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  4. Kinder und der Krieg in der Ukraine: Psychologin Sabine Brunner beantwortet Elternfragen

Psychologin erklärt

Warum Eltern Kriegsspiele nicht verbieten sollten

Verstörende Nachrichten und Bilder aus dem Ukraine-Krieg beschäftigen auch die Kinder. Sabine Brunner, Co-Verantwortliche für psychologische Dienstleistungen und Grundlagen am Marie Meierhofer Institut für das Kind, erklärt, wie Eltern ihren Nachwuchs kindgerecht informieren und begleiten können.

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Photo taken in Michigan, United States

Ein Kind spielt mit Soldaten-Figuren.

Getty Images/EyeEm

Sabine Brunner, auf dem Pausenplatz werden beängstigende Bilder herumgereicht. Im Fernsehen sieht man Panzer und Explosionen. Wie können Eltern reagieren, wenn ihre Kinder mit nicht altersgerechten Informationen in Berührung kamen?
Wenn Kinder einem das erzählen, ist das schon mal gut. Dann kann man mit ihnen zusammen durchsprechen, was passiert ist, was sie mitgekriegt haben und welche Gefühle das auslöst bei ihnen. Je nach Alter, vielleicht so ab zehn, elf oder zwölf Jahren, schlage ich vor, dass man sich mit ihnen in die Thematik begibt, vielleicht gemeinsam Nachrichten schaut und bespricht: Wie sehe ich das? Wie siehst du das? Wie geht es uns dabei?

Und wenn Kinder von sich aus nichts erzählen, man aber merkt, dass sie etwas beschäftigt?
Dann kann man sie aktiv darauf ansprechen. Von sich aus fragen, ob sie eigentlich vom Krieg in Europa gehört haben und wie es ihnen damit geht.

«Vor dem Kindergartenalter würde ich eigentlich keine Nachrichten an die Kinder heranlassen»

Sabine Brunner, Psychologin

Ab welchem Alter macht das Sinn?
Vor dem Kindergartenalter würde ich eigentlich keine Nachrichten an die Kinder heranlassen und die Thematik nur dann aufgreifen, wenn ich merke, dass ein Kind etwas aufgeschnappt hat oder sogar mit Fragen zu mir kommt. Ab dem Kindergarten kriegen sie automatisch manches mit. In diesem Alter spielt entwicklungspsychologisch die Moral eine wichtige Rolle. Kinder entdecken Gut und Böse. Sie wollen wissen, was richtig ist und was falsch. Als Eltern kann man aufzeigen, dass verschiedene Sichtweisen möglich sind und die eigene nicht die einzig wahre ist. Kindernachrichtensendungen helfen Grundschülern beim Verstehen von Zusammenhängen und Beschaffen von kindgerechten Informationen. Schliesslich sollten Kinder ungefähr ab dem zwölften Altersjahr, manche auch schon früher, dafür bereit sein, auch Nachrichten für Erwachsene zu konsumieren, wenn die Eltern sie aufmerksam dabei begleiten.

Boy intently looking at globe.

Ein Kind sucht auf dem Globus nach der Ukraine. Wie man sich Informationen beschafft, ist ein wichtiges Lernfeld für Kinder.

Getty Images

Wir sollten also offen mit Informationen umgehen. Und wie verhält es sich, wenn wir selber uns unsicher oder ängstlich fühlen in der aktuellen Situation?
Man darf als Eltern zur eigenen Unsicherheit oder sogar Unwissenheit stehen. Und dann vielleicht sogar zusammen mit dem Kind nach Informationen suchen. So lernt es, wie man sich selbst einen Überblick verschaffen und eine Meinung bilden kann. Auch zu Gefühlen wie Angst dürfen Eltern stehen. Allerdings nicht ungefiltert. Es ist wichtig, dass Erwachsene aus ihren Gefühlen kein Tabu machen sondern ihren Kindern vorleben, wie man mit schwierigen Emotionen umgehen kann. Jedoch sollten Erwachsene versuchen, sich sachlich mitzuteilen, um eigene Ängste nicht ungefiltert auf die Kinder zu übertragen.

«Krieg zu spielen, ist eine Form der Verarbeitung»

Sabine Brunner, Psychologin

Wie können Eltern auf die Kinderfrage reagieren, ob der Krieg nun auch in die Schweiz komme?
Hier würde ich erst einmal erklären, dass er im Moment noch weit weg ist und dass viele Menschen daran arbeiten, den Krieg zu beenden und es nicht so weit kommen zu lassen. Auch darüber kann man sich informieren. Weiter würde ich meiner Hoffnung und meinem Wunsch Ausdruck verleihen, dass der Krieg tatsächlich nicht zu uns kommen soll.

Welche Möglichkeiten, ihre Kinder zu begleiten, haben Eltern neben dem Gespräch?
Kinder verarbeiten Dinge, die sie beschäftigen, oft im Spiel. Gerade, wenn sie jünger sind, ist es möglich, dass sie nun vielleicht auch Krieg spielen. Das ist eine Form der Verarbeitung.

Also sollte man «Kriegerlis» nicht verbieten?
Ein Kriegs-Rollenspiel muss Eltern nicht von vornherein beunruhigen. Man darf das Spiel jedoch mit Fragen und Gesprächen begleiten und auch sagen, wenn es einem zu weit geht. Dem Kind die eigene Form der Verarbeitung zu lassen, finde ich jedoch wichtig. Wenn man dann merkt, dass es weitere Hilfe benötigt, können wir Rituale anbieten.

Welche zum Beispiel?
Tröstende Rituale haben meditativen Charakter und tragen zur Beruhigung bei: eine Kerze anzünden oder ein Gebet sprechen – auch ohne religiöse Motivation. Wir können Kinder ausserdem vielleicht auch ermutigen, ihre Gefühle zu zeichnen oder in einer anderen Form darzustellen. Sie fragen: Wie sieht deine Angst aus? Wie deine Hoffnung?

Das Marie Meierhofer Institut für das Kind (MMI) ist ein assoziiertes Institut der Universität Zürich. Das MMI beschäftigt sich mit den Voraussetzungen gelingender sowie mit der Prävention problematischer Entwicklungsverläufe mit Fokus auf der frühen Kindheit. Es vereint entwicklungspsychologisches, frühpädagogisches und familiensoziologisches Wissen und verbindet die Praxis mit der Forschung.

Sabine Brunner ist seit 2008 Co-Verantwortliche für psychologische Dienstleistungen und Grundlagen am MMI.

Von KMY am 1. März 2022 - 18:09 Uhr