«Nein, Mama!» Ein Satz, den viele Mütter und Väter nur zu gut kennen. Nämlich dann, wenn das liebe Kleine komplett auf Mama fixiert ist und Papa nicht mal mehr die Schuhe binden, geschweige denn das Kind ins Bett bringen darf. Nicht nur für die Mutter ist diese Situation anstrengend, Väter leiden unter der Abweisung und ziehen sich gerne mal zurück, während Mütter an die Grenze ihrer Belastbarkeit stossen.
Warum aber kommt es überhaupt zur Mama-Fixierung? Und wie soll man als Familie mit diesem Szenario umgehen? Frau Karin Schmid, Einzel-, Paar- und Familienberaterin und Mediatorin klärt auf.
Karin Schmid, warum sind manche Kinder absolut auf Mama fixiert?
Einerseits ist das Phänomen biochemisch erklärbar: Als Frau ist man von Anfang an mit dem Ungeborenen verbunden, denn wenn Babys zur Welt kommen, sind ihnen die Stimme, der Duft, die Hände der Mutter bekannt. Bei Müttern ist es derweil so, dass sie beim Füttern, Wickeln, Stillen und Trösten des Babys das Bindungshormon Oxytocin ausschütten. Während die Väter oft bald wieder arbeiten müssen, lernen Mutter und Kind sich viel schneller kennen. Und dann denken Sie mal weiter: Am Anfang sind Kinder vorwiegend von Frauen umgeben. Von Mama, von Grossmamis, in den Krippen arbeiten immer noch vorwiegend Frauen, so auch in Spielgruppen, Kindergärten, ja, sogar in Primarschulen und Kinderhorten.
Wie können Väter damit umgehen, wenn sie beim Kind die zweite Geige spielen?
Das Wichtigste ist, dass sie es nicht persönlich nehmen. Kleinkinder sind sehr auf die eigene Befindlichkeit fixiert. Das müssen sie entwicklungspsychologisch auch sein, damit sie überleben. Ich finde es aber wichtig, dass Väter mit der Partnerin über ihre Gefühle und Wünsche diesbezüglich sprechen. Mir fällt oft auf, dass sich Väter zu wenig zutrauen. Dabei können sie für ihre Kinder – ausser stillen – eigentlich alles genau gleich gut tun wie die Mütter.
Wenn das Kind immerzu und vehement nach Mama verlangt, was kann man tun, dass es sich auch wieder für seinen Papa öffnet?
Ich rate Eltern, zusammen an einem Strang zu ziehen. Es geht darum, dass ein Kleinkind lernt und versteht, dass der Papa eine gleichwertige Bezugsperson ist. Väter sollten sich aktiv einbringen und gelassen und ruhig bleiben, auch wenn das Kind schreit und sich allen ausser Mama verweigert. Wir vergessen gerne, dass Kinder sehr «zäch» sind und vieles ertragen, ohne ein Trauma davon zu tragen. Es ist deswegen wichtig, selber Ruhe zu bewahren und dem Kind zu vermitteln, dass man Verständnis für seine Wut hat, dass es jetzt aber Papa ist, der da ist und der alles genau so gut wie Mama machen kann. Man tut Kindern einen Gefallen, wenn man sich auf Machtkämpfe gar nicht erst einlässt. Studien zeigen, dass Kinder von Müttern, die zu jeder Zeit verfügbar sind und einknicken, oft ein schlechteres Selbstwertgefühl und eine tiefere Frustrationstoleranz haben.
Wie können Mütter die Ablösung unterstützen?
Sie können die Väter von Anfang an aktiv miteinbeziehen. Bereits während der Schwangerschaft sollte der werdende Papa mit dem Ungeborenen reden, seine Hände auf den Bauch der Mutter legen, da sein. Wenn er das regelmässig tut, sinkt sein Testosteron, und er schüttet das Bindungshormon Oxytocin aus. Nach der Geburt ist es wichtig, dass Mütter lernen abzugeben. Es ist völlig richtig, Väter machen zu lassen, auch wenn sie vielleicht eine andere Herangehensweise haben als die Mütter.
Oft «gewinnt» das Kind, schreit es genug fest, wird es jeden Abend von Mama zu Bett gebracht und Väter haben keine Chance. Wie kommt man aus diesem Kreis heraus?
Man muss ihn durchbrechen, in dem man bestimmt als Eltern auftritt und konsequent ist. Und auch hier gilt es, die Gefühle und die Wut des Kindes ernst zu nehmen, aufzufangen und es zu trösten, ohne einzubrechen. Oft hilft es auch, wenn die Mutter physisch nicht anwesend ist. Ist Mama nicht da, ist sie keine Option. Viele Väter berichten, dass sie gar keine Probleme haben, wenn sie alleine mit den Kindern sind. Langfristig ist das Ziel natürlich, dass beide Elternteile daheim sein können und beide das Kind ohne Probleme zu Bett bringen können. Es kann sein, dass das die ersten fünf Mal sehr anstrengend wird für die Väter. Wenn das Kind aber verstanden und verinnerlicht hat, dass Papa genau so eine sichere Bezugsperson wie Mama ist und sein Schreien nicht zu seinem gewünschten Ziel führt, gibts in der Regel keine Probleme mehr.
Wann hört die Mamafixierungen für gewöhnlich wieder auf?
Im Normalfall dauert die Mama-Phase bis das Kind etwa drei bis fünf Jahre alt ist. Ein Elternpaar kann aber schon viel vorher was machen. Es zahlt sich aus, wenn sich die Väter von Anfang an einbringen. Auch wenn das immer wieder mal anstrengend ist und die Kleinkinder nach ihren Müttern schreien, lohnt es sich, wenn man nicht einbricht und dem Frieden und/oder dem Lärmpegel zuliebe als Mutter alles selber macht. Deswegen betone ich immer, dass sich Klarheit von Seiten Eltern und viel Training fürs Kind sehr lohnen und schlussendlich ist der Papa genau so eine wichtige und gute Bezugs- und Vertrauensperson wie Mama.
Wie schafft es eine Mutter, trotz der Fixierung auf ihre Person, genug Zeit für sich selber freizuschaufeln?
Ich betone gern die drei V: vertraut, verfügbar, verlässlich. Das sind alles Adjektive, die eine Mutter auszeichnen. Es ist aber genau so wichtig zu verinnerlichen, dass Mütter nicht rund um die Uhr verfügbar sein müssen. Keine Mutter sollte ihr Kind dauerbespassen oder ihm uneingeschränkte Aufmerksamkeit schenken. Im Gegenteil. Für die Entwicklung ist es elementar, Kinder auch alleine spielen zu lassen. Dass ein Kind sich bei verschiedenen Personen wohl- und sicher fühlt, ist ebenso wichtig. Mütter sollten versuchen, Zeit für sich freizuschaufeln, und daran denken, dass sie ihre Rolle vor allem dann gut und entspannt wahrnehmen können, wenn sie sich zwischendurch erholen. Sei das beim Yoga, beim Sport oder einfach beim Nichtstun.
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