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Bundesrätin Karin Keller-Sutter zur KoVI

«Bei Kinderarbeit gehen wir weiter»

Alt FDP-Ständerat Dick Marty, Co-Präsident der Konzernverantwortungsinitiative, sagte letzte Woche in der Schweizer Illustrierten, FDP-Bundesrätin Karin Keller-Sutter täusche die Bürger. Exklusiv in der SI antwortet jetzt die Justizministerin.

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Karin Keller Sutter, Bundesraetin, 2020

Exklusiv! Karin Keller-Sutter hat am Wochenende für die SI einen Text zur Konzernverantwortungsinitiative geschrieben.

Geri Born

Liebe Leserinnen, liebe Leser

Wenn ein Schweizer Unternehmen einen Schaden anrichtet, haftet es. Und zwar auch dann, wenn es den Schaden im Ausland anrichtet. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Und weil es selbstverständlich ist, ist es heute schon so.

Darum geht es also am 29. November nicht, wenn wir über die Volksinitiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt» abstimmen. Es geht auch nicht darum, ob man für oder gegen die Menschenrechte und die Umwelt ist. Wenn das die Frage wäre, müssten wir alle auf eine Zustimmung von 100 Prozent hoffen.

Es geht auch nicht darum, ob man Schweizer Unternehmen stärker in die Pflicht nehmen soll, damit sie Mensch und Umwelt respektieren. Das passiert auch ohne Initiative, weil das Parlament einen Gegenvorschlag beschlossen hat. Der Gegenvorschlag ist ein Quantensprung vorwärts und macht verbindlich, was heute für Schweizer Unternehmen freiwillig ist. Damit schliessen wir zu Europa auf. Und das soll auch so sein.

Wenn es aber um all das nicht geht, worum geht es dann am 29. November?

«Es war mir ein Anliegen, dass der Schutz der Kinder im indirekten Gegenvorschlag steht»

Karin Keller-Sutter

Es geht quasi um das Kleingedruckte der Initiative. Es geht erstens darum, ob Schweizer Unternehmen bei sämtlichen Geschäftsbeziehungen dafür sorgen müssen, dass jedes einzelne Glied in ihrer Lieferkette die Menschenrechte und internationale Umweltstandards einhält. Das geht sehr weit. Heute kennt nur Frankreich eine ähnlich umfassende Sorgfaltsprüfungspflicht – allerdings gilt diese Pflicht in Frankreich nur für Unternehmen mit mehr als 5000 Mitarbeitenden in Frankreich oder 10'000 Mitarbeitenden weltweit. Die Konzernverantwortungsinitiative betrifft dagegen potenziell alle Unternehmen in der Schweiz – also nicht nur Konzerne, sondern auch KMU. Der Initiativtext sieht explizit nur für KMU im Tiefrisikobereich eine Ausnahme vor.

Zweitens geht es darum, ob man diese Sorgfaltsprüfungspflicht mit einer neuen, international einmaligen Haftungsnorm verknüpfen will. Gemäss Initiative soll nämlich ein Schweizer Unternehmen in Zukunft nicht mehr nur für sein eigenes Fehlverhalten haften, sondern neu auch für das Fehlverhalten von anderen Unternehmen, insbesondere für Tochtergesellschaften und wirtschaftlich abhängige Zulieferer – Unternehmen also, die rechtlich eigenständig sind. Diese Unternehmen haften heute schon, wenn sie Schäden anrichten, aber sie haften selber und nach dem vor Ort geltenden Recht.

Drittens geht es um die Frage, ob es richtig ist, wenn Unternehmen im Fall einer Klage selber beweisen müssen, dass sie ihre Sorgfaltsprüfungspflichten genügend wahrgenommen haben oder nicht. Das ist ein entscheidender Unterschied zur Regelung in Frankreich: Dort muss der Kläger beweisen, dass das Unternehmen seine Sorgfaltspflichten verletzt hat und darum ein Schaden entstanden ist. Es geht mit anderen Worten am 29. November nicht darum, ob man das Kernanliegen der Initianten unterstützt oder nicht, dass Schweizer Unternehmen auch im Ausland die Menschenrechte und die Umwelt respektieren. Das ist unbestritten. Es geht darum, welchen Weg wir wählen, dem gerecht zu werden.

Sollen Schweizer Unternehmen die gleichen Pflichten erfüllen wie ihre ausländischen Konkurrenten? Oder soll man sie gegenüber ihren ausländischen Konkurrenten benachteiligen? Dass Schweizer Unternehmen die gleichen Pflichten erfüllen müssen wie andere, stellt der Gegenvorschlag sicher. Die Initiative aber stellt Schweizer Unternehmen gegenüber Konkurrenten schlechter und wäre ein Alleingang.

Karin Keller Sutter, Bundesraetin, 2020

Klartext. Karin Keller- Sutter in ihrem Bundesratsbüro: «Ich halte die Initiative für anmassend.»

Geri Born

Die Initiative schwächt damit den Wirtschaftsstandort Schweiz. Sie gefährdet nicht nur Arbeitsplätze hier, sondern auch wichtige Investitionen von Schweizer Unternehmen in ärmeren Ländern. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung von Schwellen- und Entwicklungsländern. Die allermeisten Schweizer Unternehmen, das bestreiten auch die Initianten nicht, verhalten sich heute schon verantwortungsvoll. Sie wissen, dass sie sonst ihre Reputation aufs Spiel setzen. Nachhaltigkeit ist längst nicht mehr nur das Credo von NGOs und linken Parteien, sondern – völlig zu Recht – auch das Credo der Investorinnen und Investoren. Damit diese, aber auch Konsumentinnen und Konsumenten, gute Entscheide treffen können, ist Transparenz entscheidend.

Der indirekte Gegenvorschlag verpflichtet die grossen Schweizer Unternehmen gesetzlich zu mehr Transparenz. Sie müssen Bericht erstatten, welche Risiken für Mensch und Umwelt ihre Geschäftstätigkeit im Ausland mitbringt, und ganz konkret aufzeigen, welche Massnahmen sie dagegen ergriffen haben. Das ist die Berichterstattungspflicht.

Der Gegenvorschlag deckt da mehr Bereiche ab als die Initiative: Auch über Soziales, Arbeitnehmerbelange und Korruption muss Bericht erstattet werden.

Der Gegenvorschlag sieht wie die Initiative zusätzlich auch Sorgfaltspflichten vor, beschränkt sie aber auf die besonders sensiblen Bereiche der Kinderarbeit und der Konfliktmineralien. Diese Bereiche sind nicht willkürlich gewählt. Wir übernehmen damit Regelungen, die im europäischen Umfeld bereits bestehen. Bei den Konfliktmineralien orientieren wir uns an der EU-Richtlinie, die nächstes Jahr in Kraft tritt. Bei der Kinderarbeit übernehmen wir das holländische Modell. Damit gehen wir weiter als die EU. Aber Kinder sind besonders verletzlich. Es war mir darum ein persönliches Anliegen, dass deren Schutz im indirekten Gegenvorschlag steht.

Der Gegenvorschlag enthält zudem eine Strafbestimmung: Unternehmen, die gegen die Berichterstattungspflicht verstossen, werden mit einer Busse bis zu 100'000 Franken bestraft. Der entscheidende Unterschied zur Initiative ist, dass der indirekte Gegenvorschlag auf eine Verknüpfung der Sorgfaltsprüfungspflichten mit einer neuen Haftungsregel verzichtet.

Schweizer Unternehmen haften bereits heute, wenn sie einen Schaden anrichten. In der Regel selber und nach dem Recht vor Ort, was auch für Tochterunternehmen oder Zulieferer gilt. Das ist selbstverständlich und entspricht international anerkannten Rechtsgrundsätzen. Mit dem indirekten Gegenvorschlag werden erstmals verbindliche Vorgaben für Unternehmen zur Respektierung von Menschenrechten und Umwelt eingeführt. Der Gegenvorschlag verzichtet aber auf die besonders schädlichen Elemente der Initiative, auf jene, die Schweizer Unternehmen gegenüber ausländischen Konkurrenten benachteiligen.

Konzernverantwortungs-Initiative (KoVI)

Am 29. November stimmen wir über die Volksinitiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt» ab. Sie verlangt, dass Unternehmen mit Sitz in der Schweiz die international anerkannten Menschenrechte und Umweltstandards auch im Ausland respektieren. Dem Bundesrat geht die Initiative zu weit. Er unterstützt den indirekten Gegenvorschlag des Parlaments.

Ich bin keine Alarmistin. Und auch keine Prophetin. Ich bin ganz einfach überzeugt, dass man in aller Regel dann am besten fährt, wenn man Besonnenheit und Augenmass walten lässt. Das gilt derzeit ja auch für die Bewältigung der Corona-Krise. Auch hier geht es nicht darum, die verschiedenen Ziele gegeneinander auszuspielen. Es geht darum, die Gesundheit zu schützen, gleichzeitig aber auch zur Wirtschaft Sorge zu tragen. Wirtschaft ist kein Selbstzweck. Sie ist Teil der Gesellschaft, schafft Arbeitsplätze und Wohlstand. Sie übernimmt damit Verantwortung und muss zeigen, dass sie diese auch lebt. Sie braucht dafür aber gute Rahmenbedingungen.

Ich möchte noch auf einen anderen Aspekt der Initiative aufmerksam machen: Würde sie angenommen, müssten Schweizer Richterinnen und Richter Schadenfälle beurteilen, die ein ausländisches Unternehmen im Ausland verursacht hat, und dabei nach Schweizer Recht richten. So müsste zum Beispiel das Regionalgericht Emmental-Oberaargau nach Schweizer Recht entscheiden, ob ein Kakao-Lieferant in der Elfenbeinküste einen Umweltschaden angerichtet hat. Es müsste auch beurteilen, ob die Schweizer Schokoladenfirma, die der Hauptabnehmer des Kakao-Lieferanten ist, diesen Verstoss gegen Umweltstandards hätte verhindern können. Das wäre nicht nur eine Überforderung des Schweizer Rechtssystems, ich halte den Ansatz auch für anmassend.

Die Position des Bundesrats zur Initiative, über die wir am 29. November abstimmen, ist klar: Der Bundesrat teilt das Anliegen, Umwelt und Menschenrechte besser zu schützen. Das erreichen wir mit dem indirekten Gegenvorschlag des Parlaments, der die Unternehmen deutlich stärker in die Pflicht nimmt als heute. Der Gegenvorschlag verzichtet aber auf die besonders schädlichen Elemente der Initiative. Er spricht damit Herz und Verstand an. Der Gegenvorschlag tritt aber nur in Kraft, wenn die Initiative abgelehnt wird. Ein Nein zur Initiative ist also kein Nein zu Umwelt und Menschenrechten, sondern ein Ja zum Gegenvorschlag.

Bleiben Sie gesund!

Karin Keller-Sutter

Von Schweizer Illustrierte am 28. Oktober 2020 - 17:07 Uhr