. Sie sagt, sie habe Angst, kleine Momente mit ihren Kindern, Prinzessin Estelle und Prinz Oscar, zu verpassen, wenn sie viel unterwegs ist. «Es gibt viel zu tun an einem Tag, und ich möchte wirklich eine zugängliche und anwesende Mutter sein, und eine Mutter, die auch ein gutes Vorbild ist»
Dass man, nur weil man als Frau einem Job nachgeht, seine eigenen Kinder vernachlässigt, ist ein Vorurteil, das wir zum Glück nicht einmal selber widerlegen müssen. Die Wissenschaft tut es für uns. Unzählige Stunden belegen die Vorteile, die ein Kind geniesst, wenn beide Elternteile berufstätig sind. Zum Beispiel diese drei:
- Kinder von berufstätigen Müttern haben später selber bessere Chancen, im Beruf erfolgreich zu sein und einen angemessenen Lohn zu verdienen. Sie haben die grössere Chance, das Gymnasium zu besuchen und beweisen mehr schulisches Selbstvertrauen und Leistungsmotivation. Dies geht aus einem Papier der Konrad-Adenauer-Stiftung hervor.
- Kinder profitieren von Fremdbetreuung. Erziehungspapst Remo Largo betonte stets, dass möglichst viele unterschiedliche Bezugspersonen und Einflüsse der Entwicklung eines Kindes zuträglich sind. Besonders die Betreuung in einer Kindertagesstätte oder bei einer Tagesmutter, wo ein Kind den Kontakt zu Gleichaltrigen pflegen kann, bringt klare Vorteile. «Ein Kind sollte mehrere Stunden pro Tag mit Gleichaltrigen zusammen sein», sagte Largo. «So lernt es zu sprechen, sich in andere Kinder einzufühlen, sich anzupassen, mit Konflikten umzugehen, Beziehungen zu pflegen und Freundschaften zu schliessen.» Der Kontakt zu anderen Kindern und weiteren Bezugspersonen sei nicht nur für die Entwicklung eines Kindes, sondern auch für dessen Wohlbefinden essenziell.
- Berufstätige Mütter leben ihren Kindern ein realistisches Lebensmodell vor, das sie animiert, dereinst auf eigenen Beinen zu stehen. Sie leben ihren Kindern nicht nur berufliche Kompetenzen vor, sondern zeigen ihnen auch, dass es sich lohnt, einen Job zu finden, an dem man Freude hat und der sich als Bereicherung anfühlt.
Vielleicht will eine berufstätige Mutter tatsächlich Karriere machen. Was für ein tolles Vorbild sie ihrem Kind ist, wenn sie dieses Ziel trotz anhaltender Diskriminierung von Müttern im Job auch nach der Geburt verfolgt! Eine Studie des psychologischen Instituts der Universität Zürich, die den beruflichen Wiedereinstieg von Müttern untersuchte, zeigt allerdings auf, dass eher andere Aspekte Mütter dazu bewegen, neben der Familienarbeit auch einem bezahlten Job nachzugehen.
- 84.4 Prozent der befragten Frauen gaben an, dass sie den Wiedereinstieg gewählt haben, um die Belastung durch die Familienarbeit auszugleichen
- 82.6 Prozent der Frauen gaben als Motivation für ihre Berufstätigkeit an, dass sie den Anschluss in der Berufswelt nicht verlieren wollen
- 78.2 Prozent der berufstätigen Mütter wollen ihrem Job nachgehen, weil er ihnen Spass und Freude bereitet
- 58.4 Prozent arbeiten, weil sie sich finanziell am Familieneinkommen beteiligen wollen oder müssen
- 6.9 Prozent der Mütter bleiben nicht aus Eigeninitiative, sondern wegen vertraglicher Pflichten nach der Geburt im Berufsleben aktiv
Fun Fact: Die vielkritisierte Karrieregeilheit berufstätiger Mütter wurde nicht einmal erfasst. Gab wohl niemanden, der das als Grund angab ..
Unrealistische Bilder von ideenlosen Stock-Fotografen untermauern dieses Bild: Wer nach einem Foto zur Bebilderung eins Artikels über berufstätige Mütter sucht, stösst dabei grösstenteils auf Aufnahmen, die Frauen mit Kind auf dem Schoss vor dem Laptop zeigen. Oder noch schlimmer. Guckt euch unter diesem Link extrem unrealistische Versuche an, eine berufstätige Mutter darzustellen.
Natürlich, Kind auf dem Schoss vor dem Laptop kann im Ausnahmefall vorkommen. Auch bei Vätern. Und war während der Quarantänten und der fehlenden Möglichkeit der Fremdbetreuung während der Corona-Pandemie wohl auch überdurchschnittlich häufig der Fall.
Aber, wer sich die berufstätige Mutter so vorstellt, den möchten wir gerne fragen: Haltet ihr uns eigentlich für blöd? Selbstverständlich tun wir (berufstätigen Mütter auf der SI-Redaktion wie überall sonst auch) uns die Doppelbelastung nicht an, während der Arbeit auch noch auf die Kinder schauen zu müssen. Da wird man ja niemandem gerecht, weder dem Arbeitgeber, noch den Kindern, noch sich selbst. Jede berufstätige Mutter schaut, dass ihre Kinder fachgerecht und liebevoll betreut sind, während sie arbeitet (was bei einem berufstätigen Vater irgendwie gar niemand infrage stellt, oder?)
Misstrauische Arbeitsgspänli, die Anderes vermuten, können davon ausgehen, dass Mütter während ihrer Arbeitszeit sogar besonders effizient und fokussiert bei der Sache sind, weil sie nach Feierabend den Kopf frei haben möchten für die Familie.