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Der ganz normale Wahnsinn

Wie geht man als Eltern mit dem Lehrstellen-Stress um?

Eines der Themen, die unsere Familienbloggerin gerade am meisten beschäftigt, ist die Lehrstellensuche ihres Sohnes. Und den Druck, den er sich deswegen macht. Die Mutter ist damit genauso überfordert wie der Teenager.

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Sandra Casalini Blog Motorradmechaniker

Die Schnupperlehre als Motorradmechaniker machte dem Sohn unserer Familienbloggerin zwar Spass - das Wahre war sie jedoch nicht. 

Getty Images

Ich schiele immer ein bisschen neidisch zu den Eltern, deren Kinder genau wissen, was sie wollen. Oder zumindest die Richung kennen, in die es gehen soll. Da scheint mir alles so einfach. Schnuppern, bewerben, irgendwann wirds schon klappen.

Wo schnuppern, wenn alle im Homeoffice sind?

Mein Kind 2 hingegen hat absolut keinen Plan, was es denn machen will. Vergangenes Jahr hat es in verschiedene Berufe reingeschnuppert - Töffmechaniker, Automechaniker, Sanitärinstallateur. Es fand alles spannend - für einen Tag. Das Wahre wars nicht. Dann kam Corona, und selbst nach dem Lockdown wars schwierig mit Schnuppern - wie auch, wenn alle im Homeoffice sind. Jetzt hat das letzte Schuljahr angefangen, und das Kind wird langsam nervös. Mittlerweile schon so nervös, dass es «einfach irgend eine Lehrstelle» will. Meiner Bemerkung, dass es ziemlich sicher nicht besonders witzig ist, drei oder vier Jahre lang «einfach irgend etwas» zu machen, das einem eigentlich gar nicht gefällt, setzt er entgegen, dass er bei dem, das ihm gefallen würde sowieso keine Chance habe. Der Grund: seine unterirdische Deutschnote. An der selbstverständlich nicht das Kind, sondern die Deutschlehrerin schuld ist, welche ihm nun seine ganze Zukunft versaut. 

«Das Kind hat noch nicht die Erfahrung gemacht, dass es manchmal besser ist, sich ein bisschen Zeit zu lassen, statt überstürzt irgend etwas zu wursteln, nur weil man das Gefühl hat, die Dinge müssen jetzt sofort auf Biegen und Brechen passieren.»

Zu sehen, wie massiv sich mein Sohn wegen dieser Lehrstellensuche selbst unter Druck setzt, macht mich ehrlich gesagt ein bisschen wütend. Auf die Schule, die den Kindern offenbar immer noch einredet, ohne gute Noten gehe gar nichts, und ihnen das Gefühl gibt, wer nicht bereits am Anfang des 9. Schuljahres eine Lehrstelle in der Tasche hat, bekommt auch keine mehr, und landet ganz sicher irgendwann auf der Strasse.

Schuhe wie U-Boote - aber noch lange nicht erwachsen

Ich meine, mein Sohn ist fünfzehn. Klar, er ist 1.80 gross, trägt Schuhe in Grösse 44, die aussehen wie kleine U-Boote, und braucht morgens im Bad länger als seine Schwester, um sich seine kurzen Haare zu frisieren. Aber er ist noch lange nicht erwachsen. Er hat noch nicht die Erfahrung gemacht, dass es manchmal besser ist, sich ein bisschen Zeit zu lassen, statt überstürzt irgend etwas zu wursteln, nur weil man das Gefühl hat, die Dinge müssen jetzt sofort auf Biegen und Brechen passieren. (Um ehrlich zu sein, war ich ihm wohl auch in dieser Hinsicht kein besonders gutes Vorbild). Aber von mir aus kann er sich auch noch ein Jahr Zeit nehmen und halt erst übernächstes Jahr eine Lehre beginnen. Da fragt später kein Mensch danach. Aber davon will er nichts wissen.

«Ich versuche, irgendwie den Druck von ihm zu nehmen, und merke, dass es mir nicht so richtig gelingt.»

Jedenfalls bin ich im Moment wohl genauso überfordert wie das Kind selbst. Ich versuche, irgendwie den Druck von ihm zu nehmen, und merke, dass es mir nicht so richtig gelingt. Und dass es ihm am liebsten wäre, ich würde ihm auf dem Silbertablett eine Lehrstelle präsentieren, die sich ganz zufällig als sein totaler Traum herausstellt. Leider läuft das Leben sehr, sehr selten so. Und ich bin mir grad nicht sicher, wer mit dieser Tatsache mehr Mühe hat - er oder ich.

Familienbloggerin Sandra C.
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Von Sandra Casalini am 2. Oktober 2021 - 17:25 Uhr