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Bianca Sissing über Rassismus

«Als Miss Schweiz war nichts schweizerisch genug»

Bianca Sissing ist Halbschweizerin, wie sie selber stolz betont. Sie liebt ihre Wurzeln und ihre Heimat Luzern. Auch wenn sie hier vor aller Welt mit Rassismus konfrontiert wurde. Nach ihrer Wahl zur Miss Schweiz wurde öffentlich diskutiert, ob sie wegen ihres Akzents der Krone würdig sei. Für schweizer-illustrierte.ch öffnet sie dieses schmerzhafte Kapitel noch einmal und dreht den Spiess um.

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Bianca Sissing Yoga Hochzeit Floristin Mutter Kindheit

Bianca Sissing wurde 2003 zur Miss Schweiz gekürt. Heute führt sie ein Yoga-Studio in Luzern.

Thomas Buchwalder

Bianca Sissing, wie definierst du Rassismus?
Rassismus kann ganz viele verschiedene Formen haben für mich. Wenn ein Mensch anders ist und jemand anderes urteilt darüber, dann ist das für mich Rassismus. Das hört nicht bei der Hautfarbe auf. Das kann auch die Kultur, die Kleidung oder die Religion sein.

Wie ist dir Rassismus, wie du ihn definierst, bereits widerfahren?
Schon als Kind. Als ich acht oder neun Jahre alt war, wollte ich in unserem Quartier mit anderen Kindern spielen. Ich ging also auf sie zu, sie schauten mich an und sagten, dass ich zurück dorthin gehen solle, wo ich herkomme. Ich gehöre hier nicht hin. Ein anderes Mal hat mich jemand gefragt, wo ich herkomme. Ich sagte, dass mein Vater Schweizer und meine Mutter Südafrikanerin sei. Er antwortete: «Ah, das ist doch dort, wo die Tiger durch die Strassen laufen und alle Menschen Stammeskostüme tragen.» Aber am schlimmsten war es, als ich Miss Schweiz wurde. Es wurde so viel darüber diskutiert. Meine Hautfarbe, meine Herkunft, meine Sprache. Nichts war schweizerisch genug.

Was hat das mit dir gemacht?
Ich fand das sehr schade. Die Menschen kannten mich nicht und haben mich nach meinem Äusseren beurteilt. Es war ja ein besonders grosses Thema, dass ich nicht Schweizerdeutsch sprach. Zu einer Autogrammstunde kam ein Mann und brachte mir ein Lexikon Englisch-Schweizerdeutsch. Ein anderer schenkte mir ein Kinderbuch. Beide mit den Worten: «Jetzt kannst du endlich mal richtig Deutsch lernen.» Es waren übrigens meistens Männer, von denen solche Bemerkungen kamen.

Wie hast du reagiert?
Ach, ich investiere nicht viel Energie in solche Sachen. Weder damals noch heute. Ich bleibe immer respektvoll. Das ist mir wichtig. Ich will nicht das tun, was diese Menschen tun, sondern genau das Gegenteil. Darum begegne ich jedem mit Respekt.

Bianca Sissing

Bianca Sissings Wahl zur Miss Schweiz sorgte für eine Kontroverse, die sie als rassistisch empfand.

Rolf Edelmann / RDB

Was ist häufiger: gewollter Rassismus oder solcher, der «beiläufig», womöglich nicht gewollt, passiert?
Beiläufiger Rassismus passiert häufiger. Es ist einfacher zu sagen: «Nein, das war nicht rassistisch gemeint», obwohl es das im Prinzip doch war.

Ist es für dich rassistisch, wenn dich jemand fragt, wo du herkommst?
Es kommt darauf an, wie es gefragt wird. In welchem Zusammenhang. Man merkt meist, ob die Frage wirklich aus Interesse gestellt wird oder nicht. Ich finde es eigentlich nicht so angenehm. Ich bin zwar sehr stolz auf meine Herkunft und spreche auch gerne darüber. Aber nicht, wenn man sich gerade erst kennengelernt hat. Es gibt so viele andere Sachen an mir, die interessanter wären.

Hat sich in den vergangenen Jahren etwas verändert?
Nein, ich finde eigentlich nicht. Ich wohne in Luzern und die Stadt ist voller Touristen. So oft höre ich Menschen Dinge sagen wie «die scheiss Chinesen» oder «die blöden Inder». Das ist rassistisch. Zumal Luzern vom Tourismus lebt und auf die Besucher aus aller Welt angewiesen ist. Schweizer verallgemeinern sehr oft, wenn es um andere Kulturen geht. Das finde ich sehr schade. Vielleicht aber ist der Rassismus unterschwelliger geworden. Aber sicher nicht weniger.

Bianca Sissing mit ihrer früheren Hündin Luna

Die Tochter einer Südafrikanerin und eines Schweizers liebt ihre Herkunft, will aber nicht darauf reduziert werden.

ZVG

Wie hat Rassismus dich verändert?
Ich glaube, dass er mich bewusster gemacht hat. Ich achte sehr darauf, wie ich anderen Menschen begegne und was ich über sie denke. Ich will offen bleiben und nicht nach der Kultur, der Sprache oder dem Äusseren urteilen. Mir ist es wichtig, dass ich nicht das tue, was mir passiert ist.

Wurdest du anders behandelt, wenn du mit deinem Schweizer Papa unterwegs warst als mit deiner südafrikanischen Mutter?
Ja, das war etwas ganz anderes. Meine Mutter ist dunkel mit Locken, mein Vater ist weiss mit glatten Haaren und hellen Augen. Wenn ich als Kind mit meinem Vater unterwegs war, haben schon alle komisch geschaut und wir spürten, dass sie sich fragen, ob ich wirklich sein Kind bin.

Der Tod von George Floyd in den USA hat die Debatte um Rassismus neu entfacht. Was ging dir durch den Kopf, als du von seinem Tod erfahren hast?
Ich finde es unglaublich traurig, dass solche Dinge in der heutigen Zeit noch passieren. Es macht mich fassungslos. Wir sind überall so fortschrittlich. In der Technologie, der Medizin, aber wenn es um Menschenrechte geht, sind wir offensichtlich stehengeblieben.

Wir haben dich wegen deiner Herkunft für ein Interview angefragt. Haben wir dich damit diskriminiert?
Das ist eine gute Frage. Darf ich eine Gegenfrage stellen?

Sicher.
Habt ihr auch Menschen angefragt, die keinen Migrationshintergrund haben, also 100 Prozent Schweizer sind?

Nein, das haben wir nicht.
Dann finde ich es schon diskriminierend. Ich weiss, dass ich wohl prozentual öfter Rassismus erlebe als Schweizer, aber es wäre wichtig, auch da nachzufragen. Vielleicht kennen sie es von der anderen Seite, haben selber schon rassistische Äusserungen gemacht oder sich bei unterschwelligem Rassismus erwischt.

Da hast du wirklich vollkommen recht. Danke, dass du uns darauf aufmerksam gemacht hast.
Ich finde es unheimlich wichtig, dass man auch die andere Seite anspricht. Menschen, die sich bei rassistischen Gedanken erwischen, ob unbewusst oder mit voller Absicht, müssen auch darüber sprechen. Mir ist wichtig, dass sie versuchen, sich in die Situation derer zu versetzen, die Rassismus erleben. Würden das mehr Menschen tun und erst überlegen, bevor sie etwas sagen, gäbe es viel weniger solche Probleme.

Berit-Silja Gründlers
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Von Berit-Silja Gründlers am 8. Juni 2020 - 06:09 Uhr